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Duell

© dpa

TV-Duell: Kollision einer Koalition

"Ordentlich zusammengearbeitet" haben sie. Und "vieles erreicht". Kontroversen? Die lieferten sich Angela Merkel und ihr Herausforderer Frank-Walter Steinmeier lieber mit den Moderatoren. Über ein Duell, das zum Duett geriet.

Von Robert Birnbaum

Frank-Walter Steinmeier schaut streng nach rechts. Rechts vom Kanzlerkandidaten, präzise 2,40 Meter rechts von ihm steht die Kanzlerin. Dramatischer als die Wirtschaftskrise, sagt Steinmeier, „dramatischer ist die Krise in den Köpfen!“ Angela Merkel verzieht leicht den Mundwinkel. „Das wird auch nicht genug gesehen auf Ihrer Seite, Frau Merkel!“ Frau Merkel verzieht die Mundwinkel noch mehr.

Der Herausforderer, sagt eine der Grundregeln des Fernsehduells, muss angreifen, sonst bleibt er ganz von selbst die Nummer Zwei. Das Duell im Studio B ist jetzt acht Minuten alt, und der Herausforderer hat sich offenbar vorgenommen, die Regel vom Start weg zu beherzigen.

Eine gute Stunde vorher sind sie angekommen im Studiokomplex im Technologiepark Adlershof. Steinmeier zuerst, dunkler Anzug, roter Schlips; er zieht sich die Jacke vor dem Auto mit weit ausholender Geste an wie einen Kampfanzug. Seine Frau Elke Büdenbender ist mitgekommen, einen roten Schal lässig um den Handtaschenriemen geschlungen. Merkels schwarze Limousine fährt kurze Zeit später vor. Sie blickt etwas angespannt hinter der Scheibe, pünktlich mit dem Öffnen der Wagentür geht aber das Lächeln an. Dunkler Hosenanzug übrigens, der Vollständigkeit halber vermerkt, dazu eine lachsrote Korallenkette.

Modisch ergibt das ein Unentschieden. Also genau das, was einer wie der einstige Stoiber-Berater Michael Spreng bereits Tage vor dem Sonntagabend als den sicheren Ausgang dieses ganzen Duells prophezeit hat. Dabei sollte Spreng wissen, dass der Schlagabtausch im Scheinwerferlicht für Überraschungen gut ist. Hat nicht einst sein Schützling Edmund Stoiber den Super-Kanzler Gerhard Schröder auf Distanz gehalten, weil das Publikum erstaunt feststellte, dass der Bayer verständliche Sätze ohne achtfaches „äh“ zustande brachte? Das Duell ist die Chance des Herausforderers. Im Duell gilt kein Amtsbonus, es herrschen Augenhöhe und Waffengleichheit.

Das war im Wilden Westen so, das ist in der zivilisierten Demokratie nicht anders.

Es ist in diesem Duell sogar mustergültig: Als nach einer halben Stunde zum ersten Mal die Redezeiten eingeblendet werden, ergibt sich präziser Gleichstand: 13 Minuten und 19 Sekunden für Merkel wie für Steinmeier. Schon wieder unentschieden.

Ein Unterschied zwischen dem Wilden Westen und der Fernsehdemokratie muss allerdings gleich vermerkt werden: das Studio H. Das liegt direkt neben dem Austragungsort, eine riesige Halle, an deren Decke jemand futuristisch blaue und rote Lichtobjekte montiert hat, weshalb das Ganze stark an die „Raumpatrouille“ erinnert. Hier verfolgt die Presse an drei gigantischen Bildschirmen das Ereignis. Die Presse – und die Spindoctors. Man kann ja gar nicht früh genug anfangen damit, dem Ereignis die eigene Deutung zu verpassen!

Darum schlendern Parteisprecher umher und lassen mal eben fallen: „Ich hab' sie ernst und konzentriert erlebt!“ Der CDU-Generalsekretär Ronald Pofalla ist mal eben zum Rauchen vor die Tür gekommen. Ob Merkel sich von jemand hat coachen lassen, womöglich mit Probe-Duell im Kanzleramt? Pofalla winkt ab: „Staatsgeheimnis!“ Der SPD-Vorsitzende wird sofort von Kameras umlagert. Ob er glaubt, dass Steinmeier als Kandidat gut wegkommt? „Da geht’s nicht um glauben!“ raunzt Franz Müntefering. „Da geht’s um handfesten Austausch von Argumenten!“

Na gut, hören wir also mal rein. Das Moderatorenquartett – Frank Plaßberg und Maybrit Illner, Peter Klöppel und Peter Limbourg – ist bei der sozialen Gerechtigkeit angekommen. Welche Note, Frau Merkel, würden Sie Deutschland in diesem Fach heute geben? „Ich bin doch keine Lehrerin“, sagt die CDU-Chefin. Dass sie aber jedenfalls möchte, dass es noch gerechter zugeht. Welche Note, Herr Steinmeier? „Im vorigen August“, sagt der Herausforderer, „hätt’ ich gesagt, wir bewegen uns von Befriedigend auf Zwei.“ Aber dann, die Krise – dass er aber jedenfalls möchte, dass es sehr viel gerechter zugehe und dass nicht Kassiererinnen rausgeschmissen würden wegen 1 Euro 30, während Manager für ihr Versagen...

Auf die Manager, unterbricht ARD-Mann Plaßberg, komme man später noch.

Steinmeier will aber auf die Manager nicht später kommen. Er will jetzt sagen, dass die SPD die Managerboni begrenzen will. Er will jetzt sagen, dass man dafür nicht nur, Frau Merkel, auf die internationale Ebene warten dürfe, sondern hier und im eigenen Land tätig werden müsse. Merkel will aber ebenfalls etwas zu den Managern sagen: dass sie es nämlich auch nicht in Ordnung findet, wenn einer wie der Arcandor-Chef Eick für kein halbes Jahr Arbeit 15 Millionen Euro mit nach Hause nimmt.

Falls jetzt jemand den Eindruck bekommen sollte, dass es an diesem Abend ein bisschen konfus zugeht, ist das durchaus korrekt. Die Moderatoren mühen sich, aber ein roter Faden fehlt, und die beiden da vorne haben sich erkennbar sowieso vorgenommen, das loszuwerden, was sie loswerden wollen. Da kann man keine Rücksicht auf die Fragen nehmen. „Jetzt lassen Sie mich mal meinen Satz zu Ende vortragen“, stoppt Merkel mehrmals Versuche, Ausschnitte aus ihrer Wahlkampfrede abzukürzen. „Haben Sie doch einfach Interesse an meinen Argumenten“, wirft Steinmeier ein. Also auch hier – unentschieden?

Der Wahrheit die Ehre zu geben – nicht ganz. Man hat in den letzten Tagen und Wochen und gerade im Fernsehen öfter einmal einen unkonzentrierten Kanzlerkandidaten erlebt, dem der Schweiß auf die Stirn tritt und der vor Verlegenheit zu laut lacht. An diesem Sonntagabend ist der Mann, dem das Etikett des politischen Beamten anklebt, präzise und gut vorbereitet. Als Merkel zu einem ihren wenigen Gegenangriffe ansetzt – es geht um die Frage der künftigen Koalitionen, um Schwarz-Gelb oder Ampel oder Rot-Rot, und Merkel anmerkt: „Herr Steinmeier hat Frau Ypsilanti nicht verhindern können“ – da lacht Steinmeier einfach. „Es wird nicht Schwarz-Gelb geben“, sagt er. Dass die Koalitionsfrage tatsächlich ein Schwachpunkt des Kandidaten ist, weil das einzige Bündnis, das ihm den Weg ins Kanzleramt bei nüchterner Betrachtung ebnen kann, die Ampel mit der FDP ist, wird so nur ganz kurz angerissen.

Und so entsteht an diesem Abend ein Bild, das sich nicht ganz mit dem deckt, das bisher den Wahlkampf geprägt hat. Merkel wirbt für die soziale Marktwirtschaft, wie sie sie versteht. Merkel verteidigt die große Koalition, mit der man durchaus etwas geschafft habe in diesen Krisenzeiten, und sie lässt sich auch nicht durch die mäkelnde Moderatorenbemerkung aus der Reserve locken, dass die Kanzlerin und ihr Vizekanzler jetzt hier „wie ein älteres Ehepaar“ wirken, das sich nur ein wenig zankt.

Selbst das Geburtstagsessen für Deutsche-Bank-Chef Ackermann bringt Merkel nicht aus dem Takt: Es werde auch weiter im Kanzleramt Abendessen für Vertreter der verschiedenen Gesellschaftsgruppen geben. Merkel wirbt dezent für ein Bündnis mit der FDP („Ich strebe eine andere Koalition an“), weil darin vieles einfacher würde: Bürokratieabbau zum Beispiel, die Freundlichkeit gegenüber Forschung, die Steuerpolitik. Und in ihrem Schlusswort, als letzte, hält sie ebenfalls ihre Linie: „Für einen handlungsfähigen Staat brauchen wir klare Verhältnisse. Gemeinsam können wir viel bewegen.“ Hinterher im Studio H werden ihre Leute die Parole verbreiten, die Kanzlerin habe sich nicht in kleinliche Streitereien verstricken lassen, sondern sei Staatsfrau geblieben.

Aber Steinmeier hat mindestens auch einen Punkt gemacht. Sehr beharrlich hat er den Sozialdemokraten hervorgekehrt, immer wieder. Gerechtigkeit, gerechte Löhne, Managergehälter begrenzen. „Schwarz-Gelb wird bedeuten, dass die Schere zwischen Arm und Reich noch weiter auseinanderklafft“, sagt er in seinem Schlusswort. Und Atomkraft, immer wieder Atomkraft. Das Atom, haben sie bei der SPD analysiert, ist Merkels schwacher Punkt. „Ich halte den Rückzug in die Atomtechnik für nicht verantwortbar“, sagt Steinmeier. „Ich steh’ dafür, dass es beim Ausstieg aus der Atomtechnik bleibt.“ Drei Mal Anti-Atom im Schlusswort.

Steinmeier, sagen hinterher etliche im Studio H – und nicht nur die mit SPD-Parteibuch – habe seine sozialdemokratische Wählerschaft besser und genauer angesprochen als Merkel ihre christdemokratische. Ob das am Ende viel nützt – eine ganz andere Frage. Aber er hat seine Chance genutzt.

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