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Premier Erdogan.

© AFP

Türkei: Nach Unglück von Soma: Erdogan attackiert Medien

Nach dem Bergwerksunglück von Soma setzt Premier Erdogan unliebsame Medien unter Druck - aber auch Kritiker des Regierungschefs sind nicht wählerisch in der Argumentation.

Mit einer wütenden Medienschelte und juristischem Druck auf unliebsame Kommentatoren reagiert die türkische Regierung auf das Grubenunglück von Soma. Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan sagte, Gegner der Regierung seien gewissenlos. Der Premier rief die Staatsanwaltschaft zu Ermittlungen gegen einen regierungskritischen Kolumnisten auf. Auch deutsche Medien geraten in die Debatte – „Spiegel“ und „FAZ“ werden in der regierungsfreundlichen Presse scharf attackiert. Im August finden in der Türkei Präsidentschaftswahlen statt - deswegen macht Erdogan am Wochenende in Köln Wahlkampf.

Erdogans Zorn richtet sich vor allem gegen Yilmaz Özdil, einen Kolumnisten der Zeitung „Hürriyet“. Das Blatt gehört zum Medienkonzern Dogan, auf den Erdogan ohnehin nicht gut zu sprechen ist; vor einigen Jahren überzog die Regierung das Unternehmen mit Steuerforderungen in Milliardenhöhe. Özdil ist für seine scharfen Angriffe auf die Erdogan-Regierung bekannt. Nach dem Tod von 301 Bergleuten bei dem Unglück von Soma sagte der Journalist im Fernsehen, Arbeiter aus Soma hätten sich in der Vergangenheit die Teilnahme an Wahlveranstaltungen der Erdogan-Partei AKP bezahlen lassen. Insofern hätten sie den Tod „verdient“. Ein Erdogan-kritischer Fernsehsender meldete unterdessen, die Regierung habe die Leichen von syrischen Arbeitern im Stollen einbetonieren lassen, um die wahre Dimension der Katastrophe zu verschleiern.

Allseits Provokationen

Das geht zu weit, findet Hadi Uluengin, Kolumnist der unabhängigen Tageszeitung „Taraf“. Auch er kritisiere das autoritäre Gehabe des Ministerpräsidenten, seinen Satz von der „Normalität“ von Bergwerksunglücken und die Tritte des Erdogan-Beraters Yusuf Yerkel gegen einen Demonstranten in Soma, schrieb Uluengin am Mittwoch. Doch das bedeute nicht, dass er vor der „ungeheuerlichen Provokation“ radikaler Erdogan-Gegner die Augen verschließe.

Ungeheuerliche Provokationen kommen allerdings auch von regierungsfreundlichen Medien, ohne dass Erdogan nach der Justiz ruft. So berichtete die islamistische Zeitung „Yeni Akit“, der Chef des betroffenen Bergbauunternehmens in Soma, Alp Gürkan, habe einen jüdischen Schwiegersohn. Erdogan selbst warf seinen Gegnern vor, sie hätten auf noch mehr Todesopfer in Soma gehofft. „Hürriyet“ entgegnete am Mittwoch mit einer Stellungnahme auf der Titelseite, Erdogans Medienschelte sei billig und diene nur dazu, von der Mitverantwortung der Behörden für das Unglück abzulenken.

Auch deutsche Medien angegriffen

Ausländische Medien geraten ebenfalls in den türkischen Streit um Soma. Erdogan beschuldigte die BBC, sie habe „Lügen“ über das Unglück verbreitet. Das regierungstreue Blatt „Yeni Safak“ griff am Mittwoch die „FAZ“ an, weil die Frankfurter Zeitung den türkischen Ministerpräsidenten mit Adolf Hitler verglichen habe. Der „Spiegel“ beorderte seinen Türkei-Korrespondenten Hasnain Kazim nach Hamburg zurück, nachdem dieser nach eigenen Angaben mehrere hundert Morddrohungen erhalten hatte. Kazim hatte in einer Überschrift einen Bergmann aus Soma mit den Worten zitiert: „Scher dich zum Teufel, Erdogan.“

Berater sieht "Lynchkampagne"

Die Erdogan-Regierung lässt nicht erkennen, dass sie ihre Kritik an den Medien etwas zurücknehmen will. Yalcin Akdogan, einer der wichtigsten Berater des Ministerpräsidenten, verdammte am Mittwoch auf Twitter all jene Journalisten, die sich nach seiner Meinung an einer „politischen Lynchkampagne“ gegen die Regierung beteiligten – damit könnten praktisch alle Kritiker Erdogans gemeint sein. Laut Akdogan unterstützen diese Medienvertreter indirekt einen Staatsstreich.

Doch der Druck aus Ankara kann nicht verhindern, dass immer mehr Details der schlimmen Zustände in der Grube von Soma ans Tageslicht kommen. So berichtete der Nachrichtensender CNN-Türk am Mittwoch, die Gasmasken der Arbeiter in dem Bergwerk seien teilweise 21 Jahre alt, voller Schimmel und unbrauchbar gewesen.

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