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Türkische Behörden haben den Oppositionspolitiker Enis Berberoglu aus der Haft entlassen.

© REUTERS/Huseyin Aldemir

Recep Tayyip Erdogan: Türkei lässt Regierungs-Kritiker frei - und nimmt neue fest

Die Türkei lässt einen Kritiker des Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan frei. Gegen andere Oppositionelle hingegen geht die Regierung rigoros vor.

Kurz vor dem Besuch von Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan in Berlin kommende Woche haben türkische Behörden einen prominenten Regierungskritiker aus der Haft entlassen. Mit der Freilassung des Oppositionspolitikers Enis Berberoglu nach 15 Monaten Gefängnis wolle Ankara das Interesse an einer Wiederannäherung an Europa unterstreichen, sagen Erdogan-Gegner. Gestört wird das Versöhnungssignal an Europa jedoch dadurch mehrere Festnahmen. Zum einen soll der ehemalige Vorsitzende der Alevitischen Gemeinde Hamburg, Nurali Demir, bei der Einreise in die Türkei in Polizeigewahrsam genommen worden sein. Nach Aussage seiner Tochter wird Demir „Mitgliedschaft in einer terroristischen Organisation“ vorgeworfen. Das berichtet der NDR. Zum anderen wurde in Ankara Haftbefehl gegen einen jungen Österreicher erlassen.

Die Finanzkrise und der Streit mit den USA lassen die türkische Regierung nach längeren Verstimmungen im Verhältnis zur EU wieder verstärkt den Kontakt mit Europa suchen. Erdogans Staatsbesuch in Berlin am 28. und 29. September ist ein wichtiger Teil dieser Initiative. Er gehe voller Hoffnung in die Gespräche in Deutschland, sagte Erdogan.

In den vergangenen Wochen hatten regierungsnahe Kommentatoren in den türkischen Medien angedeutet, dass einige prominente politische Häftlinge freikommen könnten. Berberoglu gehört zweifellos dazu. Der frühere Journalist und Parlamentsabgeordnete der Oppositionspartei CHP war vergangenes Jahr wegen Geheimnisverrats zu fast sechs Jahren Haft verurteilt worden. Er soll Informationen über mutmaßliche Waffenlieferungen des Geheimdienstes für syrische Rebellen an die Oppositionszeitung „Cumhuriyet“ weitergegeben haben. Das Urteil gegen Berberoglu war unter anderem vom Europa-Parlament scharf kritisiert worden. Das Oberste Berufungsgericht in Ankara ordnete jetzt Berberoglus Haftentlassung an, weil er bei der Wahl im Juni ein neues Parlamentsmandat gewonnen hatte und daher Immunität genießt.

Wegen der Verhaftung eines Österreichers droht Ankara zusätzlicher Ärger

Kritiker der Regierung sehen darin einen taktischen Schritt. Die Journalistin Asli Aydintasbas schrieb auf Twitter, die Haftentlassung sei Folge des „neuen Flirts“ der türkischen Regierung mit Europa. Berichten zufolge könnte auch der seit fast einem Jahr ohne Anklage inhaftierte Kunstmäzen Osman Kavala bald freikommen, der eng mit europäischen Institutionen zusammengearbeitet hatte.

Flexibilität bei prominenten Fällen hatte die Türkei schon in den vergangenen Monaten gezeigt. So durfte der deutschtürkische Journalist Deniz Yücel nach einjähriger Haft im Februar nach Deutschland ausreisen. Zuletzt hatte die türkische Justiz eine Ausreisesperre gegen die deutsche Übersetzerin Mesale Tolu aufgehoben. Derzeit dringt Deutschland besonders auf Freilassung von sieben Bundesbürgern, die nach Meinung Berlins aus politischen Gründen in Haft sitzen.

Zusätzlicher Ärger mit Europa droht Ankara nun auch wegen der Verhaftung des österreichischen Studenten Max Zirngast in Ankara. Der 29-jährige soll wegen Mitgliedschaft in einer staatsfeindlichen Gruppierung vor Gericht gestellt werden. Zirngast war vergangene Woche festgenommen worden. Er hatte Beiträge für die Publikation einer legalen Organisation verfasst, die mit einer verbotenen linksradikalen Gruppe Kontakt haben soll.

Auch in anderen Bereichen bleibt das gesellschaftliche Klima in der Türkei angespannt, trotz der erklärten Absicht Ankaras, den Europa-Kurs zu stärken. Am Freitag ordnete die Staatsanwaltschaft die Festnahme von 110 Soldaten der Luftwaffe an. Ihnen werden Verbindungen zu der Bewegung des islamischen Predigers Fethullah Gülen vorgeworfen, der den Putschversuch von 2016 organisiert haben soll. Seit Wochen verhindert die Istanbuler Polizei zudem die Kundgebungen der „Samstagsmütter“, die Aufklärung über das Schicksal ihrer vom Staat verschleppten Angehörigen fordern.

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