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Sieht aus wie ein esoterisches Sommercamp, könnte dem Ministerpräsidenten aber gefährlich werden: Die Proteste im türkischen Gezi-Park.

© dpa

Türkei: Proteste rund um den Gezi-Park: „Das Problem ist Tayyip“

Am Gezi-Park im Herzen Istanbuls begannen vor einer Woche die Auseinandersetzungen. Zuerst ging es nur um ein Einkaufszentrum, mittlerweile richtet sich der Protest gegen den türkischen Ministerpräsidenten und seine Politik. Das verbindet die Wutbürger im Gezi-Park - aber auch nicht viel mehr. Das könnte ihr Problem werden.

Savas Halvasi sieht nicht aus wie ein Revolutionär, der den mächtigsten Mann der Türkei erzittern lässt. Die Sonnenbrille einer Edelmarke auf dem Kopf und den nicht mehr ganz flachen Bauch im cremefarbenen Poloshirt, schlendert der 50-jährige Tourismusmanager durch den sonnigen Gezi-Park im Herzen der türkischen Metropole Istanbul. Halvasi will ins nächste Geschäft, wo er Lebensmittel und Wasser für die Demonstranten kaufen will, die den Park seit einer Woche besetzt halten. Denn Halvasi unterstützt den Protest gegen Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan, der die Türkei erschüttert. „Unsere Geduld hat ein Ende“, sagt er.

So wie er denken die meisten im Park. Studenten, Rentner und Arbeitslose sind unter den Demonstranten – „vom Professor bis zum Schuhputzer“, sagt eine junge Frau, die eine Schachtel von einem Wohltäter gespendete Pralinen an die Demonstranten verteilt. Als sich spontan ein Protestzug durch den Park formiert, sind in der Menge mehrere Banker in Schlips und Kragen zu sehen, die eifrig die regierungsfeindlichen Parolen beklatschen.

An einem Ende des Parks haben die Erdogan-Gegner mehrere Stände zur Annahme der massenhaft gespendeten Lebensmitteln, Medikamenten und Kleidung eingerichtet. Erdogan hat viele Gegner hier im Park. Fliegende Händler verkaufen türkische Fahnen, an einer Treppe haben sich 15 Leute für einen Yoga-Kurs versammelt.

Auf dem Rasen stehen die Zelte der Park-Besetzer, viele Menschen haben sich auf Decken in die Sonne gelegt. Wären da nicht die Gasmasken, die an manchen Stellen verkauft werden, könnte man sich auf einem Folk-Festival wähnen, das gut gelaunt auf den Auftritt des nächsten Künstlers wartet. Von der Polizei ist nichts zu sehen.

Der Gezi-Park ist das Epizentrum des Aufstandes gegen Erdogan. Hier begannen letzte Woche die Auseinandersetzungen, als die Polizei gegen eine Gruppen von Umweltschützern vorging, die den Bau eines Einkaufszentrums auf dem Gelände des Parks verhindern wollten. Der brutale Polizeieinsatz löste eine landesweite Welle der Solidarität aus, die längst nicht mehr nur ein paar Bäumen gilt: „Das Problem ist Tayyip“, sagt Cihat Parilti, ein 21-jähriger Student, der seit einer Woche im Park campiert.

„Tayyip“ - Recep Tayyip Erdogan ist es, der die Protestbewegung zusammenschweißt. Ganz unterschiedliche Leute wie der Student Parilti und der Geschäftsmann Tamer Aksu fordern eine Entschuldigung des Ministerpräsidenten. Eine Entschuldigung für den Polizeieinsatz. Eine Entschuldigung für die harschen Worte, mit denen Erdogan regelmäßig seine Gegner herunterputzt. Eine Entschuldigung dafür, dass der Premier den Türken immer wieder mit Neuerungen konfrontiert, die als Angriff auf persönliche Freiheitsrechte verstanden werden, wie zuletzt bei einem neuen Alkohol-Gesetz. Eine Entschuldigung dafür, dass Erdogan nach dem Motto handelt: „Jeder, der nicht für mich ist, ist ein schlechter Mensch“, wie es der Tourismusmanager Halvasi formuliert.

Als sich im Park die Nachricht verbreitet, dass sich Erdogans Stellvertreter Bülent Arinc im Namen der Regierung für den überharten Polizeieinsatz entschuldigt hat und neue Gespräche über das Projekt im Gezi-Park anbietet, lässt das die meisten Demonstranten kalt. „Das muss von Tayyip selber kommen“, sagt Tamer Aksu.

Über den Ärger auf „Tayyip“ hinaus gibt es wenig, was die Wutbürger verbindet. So kritisiert Geschäftsmann Aksu den Gewalteinsatz einiger Protestierer gegen die Polizei, andere finden es gerecht, dass die Staatsmacht attackiert wird. Linke Gruppen wollen den großen Feldzug gegen Erdogans Kapitalismus starten, der so manchem Demonstranten im Park in den vergangenen Jahren neuen Wohlstand gebracht hat. „Jeder hat andere Forderungen“, sagt Manager Halvasi. Der Istanbuler Politologe Cengiz Aktar sagt deshalb ein baldiges Auseinanderbrechen der Protestbewegung voraus.

Auch spazieren an diesem Tag einige Türken durch den Park, die nicht einverstanden sind mit den Protesten. „Schau dir die ausgebrannten Fahrzeuge der Polizei und der Stadtverwaltung an“, sagt der Bauarbeiter Cedal Akyildiz. „Wer bezahlt das denn? Das sind doch wir mit unseren Steuergeldern.“ Für Akyildiz ist und bleibt Erdogan „die Nummer eins“.

Und die Wahlen in den kommenden zwei Jahren? „Da wird Tayyip noch mehr Stimmen bekommen.“

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