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Politik: Über Bande

Ulla Schmidt will die Kassen für die Praxisgebühr in die Pflicht nehmen. Das Gesetz schreibt ihnen das aber nicht vor

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Von Antje Sirleschtov

und Rainer Woratschka

Die Praxisgebühr für Arztbesuche steht. So hatten es Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) und der designierte SPD-Chef Franz Müntefering am Sonnabend noch einmal vor den Delegierten des NRW-Parteitags in Bochum bestätigt. Und so hatte es Gesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) auch in den Tagen zuvor immer wieder erklärt.

Und nun fällt die Gebühr, die wie keine andere politische Entscheidung der Regierung zum Aushängeschild des Unsozialen geworden ist, doch? Schmidts Ministerium wiegelt ab. Keineswegs suche die Ministerin nach Möglichkeiten, sich von dem ungeliebten Detail des Gesundheitskompromisses mit der Union durch die Hintertür zu verabschieden. Sie fokussiere nur den Blick der verärgerten Patienten auf die, die Verantwortung tragen – und das seien die Krankenkassen.

Was die Ministerin den Patienten empfiehlt, klingt logisch. Indem sie darauf verweist, dass die Krankenkassen gesetzlich verpflichtet sind, Hausarztmodelle mit Bonus anzubieten, ermuntert sie die Patienten, diese bei ihren Kassen auch einzufordern. Ideallösung: Wer sich verpflichtet, vor dem Facharzt den Hausarzt zu konsultieren, bekommt die 40 Euro Praxisgebühr zurück. Wenn nicht, läge der schwarze Peter bei den Kassen. Und die stünden auch von Versichertenseite unter Druck, die politisch erwünschten Hausarztmodelle schnell einzurichten. Es herrsche schließlich Wettbewerb, sagt Schmidts Sprecher Klaus Vater – und zeigt auf Krankenkassen wie die DAK, die solche Geldsparmodelle schon jetzt vorbereiten.

Ob die Rechnung aufgeht, ist die Frage. Die Kassen wiegeln bereits ab. Die Praxisgebühr ist nach ihrer Ansicht ein Mittel des Gesundheitskonsenses gewesen, mit dem ihre Kosten gesenkt und höhere Beiträge verhindert werden sollten. Einsparungen erhofften sie sich nicht nur, weil Patienten wegen der zehn Euro nicht mehr mit jedem Schnupfen zum Arzt gehen. Auch der Abzug der Gebühren von der ärztlichen Kostenerstattung soll die finanzielle Last der Kassen mildern.

Bislang aber schreibt das entsprechende Gesetz den Kassen weder vor, bis wann sie Hausarztmodelle anbieten müssen, noch welche Sanktionen ihnen drohen, wenn sie dies nicht tun. Schon gar nicht ist geregelt, mit welchen Boni Patienten belohnt werden müssen, wenn sie dem Doktor um die Ecke den Vorzug geben. Statt die Praxisgebühr zurückzuerstatten, wie das Ulla Schmidt aus politischen Gründen gerne hätte, können die Kassen ihre Versicherten genauso gut mit Präsentkörben oder Bratpfannen belohnen.

Schmidts Ministerium beruhigt die Patienten einstweilen mit den Aufsichtsorganen bei Bund und Ländern. Die überwachten die Einhaltung der Gesetze durch die Kassen. Schmidts Sprecher erwartet denn, dass die meisten Kassen im Laufe der nächsten Monate Hausarztmodelle einrichten. Und er erinnert Unwillige schon mal daran, dass es Regierungen gegeben habe, die renitenten Kassen Staatskommissare ins Haus schickten.

Als erste Kasse hat die DAK angekündigt, ab Sommer ein Hausarztmodell einzuführen. Rabatte auf die Praxisgebühr haben auch die Techniker-Krankenkasse, regionale AOKs, etliche Betriebskrankenkassen, die Barmer Ersatzkasse, die Gmünder Ersatzkasse und die Innungskrankenkassen angekündigt. Ärzteverbände sind von den Modellen wenig begeistert. Dadurch werde die ambulante Facharzt-Versorgung ausgehöhlt, und die Wartezeiten beim Hausarzt würden noch länger. Aber auch DAK-Vorstand Herbert Rebscher warnt vor übertriebenen Hoffnungen. Wie und wann die Modelle praxistauglich seien, sei völlig unklar. Deshalb sei es „Unfug“, den Menschen jetzt zu vermitteln, sie müssten bald alle keine Praxisgebühr mehr bezahlen.

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