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Viele Ägypter haben Angst vor einem neuen Diktator und gehen deswegen gegen Präsident Mursi auf die Straße.

© Reuters

Tunesien und Libyen: Was vom Umbruch bleibt

In Ägypten treibt das Verhalten Präsident Mursis Zehntausende auf die Straße – sie fühlen sich um den Erfolg der Revolution betrogen. Wie ist die Situation in Tunesien und Libyen, den anderen Ländern der Arabellion?

„Wir werden hart durchgreifen gegen alle, die auf der Freiheit anderer herumtrampeln.“ Endlich sparte Rachid al Ghannouchi nicht mehr mit klaren Worten. Nach monatelangem Straßenterror gegen Andersdenkende, Künstler und Universitätsprofessoren sagte der Chef der tunesischen Ennahda-Muslimbrüder jetzt den radikalen Salafisten offen den Kampf an. Seitdem geht Tunesiens Polizei entschiedener vor, hat mehr als 350 Fanatiker festgenommen, drei Dutzend befinden sich im Hungerstreik.

Nicht nur Ägypten, auch Tunesien und Libyen erleben seit dem Sturz ihrer Diktatoren harte innere Konfrontationen und ein verbissenes Ringen um die künftige Stellung des politischen Islam. „Gaddafi davonzujagen, das war der einfachste Teil“, sagt Iman Bughaigis, die in den ersten sechs Monaten des Volksaufstands 2011 als Sprecherin des Provisorischen Nationalrats in Bengasi fungierte. „Die friedlichen Parlamentswahlen sind ein Meilenstein, alles andere aber bisher nur Krisenmanagement.“

Anders als das schwergewichtige Ägypten haben sich Tunesien und Libyen bei ihren ersten Schritten in die post-revolutionäre Zukunft von internationalen Experten beraten lassen. So bestimmten beide Nationen an den Wahlurnen zunächst eine provisorische Volksvertretung, die Übergangspräsidenten und Übergangsregierung wählt sowie eine verfassunggebende Versammlung generiert. Erst wenn die neue Verfassung vom Volk per Referendum gebilligt ist, wird neu und für eine komplette Legislaturperiode gewählt.

Ägypten dagegen schlug diesen Rat in den Wind. Der Oberste Militärrat wollte sich nicht von außen reinreden lassen, die herrschenden Generäle waren erfüllt von dem Selbstbewusstsein einer großen Nation mit 5000-jähriger Staatserfahrung. Die Muslimbrüder plädierten ebenfalls vehement dafür, zunächst ein neues Vollparlament zu wählen und damit in der Staatsordnung den zweiten vor dem ersten Schritt zu tun. Ihre Führung sah sich damals getragen von einer hohen Welle der Sympathie und wollte die opulente Machternte möglichst rasch unter Dach und Fach bringen. Seit das Verfassungsgericht jedoch im Juni 2012 die Volksvertretung auflöste, die Zweidrittelmehrheit von Muslimbrüdern und Salafisten annullierte, gerät Ägyptens Übergangsprozess samt Verfassunggebung immer mehr aus dem Tritt.

Anders als in Ägypten sind die demokratisch gewählten Proto-Parlamente in Tunesien und Libyen bisher unangefochten und respektiert. In Tunesien regiert eine Koalition aus Muslimbrüdern mit linksliberalen Säkularen. Ennahda formt nicht zusammen mit Salafisten ein übermächtiges Islamistenlager, sondern neigt eher zu den säkularen Kräften. Und in der neuen Verfassung hat sie von vornherein auf jeden Scharia-Bezug verzichtet.

Libyen dagegen ist eine traditionell denkende Gesellschaft, in der keine säkular denkenden, urbanen Milieus existieren. Gewaltexzesse wie die Angriffsserie im September auf Sufi-Heiligtümer durch Salafisten lehnt die große Mehrheit ab. Einen generellen Scharia-Bezug in der Verfassung versteht sie als selbstverständlichen Ausdruck islamischer Identität. Entsprechend geht es in Libyens Machtpoker vor allem um die konkrete Verteilung von Ministerposten, Abgeordnetenmandaten und Öleinkommen zwischen dem Westen und Osten des Landes sowie seinen vielfältigen Stammesregionen.

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