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Erdogan

© AFP

Türkei: Permanenter Wahlkampf

Am Sonntag bestimmt die Türkei ein neues Parlament - und spekuliert über die folgende Präsidentenwahl.

An kreativen Ideen für einen Plan B fehlt es türkischen Spitzenpolitikern vor der Parlamentswahl am Sonntag nicht. Mehmet Agar, Chef der bürgerlich-konservativen Partei DP, will die Türkei zu Fuß durchqueren, wenn er die Wahl verliert. Vielleicht muss er bald marschieren, einige Umfragen sagen voraus, dass die DP nicht einmal ins Parlament kommt. Oppositionschef Deniz Baykal kündigte an, er werde im Falle einer Niederlage von der Türkei zur griechischen Insel Rhodos schwimmen; in den Umfragen liegt Baykals CHP mit 20 Prozent weit hinter der AKP von Regierungschef Recep Tayyip Erdogan, die mit bis zu 40 Prozent rechnen kann. Erdogan wünschte Baykal schon viel Spaß beim Schwimmen.

Da in der Türkei eine Zehn-Prozent- Hürde gilt, dürften höchstens drei oder vier der 14 für die Wahl gemeldeten Parteien in die neue Volksvertretung gelangen. Erdogan selbst sagte in einem Fernsehinterview voraus, seine AKP werde ihre 34 Prozent von der Wahl 2002 noch einmal verbessern. Wenn dem so wäre, könnte die AKP weiter alleine regieren. Denn die Mehrheit der Umfragen sieht neben der AKP zwei weitere Parteien und rund 30 unabhängige Abgeordnete ins 550 Sitze umfassende Parlament ziehen. In diesem Fall hätte die AKP mindestens 315 Abgeordnete. Einige Umfragen sehen aber die Möglichkeit, dass die CHP zusammen mit der rechtsnationalistischen MHP, die in den Umfragen auf bis zu 14 Prozent kommt, genügend Sitze erringen könnte, um die AKP abzulösen.

Im Wahlkampf wirbt Erdogan mit dem starken Wirtschaftsaufschwung und der innenpolitischen Stabilität der vergangenen Jahre. Die Opposition wirft der AKP islamistische Tendenzen vor, Feigheit im Kampf gegen die Kurdenrebellen von der PKK und einen Ausverkauf nationaler Interessen an das Ausland. „Kein Stillstand – weiter so“, lautet die zentrale Wahlkampfparole von Erdogans AKP. „Die Republik wird siegen“, kontert die CHP.

Es geht zum Teil sehr populistisch zu: MHP-Chef Devlet Bahceli verspricht die Wiedereinführung der Todesstrafe, um den inhaftierten PKK-Chef Abdullah Öcalan hängen zu lassen. Bei einer Kundgebung warf Bahceli sogar ein Seil dafür ins Publikum. Am meisten aber wurde zuletzt über die nach der Parlamentswahl anstehende Wahl des neuen Staatspräsidenten diskutiert.

Im Mai hatten CHP und Verfassungsgericht die Wahl des AKP-Außenminister Abdullah Gül zum Staatschef verhindert. Die Kemalisten warfen Gül vor, er wolle als Präsident eine Islamisierung des Landes vorantreiben, und verwiesen unter anderem auf das Kopftuch von Güls Ehefrau Hayrünisa.

CHP-Chef Deniz Baykal betont, er werde keinen AKP-Politiker ins Präsidentenamt lassen. Baykal sei der politische Arm der kemalistischen Bürokratie mit dem Auftrag, einen nichtkemalistischen Präsidenten zu verhindern, kommentierte die Zeitung „Sabah“. Sein Albtraum sei, dass sich AKP und zum Beispiel MHP im neuen Parlament auf einen Kandidaten einigen und diesen wählen. Dann könne sich Baykal nur noch an eine Kraft im Land wenden: die Armee.

Obwohl die kemalistische Militärspitze im April ihren Widerstand gegen Gül mit einer Putschdrohung unterstrich, hielt sie sich aus dem Wahlkampf bisher heraus. Die große Frage ist, ob sich die Generäle auch zurückhalten, wenn Erdogans Partei am 22. Juli so kräftig zulegen sollte, dass sie den neuen Präsidenten aus eigener Kraft wählen kann.

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