zum Hauptinhalt

Türkei: Schmuggel: Wildromantisch, kriminell - und eine Folge bitterer Armut

An der Grenze zwischen der Türkei und Iran floriert der Schmuggel. Alles, was sich zu Geld machen lässt, wird in der Grenzprovinz verschoben - vom afghanischen Heroin bis zu iranischem Benzin.

Die Schmuggler hatten ihre Lasttiere in einem engen und kahlen Tal zusammengetrieben. Hunderte Pferde und Maulesel, beladen mit jeweils zwei großen Plastikkanistern für Benzin oder Diesel, warteten auf den Abmarsch in die Berge. Die Szene wurde von einem Fotografen festgehalten, dessen Aufnahme jetzt in türkischen Zeitungen erschien: Mit Hilfe der Lasttiere werden in der Bergregion zwischen der Türkei und dem Iran jedes Jahr Millionen von Tonnen Treibstoff und Heizöl geschmuggelt. Was auf den ersten Blick wildromantisch aussieht, ist eine Folge bitterer Armut – denn in der Gegend gibt es kaum andere Verdienstmöglichkeiten.

Die vielbeinige „Tankerflotte“, wie die türkische Presse die Lasttiere in der Grenzprovinz Van nennt, ist nur ein Beispiel für den florierenden Schmuggel in der Region. Alles, was sich in der Türkei mit Gewinn zu Geld machen lässt, wird durch die unwegsame und nur schwer zu überwachende Bergregion aus dem Iran herangeschafft. Dazu gehört auch Heroin aus Afghanistan, das durch den Iran in die Türkei gebracht und dann weiter nach Europa transportiert wird. Rund 1,3 Tonnen Heroin wurden allein im vergangenen Jahr von den türkischen Sicherheitsbehörden beschlagnahmt.

Illegaler Treibstoffhandel spielt eine große Rolle

Das hört sich nach viel an, ist aber wenig im Vergleich zu jenen Mengen, die unbemerkt in die Türkei und weiter nach Europa gelangen. Die internationale Polizeiorganisation Interpol betrachtet die Türkei als Dreh- und Angelpunkt für die „Balkan-Route“, auf der Heroin aus Afghanistan nach Europa gelangt. Bis zu sechs Tonnen Heroin werden jeden Monat auf dieser Route transportiert. Auch tausende Flüchtlinge aus Asien kommen auf ihrem Weg nach Europa über den Iran in die Türkei.

Für die Schmuggler in Van spielt daneben vor allem der illegale Treibstoffhandel eine große Rolle. Heizöl und Benzin sind in der Türkei relativ teuer – und im Iran spottbillig. Der Schmuggel sichere eben „das Gleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage“, wie es der Polizeichef von Van, Salih Kesmez, jetzt bei der Vorstellung der neuesten Zahlen formulierte. Die Behörden stellten im vergangenen Jahr fast eine Million Tonnen geschmuggeltes Heizöl sicher; allein durch den Treibstoffschmuggel gehen dem türkischen Staat nach Medienberichten jedes Jahr rund acht Milliarden Dollar an Steuereinnahmen verloren.

Auch mit geschmuggeltem Tee, Zucker und Zigaretten aus dem Iran lässt sich im Grenzgebiet Geld machen. Nach Erkenntnissen der türkischen Behörden ist die kurdische Rebellengruppe PKK in den Schmuggel entlang der etwa 450 Kilometer Grenze verwickelt, denn auch sie habe längst den illegalen Handel als Einnahmequelle entdeckt.

Kein krimineller Zeitvertreib

In den Medien wird Kritik an den Menschen in den Dörfern an der Grenze laut. Jeder kleine Bauer in diesen armen Ortschaften habe fünf bis zehn Pferde und Maulesel im Stall – zusammengenommen ergebe das eine Herde von mehreren tausend Tieren, die für den Schmuggel benutzt würden, beklagte das Internetportal „Habervitrini“ am Donnerstag. Zudem würden die Pferde von ihren Besitzern nicht gut behandelt: „Entlang der Schmuggelrouten liegen Dutzende von Kadavern“, hieß es bei „Habervitrini“.

Doch der Schmuggel ist für die Menschen an der iranischen Grenze kein krimineller Zeitvertreib – er ist für viele Familien die einzige Möglichkeit, Geld zu verdienen. Mit einem Pro-Kopf-Einkommen von umgerechnet 240 Euro im Monat gehört Van zu den ärmsten Provinzen in der ohnehin nicht sehr wohlhabenden Türkei.

Dem Ex-Soldaten Mustafa Ormanci platzte deshalb der Kragen, als er die Berichte über den Schmuggel und die Kritik an den Menschen im türkischen Osten las. „Ich habe in meiner Wehrdienstzeit an der Grenze gesehen, wie die da unten leben“, schrieb er in einem Leserbrief an die Internetausgabe der Zeitung „Hürriyet“. Für die Leute in den Grenzdörfern sei der Schmuggel die einzige Einnahmequelle. „Vom bequemen Sessel aus daherreden kann jeder.“

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false