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Türkei: "Kurdenproblem" wird in Ankara hoffähig

Bei einem Massaker in dem kurdischen Dorf Bilge sind vergangene Woche 44 Menschen getötet worden. Fast gleichzeitig wurde ein Friedensappelle von PKK-Chef Murat Karayilan bekannt. Nun debattiert die Türkei über neue Wege zur Lösung des Kurdenkonflikts

Lange Jahre weigerte sich die offizielle Türkei, die Existenz eines Kurdenproblems im Land auch nur anzuerkennen. Jetzt redet in der türkischen Hauptstadt plötzlich jeder über das "Kurdenproblem", von Staatspräsident Abdullah Gül angefangen. "Ob man es nun Terrorproblem, Südost-Problem oder Kurdenproblem nennt, es ist das wichtigste Problem der Türkei, das Poblem Nummer eins", sagte das Staatsoberhaupt am Wochenende.

Dass der türkische Präsident öffentlich einen solchen Satz sagt, ist an sich schon eine kleine Revolution. Nach dem Ausbruch der Kämpfe zwischen den PKK-Kurdenrebellen und der türkischen Armee 1984 hatten Politiker und Militärs in Ankara den Konflikt lange auf eine Sicherheitsfrage verengt, die irgendwann durch die erdrückende Überlegenheit der Armee entschieden werden würde.

Für türkische Verhältnisse ist nicht aber nur neu, dass in einer Debatte über die Kurdenfrage das Kind beim Namen genannt wird. Auch die Lösungsvorschläge, die inzwischen fast täglich von Politikern, Diplomaten und Medien vorgelegt werden, weisen auf den Beginn einer neuen Ära hin.

Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan deutete jetzt die Rückgabe kurdischer Namen an kurdische Dörfer an. Aus westeuropäischer Sicht mag das wenig bedeutsam erscheinen - für die Türkei wäre es ein spektakulärer symbolischer Schritt. Schließlich entsprach die Türkifizierung kurdischer Ortnamen dem offiziell immer noch geltenden Grundsatz, dass die Einheit der türkischen Nation nicht durch die Betonung regionaler ethnischer Bedonderheiten unterminiert werden darf. Nun verliert dieser Grundsatz an Gewicht.

In die gleiche Richtung geht ein Vorschlag des früheren Botschafters Ilter Türkmen. Er tritt dafür ein, alle Hindernisse aus dem Weg zu räumen, die den Kurden in der Türkei bisher den Ausdruck einer eigenen kurdischen Identität verbauen. Viele Beschränkungen bei der Benutzung der kurdischen Sprache wurden bereits aufgehoben, doch Türkmen geht weiter. Auf der Ebene der Kommunalverwaltung müsse das Kurdische auch im offiziellen Bereich geduldet werden, sagte Türkmen der Zeitung "Milliyet".

Bemerkenswert an dieser Art von Anregungen ist auch, dass sie nicht von kurdischen Aktivisten oder anderen, von den meisten Türken als radikal eingestuften Akteuren kommen, sondern von der Regierung und von Vertretern des Establishments wie Türkmen. Mancher Beobachter reibt sich deshalb die Augen: "Viele Dinge, über die man vor zehn Jahren nicht einmal sprechen durfte, stehen heute auf der Tagesordnung des Staates", schrieb Isment Berkan, der Chefredakteur der liberalen Tageszeitung "Radikal". Berkan hatte am Wochenende mit Erdogan über die Kurdenfrage gesprochen.

Der Tod von 44 Menschen bei dem Massaker in dem kurdischen Dorf Bilge in der vergangenen Woche und fast gleichzeitig bekannt gewordene Friedensappelle von PKK-Chef Murat Karayilan hatten die neue türkische Kurdendebatte in Fahrt gebracht. Nun muss sich zeigen, ob der Staat zu neuen Reformen bereit ist. Die Kurdenpartei DTP, die von der Justiz als verlängerter Arm der PKK betrachtet wird, sieht sich durch die neue Entwicklung und durch Aussagen wie die von Staatspräsident Gül über die Bedeutung des Kurdenproblems aber schon jetzt bestätigt: "Das sagen wir doch schon seit Jahren", kommentierte DTP-Chef Ahmet Türk.

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