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Politik: Twitter regiert Venezuela

Kriminalität, Streiks, Versorgungsengpässe: Der krebskranke Hugo Chavez muss zunehmend um seine Wiederwahl bangen

Jahrelang regierte Hugo Chavez Venezuela mittels seiner sonntäglichen Marathon-Fernsehsendung „Alo Presidente“, nun ist er wegen seiner Krebserkrankung zum Twitter-Präsidenten mutiert. „Wir waren die besten, es lebe das Vaterland!“ zwitscherte der Staatschef am Mittwoch von Kuba aus nach der Niederlage der heimischen Fußballelf gegen Paraguay im Halbfinale des Amerika-Cups.

Wenige Tage zuvor, kurz vor seinem Abflug zur Chemotherapie nach Kuba, hatte der krebskranke 56-Jährige zwar ein paar Funktionen an seinen Vizepräsidenten und seinen Planungsminister delegiert – doch kaum angekommen auf der Karibikinsel ließ er keine Zweifel daran, dass er weiter das Zepter in der Hand zu halten gedenkt: „Guten Morgen Jungs und Mädels aus ganz Venezuela. Ich habe gerade 162 Millionen Bolivares der Sozialmission Francisco de Miranda zugewiesen“, verkündete er per Twitter (@chavezcandanga). Und prägte gleich einen neuen Schlachtruf der sozialistischen Republik: „Wir werden leben und siegen.“

Vor seinem Abflug unterzeichnete Chavez außerdem noch ein Dekret zur Preiskontrolle, das bei den Unternehmern große Proteste hervorrief und den Marsch in den Sozialismus forcierte. Doch hinter der kämpferischen, siegesgewissen Rhetorik blickt das Land, dem die Opec gerade die größten Erdölreserven weltweit bescheinigt hat, in eine ungewisse politische Zukunft. Im kommenden Jahr stehen Präsidentschaftswahlen an, und während die Opposition bereits die Messer wetzt und Vorwahlen plant, um den aussichtsreichsten gemeinsamen Kandidaten gegen den seit zwölf Jahren unangefochten regierenden Chavez zu finden, wachsen die Sorgen im Regierungslager. Chavez’ Krebserkrankung bedeutet zwar nicht das Ende des Chavismo, und auch Regierung und sozialistische Einheitspartei (PSUV) halten am Wiederwahlszenario für 2012 fest. Doch Chavez’ Krankheit hat seinen Gefolgsleuten deutlich gemacht, dass auch ihr Idol sterblich ist. Auf einen Schlag wird der Hyperpräsidentialismus des charismatischen Führers vom politischen As zu einer besorgniserregenden Schwäche. „Ohne eine stabile politische Partei oder Organisation, ohne Führungskräfte und ohne eine organisierte, entscheidungsstarke Basis beruht das einzige Kontinuitätsversprechen des Chavismus auf den Hurrarufen einer verunsicherten Menschenmenge in roten T-Shirts“, schreibt der Kommentator Simon Pachano in der ecuadorianischen Zeitung „El Universo“. Denn in den Reihen des Chavismus tobt ein erbitterter Kampf um Macht und ökonomische Pfründe – eine bewusste Strategie des machiavellischen Staatschefs, der dabei immer das letzte Wort behält. Dass er nun nicht nur Vizepräsident Elias Jaua Vollmachten erteilte, sondern ihm auch noch den italienischstämmigen Betonkommunisten, Planungsminister Jorge Giordani, als Aufpasser zur Seite stellte, gehorcht der römischen Devise vom Herrschen und Teilen. Designierte Nachfolger sind sie jedoch nicht. Keiner genießt große Popularität bei den Basis-Chavistas, und die einflussreichsten Politiker, die unter der Hand als mögliche Anführer einer Transition geführt werden, sind andere: Chavez’ Bruder und Gouverneur im heimatlichen Bundesstaat Barinas, Adan, oder der ehemalige Vizepräsident Luis Vicente Rangel.

Dass nun über heimliche Kontakte zwischen Chavistas und der Opposition spekuliert wird, liegt nicht nur an Chavez’ Krebs. Angesichts von Energie- und Versorgungsengpässen, hoher Kriminalität, Ärztestreiks und Gefängnismeutereien, ist die Begeisterung für Chavez in den vergangenen Monaten deutlich zurückgegangen. Nach Angaben des Umfrageinstituts Consultores 21 kann er derzeit nur mit 44 Prozent der Stimmen rechnen. Daher auch die Vermutung einiger oppositioneller Kenner wie Maria Teresa Romero, Chavez’ Kranhkeit sei letztlich gar nicht sehr dramatisch, sondern eine gigantische Inszenierung, um in die Opferrolle zu schlüpfen und seinem Popularitätsverlust Einhalt zu gebieten. Dass sich Chavez ausgerechnet im sozialistischen Kuba behandeln lässt und nicht in Brasilien oder Russland, die ihm ebenfalls medizinische Betreuung anboten, garantiert ihm Diskretion und untermauert die fast symbiotische Partnerschaft, die Venezuela mit Kuba und Chavez mit seinem revolutionären Vorbild Fidel Castro eingegangen ist. „Für Kuba ist Chavez nicht nur ein Alliierter, sondern ein Rettungsanker“, sagt der Venezolaner und langjährige Herausgeber von „Foreign Policy“, Moises Naim. Die wirtschaftlich bankrotte Karibikinsel hängt am venezolanischen Erdöltropf, und nur wenn die Subventionen und das billige Erdöl (100 000 Fass täglich) aus Venezuela weiter fließen, hat Kubas vorsichtig eingeleiteter Reformkurs überhaupt eine Überlebenschance. Daher das enorme Interesse der Kubaner am Wohlergehen von Chavez – und das Vertrauen des paranoiden Venezolaners zu den kubanischen Ärzten. Doch die immer engere Allianz zwischen Kuba und Venezuela könnte ein böses Erwachen bringen. Ohnehin hat ihm Brasilien mit seinem unternehmerfreundlichen, sozialdemokratischen Modell längst den Rang abgelaufen. „Brasilien steht wirtschaftlich besser da und ist deshalb attraktiver“, sagt der Unternehmensberater Daniel Kerner. Nicht nur in der Finanzwelt, auch bei Politikern ist Brasilien „in“, während Venezuela zum Schreckgespenst wurde. Jüngstes Beispiel: Peru. Als Ollanta Humala 2006 Chavez zu seinem Vorbild erkor, verlor er die Stichwahl um die Präsidentschaft. Dieses Jahr setzte er auf Brasilien – und gewann.

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