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Politik: Türken dürfen auf Visafreiheit hoffen

Die EU verhandelt mit Ankara über Erleichterungen im Reiseverkehr. Im Gegenzug soll ein Flüchtlingsabkommen umgesetzt werden.

In der Türkei macht sich in diesen Tagen ein ungewohntes Gefühl breit: Freude über gute Nachrichten von der EU. Nach Jahren des Frusts wegen des Widerwillens der Europäer bei den Beitrittsverhandlungen konnte die türkische Regierung jetzt einen wichtigen Erfolg melden. EU und Ankara vereinbarten Gespräche über Erleichterungen im Reiseverkehr, die schon in wenigen Jahren zur Abschaffung der Visumspflicht führen könnten. Für die Türken hat das hohe symbolische Bedeutung, denn die Visa werden allgemein als Demütigung empfunden.

Außenminister Ahmet Davutoglu sprach im Fernsehen von einem „historischen Schritt“, EU-Minister Egeman Bagis schrieb auf seiner Facebook-Seite, die Türkei sei dabei, „das Visum für ein visafreies Europa“ zu lösen. Die EU beginne zu verstehen, dass die Türken nicht mehr vor den europäischen Konsulaten Schlange stehen wollten, um nach Europa reisen zu dürfen.

Damit berührte Bagis einen wichtigen Punkt. Die EU-Mitgliedschaft ist für viele seiner Landsleute nicht mehr so wichtig, zumal die Türkei trotz der seit 2005 laufenden Beitrittsverhandlungen immer wieder zu hören bekommt, die Aufnahme in die Europäische Union werde nie erfolgen. Die politische und wirtschaftliche Krise in der EU hat die Attraktivität des Projektes weiter geschmälert: Nach Angaben des türkischen Statistikamts ist die Zustimmung der Türken zur EU-Mitgliedschaft innerhalb von acht Jahren von 70 auf 45 Prozent gesunken.

Fast jeder Türke hat selbst negative Erfahrungen mit Europa-Visa gemacht oder hat Verwandte oder Freunde, die eine geplante Reise nur nach vielen Schwierigkeiten oder überhaupt nicht antreten durften. Sollte es hier Verbesserungen geben, dann werde auch der türkische Enthusiasmus für das EU-Projekt wieder zunehmen, sagen Diplomaten.

Denn die Visumspflicht empfinden die Türken als Schikane – etwa durch die Aufforderung, genügend finanzielle Mittel nachzuweisen. Urlauber oder Geschäftsreisende werden so zu armen Bittstellern gestempelt, lautet die einhellige Meinung. „Jeden Tag werden die Türken damit beleidigt und erniedrigt“, sagt Bahardir Kaleagasi, der Vertreter des türkischen Unternehmerverbandes Tüsiad bei der EU in Brüssel. Die Furcht der Europäer, viele Türken würden ohne Visum nicht mehr in ihre Heimat zurückkehren, hält Ankara für unbegründet. Als aufsteigende Regionalmacht und wirtschaftliches Boomland macht sich die Türkei um die eigene Attraktivität keine Sorgen.

Seit Jahren fordert Ankara von der EU, die Visumspflicht müsse abgeschafft werden. Dass jetzt Gespräche darüber beginnen, liegt daran, dass beide Seiten etwas vom jeweiligen Gegenüber wollen. Die Türkei will die Visumsfreiheit – und die EU will, dass die Türkei dabei hilft, die Zahl der Flüchtlinge in Europa zu senken. Als Gegenleistung für die Visa-Gespräche stellte Ankara den Europäern deshalb die Umsetzung eines seit langem fertig ausgehandelten „Rückübernahmeabkommens“ in Aussicht. Damit würde die Türkei verpflichtet, die mehreren zehntausend Flüchtlinge wieder aufzunehmen, die jedes Jahr über türkisches Territorium in die EU gelangen.

„Parallel“ zu den Verhandlungen über die Visumsfreiheit werde das Flüchtlingsabkommen unterschrieben und angewandt, erklärte das Außenministerium in Ankara ausdrücklich. Aus der Formulierung spricht Misstrauen. Die Türkei will vermeiden, nach erbrachten Vorleistungen in der Flüchtlingspolitik bei der EU beim Thema Visum plötzlich auf Granit zu beißen.

Die Verhandlungen dürften also nicht völlig problemlos ablaufen. Nach Angaben eines hochrangigen türkischen Diplomaten rechnet Ankara dennoch damit, die Visumsverhandlungen in zwei bis drei Jahren abschließen zu können, vielleicht sogar früher.

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