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Politik: Türkischer Wirtschaftsminister tritt zurück Dervis bemüht sich um Kooperation

der zersplitterten Parteien

Istanbul. Der türkische Wirtschaftsminister Kemal Dervis, der als Architekt der wirtschaftlichen Reformen gilt, ist am Samstag zurückgetreten. Die Probleme des Landes könnten nicht gelöst werden, solange das politische System von Zwist und Zersplitterung geprägt sei, sagte er. Der 53-Jährige hatte in der vergangenen Woche bereits seine Zusammenarbeit mit der „Partei für eine neue Türkei“ des ebenfalls zurückgetretenen Außenministers Ismail Cem angekündigt. Regierungschef Bülent Ecevit ernannte noch am Samstag den Abgeordneten Masum Türker zum neuen Wirtschaftsminister, wie die Nachrichtenagentur Anadolu meldete.

Wirtschaftswachstum, Wohlstand und Beschäftigung könnten nur von einer starken und geeinten politischen Führung gesichert werden, betonte Dervis. Er wolle sich deshalb um eine Vereinigung der zersplitterten Kräfte links der Mitte bemühen, um mit einem solchen Bündnis bei den Neuwahlen im November an die Regierungsmacht zu kommen. „Die Türkei braucht nicht nur eine Koalition oder irgendeine Verständigung zwischen den Parteien, sie braucht eine politische Kraft, deren Mitglieder sich wirklich und wahrhaftig einig sind über die Zukunft des Landes, was für diese Zukunft zu tun ist und wie dies zu leisten ist“, begründete Dervis seine Vision von einer Art Volkspartei oder einem möglichst engen Bündnis nach diesem Muster.

Andernfalls werde wegen der Zersplitterung der Parteienlandschaft auch aus der kommenden Wahl wieder keine handlungsfähige Regierung hervorgehen. Weil das sozialdemokratische und das konservative Lager in der Türkei in jeweils mehrere Parteien gespalten sind, liegt die gemäßigt-islamistische AK-Partei in den Umfragen mit nur 20 Prozent weit vorne – obwohl es sich auch bei ihr um eine Abspaltung vom islamistischen Lager handelt.

Mit seinem Rücktritt kam Dervis einer Aufforderung von Ministerpräsident Bülent Ecevit nach, der ihn vor die Wahl zwischen seinenm Ministeramt und seinen Bündnisbestrebungen gestellt hatte. Der Volkswirt Dervis, den Ecevit nach Ausbruch der tiefen Wirtschaftskrise vor eineinhalb Jahren von der Weltbank nach Ankara geholt hatte, gilt als Garant der von ihm eingeleiteten Wirtschaftsreformen. Von seinem Ministerposten war er schon im Juli einmal zurückgetreten, um sich einem politischen Neubeginn zu widmen. Damals hatte er seine Demission aber auf Intervention des Staatspräsidenten wieder zurückgezogen.

Anders als noch im Juli wird diesmal aber nicht mit neuen Panikreaktionen an der Börse gerechnet, weil sein erneuter Rücktritt bereits seit einiger Zeit erwartet worden ist. Die entscheidende Frage ist nun, ob der bisher völlig unbekannte Abgeordnete Türker, den Ecevit umgehend zum Nachfolger ernannte, das Land auf Reformkurs halten kann.Susanne Güsten

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