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Schleswig-Holstein

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TV-Duell in Schleswig-Holstein: Wütender Landesvater streitet mit aggressivem Herausforderer

Milliardengrab HSH-Nordbank, Chaos-Atomkraftwerk Krümmel und riesige Landesschulden: Harte Themen und Töne bestimmten das Kieler TV-Duell zwischen Carstensen und Stegner.

"Seien Sie doch mal still", schnauzte der Ministerpräsident seinen Herausforderer an und unterbrach kurz darauf wie so oft den Kontrahenten selber. "Er ist nervös", kommentierte der Landesvorsitzende der SPD daraufhin die Zwischenrufe des Ministerpräsidenten.

Die Stimmung beim TV-Duell der Spitzenkandidaten in Kiel war aufgeheizt. Der schleswig-holsteinische Ministerpräsident Peter Harry Carstensen von der CDU und Ralf Stegner von der SPD setzten die persönlichen Angriffe aus dem Wahlkampf auch vor den Fernsehkameras des Norddeutschen Rundfunks (NDR) in Kiel fort. Dem Moderator Andreas Cichowicz, Chefredakteur des NDR, gelang es nur selten, die Streitlust der Spitzenkandidaten zu bremsen oder in vernünftige Bahnen zu lenken.

Feinde oder Gegner?, fragte der Moderator zu Beginn. Die beiden Streithähne ließen keinen Zweifel an der Antwort und daran, dass sie zusammen keine Regierung bilden werden. "Wir haben keine Problem mit der SPD gehabt, wir haben ein Problem mit Herrn Stegner gehabt", sagte Carstensen. Stegner konterte, dass der CDU-Politiker ihm die Schuld an allen Pleiten der CDU geben wolle. "Waren Sie nicht die vergangenen Jahre Ministerpräsident?", fragte er.

Der Ton ist rau geworden im Land zwischen den Meeren. Aus Reihen der CDU wurde Stegner im Wahlkampf als "Kotzbrocken" beschimpft. Mancher Sozialdemokrat bezeichnete Carstensen als "Dorfdeppen". Stegner warf Carstensen im TV-Duell vor, die SPD-Minister im Kabinett wie "Eierdiebe" davon gejagt zu haben. Der Regierungschef hatte dabei nicht einmal "die Traute, es ihnen selber zu sagen", sagte Stegner. Carstensen beschuldigte ihn daraufhin, die Unwahrheit zu sagen.

Von Harmonie wie im TV-Duell zwischen Merkel und Steinmeier war in Kiel nichts zu spüren. Das Streitgespräch machte seinem Namen alle Ehre, bei der Wahlentscheidung half die Sendung den Zuschauern vermutlich wenig. Die persönliche Abneigung der Kandidaten überlagerte die Sachthemen.

Der 62-jährige Carstensen und der 49-jährige SPD-Landesvorsitzende unterscheiden sich nicht nur äußerlich deutlich. Das Duell zwischen ihnen ist ein Duell zwischen einem Bauchpolitiker und einem Kopfmenschen. Der volksnahe Ministerpräsident kann hohe Beliebtheitswerte verbuchen – auch wenn diese seit Wochen fallen. Sein Herausforderer hingegen überzeugt die Wähler in Schleswig-Holstein mit seiner Kompetenz, vor allem bei sozialen und bildungspolitischen Fragen.

Vor den Kameras zeigte sich vor allem Peter Harry Carstensen aggressiv. Er agierte, als wolle er seinen Ruf als gemütliches, stets lächelndes, gutgelauntes Nordlicht innerhalb von 60 Minuten komplett und für immer widerlegen. Kaum, dass sich beide Kandidaten zu Beginn einen fairen Umgang versprochen hatten, eröffnete Carstensen die Offensive. Gar nicht präsidial ätzte Carstensen, im Gegensatz zu Stegner müsse er sich keinen Zettel mit einem Smiley ans Pult kleben, um das Lachen nicht zu vergessen.

Stegner, der erneut auf die häufig kritisierte Fliege verzichtete und ein offenen Hemdkragen trug, konterte meist recht ruhig, provozierte Carstensen aber immer wieder mit kleinen Spitzen. Carstensen sprang auf jede hingeworfene Bemerkung an und wirkte häufig nervös.

Schwächen zeigten aber beide Politiker. Stegner drückte sich auffällig um klare Antworten, wenn der Moderator ihn nach der Finanzierung für seine Pläne fragte. "Gebührenfrei von der Kita bis in Studiums", ist eine solche Forderung Stegners. Finanziert werden soll dies durch höhere Steuern bei Spitzenverdienern und der Verkleinerung der Verwaltung. Doch die Finanzierungsideen blieben vage. Und auch zu einer möglichen Zusammenarbeit mit der Links-Partei nach der Wahl wollte er keine klare Aussage treffen.

Die Finanzen Schleswig-Holsteins war der Schwerpunkt der Sendung. "Schleswig-Holstein ist nicht pleite", belehrte zwar Carstensen den Moderator – aber die Zahlen sprechen eine andere Sprache.

Mit 25,7 Milliarden Euro ist das Bundesland verschuldet. Milliarden, die das Land nicht hat, flossen in die HSH-Nordbank. Die Krise der norddeutschen Landesbank gehört zu den wichtigsten Wahlkampfthemen. Auch dass der Chef der HSH-Nordbank, Dirk Jens Nonnenmacher, trotz aller Probleme der Bank eine Prämie von 2,9 Millionen Euro erhielt, war Thema im Duell. Stegner prangert die Sonderzahlung an den Banker an. Er beschwerte sich, dass eine entlassene Hertie-Verkäuferin keine Abfindung bekomme, Nonnenmacher aber das Geld hinterher geworfen werde.

Unterschiede zwischen den beiden Kandidaten wurden auch in der Bildungs- und der Energiepolitik deutlich. Stegner sprach sich gegen die Regelschule und vehement gegen die Atomenergie aus. Carstensen kündigte an, nach langem Streit nun in der Bildungspolitik das System nicht mehr ändern zu wollen. Und die Atomenergie würde als Brückentechnologie noch gebraucht.

Ein klarer Sieger war nicht zu erkennen. Stegner machte einen überraschend souveränen, Carstensen einen kämpferischen Eindruck.

Beide sind auf Stimmenzugewinne angewiesen, um mit ihren Wunschpartnern regieren zu können. Für das von Ministerpräsident Carstensen bevorzugte schwarz-gelbe Bündnis gibt es nach den letzten Umfragen vor der Wahl keine Mehrheit mehr – gemeinsam kommen sie auf 45 Prozent. Rot-grün und der Südschleswigsche Wählerverband (SSW) liegen gemeinsam ebenfalls bei 45 Prozent. Die Linke erreicht sechs Prozent. 

Von dem Streit der Großen profitieren die Kleinen. Das Dauergezänk in der Großen Koalition und das unwürdige Ende der schwarz-roten Regierung haben Grünen und Liberalen eine bislang im Norden unbekannte Stärke beschert.

Für die Sozialdemokraten sehen die Machtoptionen nach der Wahl indes nicht rosig aus. FDP-Fraktionschef Wolfgang Kubicki hat eine Zusammenarbeit mit Ralf Stegner abgelehnt. Auch die CDU hat ausgeschlossen, mit einer SPD unter Stegner zu koalieren. Im Norden bleibt es auch nach dem Duell spannend. Und in der schleswig-holsteinischen Politik dürfte sich der Umgangston in den kommenden Wochen kaum bessern.

Quelle: ZEIT ONLINE

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