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Politik: Türkei: Neuer alter Bündnispartner

In der veränderten weltpolitischen Lage nach den Terroranschlägen vom 11. September wird auch die Türkei als Gesprächspartner für Washington und die Europäer wieder interessant.

In der veränderten weltpolitischen Lage nach den Terroranschlägen vom 11. September wird auch die Türkei als Gesprächspartner für Washington und die Europäer wieder interessant. Auf der Rückreise aus den USA nach Ankara machte der türkische Außenminister Ismail Cem in dieser Woche in Berlin Station. Im Gespräch mit Fischer stellte er sich ebenso wie zuvor in Washington demonstrativ an die Seite der USA und ihrer Anti-Terror-Allianz. Als Mitgliedsland der Nato kann die Türkei kaum anders handeln, als treuer Freund der Vereinigten Staaten ebenfalls nicht. Dennoch befindet sich der östlichste und einzige islamische Nato-Staat seit dem 11. September in einer ganz besonderen Situation - nicht nur, weil dem Nato-Stützpunkt Incirlik bei amerikanischen oder alliierten Militärschlägen eine Schlüsselrolle zukommen könnte.

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Einen Stimmungsumschwung im eigenen Land fürchtet der Außenminister nicht: "Die türkische Öffentlichkeit lehnt Terror ab und steht fest zum Bündnis." Doch die Bündnistreue hat auch Grenzen. Den Einsatz türkischer Truppen in Afghanistan hat Premierminister Bülent Ecevit ausdrücklich ausgeschlossen. Die türkische Militärführung warnte ebenfalls vor einer Invasion in dem unwegsamen und schwer beherrschbaren Land.

Langfristig will sich Ankara vor allem als euro-asiatischer Mittler profilieren. Außenminister Cem versäumt deshalb nicht, auf die türkische Beteiligung an der Mitchell-Kommission im Nahen Osten hinzuweisen: "Schon in der letzten Phase der Amtszeit von US-Präsident Bill Clinton konnten wir entscheidenden Einfluss auf die Friedensgespräche in Nahost nehmen." Und er bestätigt, dass in der Türkei lange vor der Gefahr des internationalen Terrors gewarnt und die Gleichgültigkeit der Westeuropäer gegenüber islamistischen Gruppen beklagt worden sei. Selbst möchte sich Cem diesen Vorhaltungen allerdings nicht anschließen. Genugtuung darüber, dass die westliche Kritik am kompromisslosen Vorgehen Ankaras gegen den politischen Islam - vom Parteienverbot bis hin zum strikten Kopftuchverbot an den Universitäten - nun erst einmal verstummt ist, verbietet sich der Außenminister ohnehin.

Ob die neue, "differenzierte" Sicht auf die Türkei die Beitrittsverhandlungen mit der EU beschleunigen wird, muss sich erst noch zeigen. Außenminister Cem sieht hier zwar "überhaupt keinen Zusammenhang", gleichzeitig betont er in diesen Tagen aber auffallend oft, die Türkei sei ein europäisches Land, "und seit 600 Jahren eine europäische Macht".

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