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Mike Pence und Kamala Harris.

© AFP

TV-Debatte Harris vs Pence: Amerika ist noch da!

Kaum zu glauben, aber die Vizepräsidentschaftskandidaten Harris und Pence wecken Hoffnungen für die Zeit nach Trump. Eine Analyse.

Von Anna Sauerbrey

In diesen Tagen erzählen die ersten Republikaner in Washington Journalisten, dass sie nicht mehr daran glauben, die Wahl noch gewinnen zu können. Zunehmend stellt sich deshalb die Frage: Wie viel ist kaputt gegangen – und wie schnell könnte das Land reparieren, was Trump zerstört hat? Das TV-Duell der Kandidaten für die Vizepräsidentschaft kann man als eine optimistische Antwort auf diese Frage sehen: Amerika ist noch da – das Amerika der Vor-Trump-Ära.

Um das Duell zu deutscher Zeit zu verfolgen, brauchte es zwar deutlich mehr Kaffee als vor rund einer Woche, als Donald Trump das Land mit einer Brüllshow versorgte. Eigentlich aber ist das die beste Nachricht. Es war ruhig, sachlich, ja manchmal sogar ein bisschen langweilig. Das Aufregendste für viele Twitterer war ein schwarzer Punkt auf Mike Pence ansonsten makelloser weißer Chevellüre, wahrscheinlich eine Fliege. Kurz: Es war normal und gut. Drei Punkte gilt es festzuhalten:

1. Es gibt sie noch, die Sachfragen. Auch nach drei Jahren Trump hat sich nicht alles in einer postfaktischen Lügensauce aufgelöst. Es gab tatsächlich so etwas wie eine inhaltliche Auseinandersetzung, zum Beispiel über die Frage, wen Trumps Steuerreform begünstigt hat oder ob es reicht, auf Erd- und Schiefergas zu setzen, um CO2 einzusparen und den Klimawandel aufzuhalten – wobei beide anerkannten, dass es den Klimawandel gibt.

Nicht, dass die Kandidaten nicht Unwahres gesagt oder sich gegenseitig falsche Zitate in den Mund gelegt hätten. Wahrhaft populistische Momente aber hielten sich in Grenzen. Einmal behauptet Pence, Trump habe sich gar nicht geweigert, Rechtsextreme zu verurteilen – das sei nur die „selektive Berichterstattung der Medien“, einmal, ganz zum Schluss, erwähnt er das berühmte „Establishment“. Das war’s. Ganz gut für 2020.

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2. Es gibt sie noch, die klassischen ideologischen Unterschiede zwischen Demokraten und Republikanern – jenseits von Identitäts- und Kulturkampffragen. An mehreren Stellen schien die klassische Trennlinie von „mehr Staat“ versus „mehr Freiheit“ auf, zum Beispiel bei der Frage, wie stark man Regeln in der Pandemie vorgeben oder den Bürgern die eigenverantwortliche Entscheidung überlassen darf. Diese Fragen schienen auf, ohne von verschwörungstheoretischem Geraune vom „Tiefen Staat“ oder von der Dystopie der Anarchie begleitet zu werden. Man kann sagen, die Auseinandersetzung wurde in die Mitte eingehegt.

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In der Klimadebatte konnte man außerdem das fast klassische Ringen zwischen Konservativen und Progressiven erkennen, wie schnell und wie radikal der Wandel sein müsse. Anders als in einer der demokratischen Debatten erwähnt Harris ihre Hautfarbe hingegen nur genau ein Mal – und spricht sonst vor allem über sich als Staatsanwältin. Pence wiederum gratuliert ihr zur „historischen Natur ihrer Nominierung“ – als erste Frau und erste schwarze Frau, die als Vizepräsidentin kandidiert.

3. Es gibt sie noch, die Profis. Sowohl Kamala Harris als auch Mike Pence waren gut vorbereitet. Sie kannten die Fakten und konnten sie abrufen. Sie wussten um die Schwachpunkte des jeweils anderen Teams und brachten sie punktgenau an, sie stellten sich selbst nicht zu sehr in den Vordergrund, sondern glichen Schwächen ihrer Präsidentschaftskandidaten aus.

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Harris startete etwa mit einer Attacke auf Trumps Coronavirus-Bilanz, geißelte riskante außenpolitische Manöver des Präsidenten wie die Ermordung des iranischen Militärs Qasem Soleimani und betonte seine Verachtung für Amerikaner mit niedrigen Einkommen.

Pence zeigte Empathie für die Opfer der Coronavirus-Krise und von Polizeigewalt (was Trump nie hinbekommen hat), bekam Harris bei der Frage zu fassen, ob die Demokraten das Verfassungsgericht erweitern würden, um das durch Trumps Besetzungen hergestellte konservative Übergewicht auszugleichen (darauf hatte sie keine Antwort) und stellte Biden als zu schwach gegenüber China dar. Alles ziemlich erwartbar – ein perfekter politischer Duell-Tango. Blitzumfragen unter Zuschauern sehen Harris als Gewinnerin.

Gewonnen hat also vor allem die Zivilität. Was die Kandidaten angeht, zeigten beide viele Stärken und wenige Schwächen. Harris dosierte ihr Charisma, wirkte dadurch ruhiger und präsidentieller, ließ dabei aber auch zu, dass der dröge Pence nicht völlig unterging. Pence wird allerdings mit seinem soliden und teils auch geschickten Auftritt wahrscheinlich kaum so viel Boden gut machen können, um Trumps desaströse Lage im Wahlkampf zu drehen oder auch nur den Flurschaden des ersten Duells zu kompensieren. 

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