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Trauer und Wut. Der türkische Premierminister Recep Tayyip Erdogan vor den Särgen getöteter Soldaten. Foto: Ahmet Izgi/AFP

© imago stock&people

Türkei: Schnelle Ausbildung, schneller Tod

Weil türkische Wehrpflichtige im Kampf gegen die PKK sterben, wird jetzt über eine Berufsarmee diskutiert. Sicherheitsexperten halten den Schritt für überfällig.

Angehörige von im Kampf gegen die PKK-Kurdenrebellen gefallenen Soldaten haben in der Türkei traditionell eine klare Rolle: Sie sollen an den fahnengeschmückten Särgen ihrer Söhne die Rebellen verdammen und die Einheit des Vaterlandes beschwören. Doch in jüngster Zeit möchten einige von ihnen nicht mehr mitspielen, sie kritisieren stattdessen öffentlich, dass die Armee ihre wehrpflichtigen Söhne verheizt. So wie Siddik Saydam, dessen Sohn Mutlu bei einem PKK-Angriff auf einen Außenposten der Armee Mitte Juni ums Leben kam – weniger als zwei Monate vor dem Ende seines Wehrdienstes. „Er hatte gerade einmal 15 Tage Ausbildung (an der Waffe), dann haben sie ihn nach Hakkari geschickt“, mitten ins Kampfgebiet, sagte Saysam über seinen Sohn.

Die jüngsten Angriffe der PKK-Kurdenrebellen auf Armeeposten in der Türkei bringen ein Tabu ins Wanken: den Einsatz von Wehrpflichtigen im Kurdenkonflikt und damit die Wehrpflicht an sich. Die Armeeführung hat angekündigt, insbesondere die Truppen an der Grenze zum Irak, wo sich die meisten Gefechte mit der PKK abspielen, künftig nur noch mit Berufssoldaten besetzen zu wollen. Einige Eliteeinheiten nehmen keine Wehrpflichtigen mehr an.

General Fahri Kir vom Generalstab in Ankara sagte der Zeitung „Star“, die für Spezialeinsätze zuständigen Kommandotrupps bestünden bereits jetzt zu 84 Prozent aus Berufssoldaten. Bis zum August soll die Umwandlung dieser Trupps in professionelle Einheiten abgeschlossen sein. Nach Angaben aus der Regierungspartei AKP sind rund 15 000 neue Planstellen für Berufssoldaten geschaffen worden. Staatspräsident Abdullah Gül beriet nach dem PKK-Angriff in der Provinz Hakkari, bei dem neben Mutlu Saydam noch zehn andere türkische Soldaten getötet wurden, mit den Spitzen von Regierung und Armee über einen Verzicht auf Wehrpflichtige in Kampfeinheiten.

Sicherheitsexperten wie Sedat Laciner vom Politik-Institut USAK in Ankara halten diesen Schritt für überfällig. Es sei unverständlich, dass ausgerechnet in einem der gefährlichsten Berufe der Welt auf Professionalität verzichtet werde, sagte Laciner. Langfristig sei der Übergang zu einer De-facto-Berufsarmee in der Türkei unvermeidlich. Der Wehrdienst könne dann auf eine symbolische Grundausbildung von drei Monaten reduziert werden. Derzeit muss jeder gesunde türkische Mann für 15 Monate zur Armee; für Universitätsabsolventen und Auslandstürken gelten verkürzte Zeiten. Ein Recht auf Kriegsdienstverweigerung gibt es nicht.

Wie weit der Vormarsch der Berufssoldaten in der mit rund einer halben Million Soldaten zweitstärksten Streitmacht der Nato gehen soll, ist noch nicht klar. Bisher sehe die Struktur der Streitkräfte ein Nebeneinander von Wehrpflichtigen und Berufssoldaten vor, sagte Verteidigungsminister Vecdi Gönül am Mittwoch. Derzeit werde geprüft, inwieweit für eine weitere Professionalisierung der Streitkräfte die Gesetze geändert werden müssten. Zahlen über die künftige Stärke der Berufssoldaten könne er nicht nennen.

Mit seiner vorsichtigen und bewusst vagen Stellungnahme versuchte Gönül, seinen Kabinettskollegen und EU-Minister Egemen Bagis einzufangen. Dieser verursachte am Mittwoch in Ankara mit der Bemerkung einige Aufregung, die Regierung habe Pläne zur Einstellung von 500 000 Berufssoldaten in der Schublade – also für eine vollständige Umstellung von einer Wehrpflichtigen- auf eine Berufsarmee. Damit könne gleichzeitig die hohe Arbeitslosigkeit im Land bekämpft werden, sagte Bagis laut der Zeitung „Aksam“. Doch ganz so einfach wird wohl weder die Reform der Armee noch die Schaffung neuer Arbeitsplätze zu bewältigen sein.

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