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Stiller Protest gegen Erdogan: Am Dienstag protestierten die Demonstranten auf dem Taksim-Platz im türkischen Istanbul still stehend und schweigend.

© AFP

Türkische Medien werden zum Kriegsschauplatz: Erdogan-Regierung will Regeln für soziale Medien verschärfen

Die Proteste in der Türkei spalten nicht nur das Volk, sondern auch die Medienlandschaft. Auch Twitter wird zunehmend instrumentalisiert - von den Demonstranten sowie der Regierung. Weil Twitter und Facebook für „Hetze und Lügen“ benutzt werden würden, will die Erdogan-Regierung die Regelungen zur Nutzung sozialer Medien verschärfen.

Es war ein dramatisches Bild: Ein verletztes Kind liegt auf einer Trage, Infusionsnadeln im Körper, ein blutgetränkter Verband über dem rechten Auge, ein Stützkorsett um den Hals. Das Foto machte kürzlich bei türkischen Internetnutzern als weiterer Beweis für die Brutalität der Polizei bei der Niederschlagung der regierungsfeindlichen Proteste in Istanbul und anderswo die Runde. Doch dann stellte sich heraus, dass es sich um eine Aufnahme eines Unfallopfers aus dem vergangenen Jahr handelte. Und so wurde das Bild zum Symbol eines ganz anderen Phänomens: Die Medien sind zum Schlachtfeld der Auseinandersetzung zwischen der türkischen Regierung und ihren Gegnern geworden.

Twitter und Facebook würden für „Hetze und Lügen“ benutzt, sagte Innenminister Muammer Güler, der diese Woche neue Regelungen zur Nutzung sozialer Medien ankündigte. An Verbote wie in China werde dabei aber nicht gedacht, versicherte Hüseyin Celik, der Sprecher der Regierungspartei AKP von Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan. Die neuen Vorschriften würden den Standards der EU und „zivilisierten Ländern“ entsprechen. Einzelheiten des geplanten Gesetzentwurfes sind noch nicht bekannt.

Dennoch sorgt die Ankündigung der neuen Regeln für enorme Unruhe in der türkischen Öffentlichkeit, auch weil sich viele Türken nur zu gut an die Einschränkungen der Vergangenheit erinnern: Der Zugang zu Youtube war in der Türkei jahrelang gesperrt.

Insbesondere Twitter ist seit Ausbruch der Unruhen am 31. Mai millionenfach von der Protestbewegung zur Nachrichtenübermittlung und zum Informationsaustausch benutzt worden. In mehreren Städten der Türkei wurden Twitter-Nutzer deshalb festgenommen. Auch die Nachricht über neue Protestformen wie der des „Stehenden Mannes“, bei dem Demonstranten schweigend stehen bleiben und damit gegen Polizeigewalt protestieren, verbreitete sich dank Twitter innerhalb kürzester Zeit.

Die Regierung in Ankara nutzt die Plattform der sozialen Medien ebenfalls nach Kräften. Regierungspolitiker, darunter auch Erdogan selbst, sind täglich in den virtuellen Austauschforen vertreten, um ihre Sicht der Dinge unters Volk zu bringen. So tweetete Erdogan-Berater Mustafa Varank am Mittwoch gegen Regierungsgegner an, die ihren Unmut über Erdogan mit dem lautstarken Einsatz von Autohupen zum Ausdruck bringen. Das sei „nicht Revolution, sondern Herumtreiberei“, schimpfte Varank.

Anlass zur Kritik sieht die Erdogan-Regierung auch bei den internationalen Medien. Erdogan wetterte in den vergangenen Tagen mehrmals über die seiner Meinung nach ungerechte Berichterstattung von CNN, BBC und anderen.

Die türkische Zeitung „Takvim“ veröffentlichte ein erfundenes Interview mit CNN-Starmoderatorin Christiane Amanpour und ließ die angesehen Journalistin sagen, ihr Sender sei von Ölunternehmen, Alkoholherstellern und Finanzinstitutionen zu einer anti-türkischen Linie gezwungen worden – genau das entspricht dem Weltbild der Regierung, die das Land den Angriffen mächtiger Interessen im Ausland ausgesetzt sieht. Amanour beschwerte sich über das erfundene Gespräch, doch „Takvim“ erwiderte, man habe sich damit lediglich für die „Lügen“ von CNN revanchiert.

In der Türkei selbst war die Medienlandschaft schon vor der jüngsten Protestwelle in regierungsfreundliche und -kritische Zeitungen und Fernsehsender gespalten. Doch die Unruhen haben die Polarisierung in bisher nicht gekannter Form weiter vertieft.

Die regierungsnahe Zeitung „Yensi Safak“ etwa verbreitete die Verschwörungstheorie der Regierung, wonach die Protestwelle von Feinden der Türkei im Ausland geschürt worden sein soll. Vor wenigen Tagen berichtete das Blatt, die türkischen Unruhen seien schon im Februar von einer konservativen US-Denkfabrik diskutiert worden.

Mitunter grenzt die einseitige Berichterstattung ans Absurde. Nachdem die gewaltsame Räumung des Gezi-Parks durch die Polizei am vergangenen Samstag die schwersten Straßenschlachten in Istanbul seit langem ausgelöst hatte, titelte die ebenfalls Erdogan-nahe Tageszeitung „Sabah“, die Sicherheitskräfte hätten den Park geräumt, ohne irgendjemanden zu gefährden. „Guten Morgen, Gezi“, lautete die Schlagzeile.

Auf der Seite der Regierungsgegner sieht es teilweise nicht viel besser aus. Das Foto eines Mannes, dessen Rücken von der Schraube eines Motorbootes aufgerissen worden war, machte im Internet als angeblicher Beweis dafür die Runde, dass ein Demonstrant von einem gepanzerten Fahrzeug der Polizei überrollt worden sei. Ein anderes per Twitter verbreitetes Foto zeigte den Arm eines Menschen, der angeblich durch giftige Substanzen im Wasser der Polizei-Wasserwerfer rot angelaufen war – doch das Bild stammte von einer Anleitung zur Behandlung von Verbrennungen.

Einigermaßen unparteiische Medien sind Mangelware. Große Nachrichtensender wie der CNN-Ableger CNN-Türk und NTV blamierten sich in der Anfangsphase der Unruhen, indem sie kaum über die Proteste berichteten. Dabei spielten die außer-medialen Wirtschaftsinteressen der Mischkonzerne eine Rolle, zu denen sie gehören. Dieses Problem wird auch nach einem Ende der Unruhen weiter bestehen bleiben. „Für die meisten Medienchefs (in der Türkei), sind Zeitungen kaum mehr als ein Vehikel, um sich bei den Behörden beliebt zu machen“, schrieb der polische Journalist Piotr Zalewski in der US-Zeitschrift „Foreign Affairs“.

Selbstzensur ist die Folge: Kein Regierungspolitiker musste bei CNN-Türk anrufen, um den Sender dazu zu bringen, die Proteste zu ignorieren. Und wenn das nicht funktioniert, gibt es andere Mittel. Vier Fernsehsender wurden von der Fernsehaufsichtsbehörde im Zusammenhang mit Berichten über die Gezi-Proteste zu Geldstrafen verurteilt.

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