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Tunesien-Tagebuch, Teil 4: "Facebook spielt wichtige Rolle"

Eine 24-jährige Lehrerein aus Sousse über die Bedeutung des Internets.

Ich weiß nicht, was wir ohne das Internet machen würden. Facebook spielt eine wichtige Rolle für diesen Aufstand: Über Facebook sind wir immer alle vernetzt. Über Facebook unterstützen wir uns gegenseitig, über Facebook rufen wir zum Blutspenden auf, über Facebook verteidigen wir uns gegen die Milizen, wir warnen unsere Freunde: „Passt auf, ein auffälliges Auto fährt durchs Viertel, bewaffnete Milizen sind unterwegs …“ Als der Protest begann, sind auf Facebook Videoclips aufgetaucht, die das Regime kritisiert haben. Die jungen Leute, die sie hergestellt haben – sie sind sehr gebildet und kultiviert –, wurden aber leider festgenommen. Das hat die Wut angeheizt. Auch der Videoclip des tunesischen Rapsängers Hamada Ben-Amor, der sich „der General“ nennt, war wichtig. Es ging darin um das Elend, die Korruption, die Diktatur, die Ungerechtigkeit. Und vergessen wir nicht Wikileaks: Natürlich wurde auch davor schon über Korruption gesprochen, aber wir hatten keine konkreten Beweise! Wikileaks hat alles bestätigt, was die Leute sich so erzählen.

Ich kann gar nicht wirklich sagen, wie ich mich gerade fühle. Alles ist so ungewiss. Was mir ein bisschen Hoffnung gibt, ist, dass die Tunesier vereint sind. Die Arbeiter und Beamten werden ab Dienstag wieder einen Teil des Tages arbeiten. Aber die Schulen bleiben geschlossen. Das ist doch kein gutes Zeichen, denn wenn alles gut wäre und die Armee die Situation unter Kontrolle hat, warum nehmen wir dann den Unterricht nicht wieder auf? Ich hoffe, ich kann bald wieder unterrichten.

In der Hauptstadt demonstrieren noch Hunderte und fordern die gesamte Regierungspartei zum Rücktritt auf. Hier in den Küstenstädten – Sousse, Monastir, Nabeul, Mahdia – ist es schon ruhiger.

Was mich beunruhigt: Es gab Zusammenstöße an der Grenze zu Libyen, Gaddafi ist gegen uns. Es gibt jetzt an vielen Orten Checkpoints. Anscheinend suchen sie Waffen, die aus Libyen eingeschmuggelt wurden.

In zwei bis drei Tagen werden wir nichts mehr zu essen haben. Man muss jetzt schon stundenlang vor der Bäckerei auf neues Brot warten. Frankreich hat uns nicht unterstützt, obwohl fast unsere gesamte Wirtschaft von ihnen abhängt. Sie täten gut daran, uns mit Lebensmittellieferungen zu helfen.

Wir hängen jetzt überall die Poster von Ex-Präsident Ben Ali ab und die Leute applaudieren. Das ist ein gutes Gefühl. Und noch etwas, das wir vorher nie gemacht haben: Wir gehen in die Moschee, um Koranlesungen anzuhören. Das tut irgendwie der Seele gut. Es gibt immer noch Zensur, immer noch werden Internetseiten gesperrt. Aber wir haben keine Angst mehr vor dieser Kontrolle. Jeder kann mir alles schicken. Ich bin frei!

Protokolliert von Karin Schädler.

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