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Politik: Über Berlin nach Brüssel

Fischer denkt nun an Panzerlieferungen für die Türkei. Aber die CSU will mit dem EU-Beitritt Wahlkampf machen

Die Bundesregierung leitet eine Lockerung bei Rüstungsexporten an die Türkei ein. Außenminister Joschka Fischer machte gegenüber dem „Handelsblatt“ als erstes Kabinettsmitglied deutlich, dass die bisherige, restriktive Linie angesichts der Annäherung Ankaras an die EU nicht mehr zu halten sein wird. Die Türkei arbeite „intensiv und voller Ernst daran, dass die Tür zur Europäischen Union weiter aufgeht“, sagte Fischer. Mit Blick auf mögliche Panzerlieferungen an die Türkei fügte er hinzu: „Wir haben dies früher im Lichte der Realitäten abgelehnt. Und wenn sich Realitäten verändern, wird man die Frage unter den veränderten Bedingungen entsprechend zu bewerten haben.“

Nach „Handelsblatt“-Informationen rechnen auch das Kanzleramt und das Verteidigungsministerium damit, dass die ablehnende Exportpolitik gegenüber der Türkei nicht zu halten sein wird, wenn die EU Ende 2004 beschließen sollte, dem Land Beitrittsverhandlungen anzubieten. Im Verteidigungsministerium ruht noch eine Anfrage der türkischen Regierung zum Kauf von Leopard-II-Panzern. Der Umgang mit der Anfrage hatte zu heftigen Spannungen innerhalb der rot-grünen Koalition geführt. Unterdessen erklärte ein Regierungssprecher, es liege im Augenblick keine konkrete Anfrage der Türkei vor. „Insofern gibt es keinen aktuellen Entscheidungsbedarf.“

FDP-Bundesvorstandsmitglied Mehmet Daimagüler sagte dem Tagesspiegel am Samstag, er begrüße die sich offenbar abzeichnende Lockerung der Exportkontrollen. Er verstehe Fischers Äußerungen als „Abschied von grüner Ideologie in der Außenpolitik“. Langsam finde die Regierung zu einem Kurs auf einer Linie. „Wir können nicht einerseits die Fortschritte Ankaras loben und andererseits in ausgewählten Politikfeldern so tun, als komme die Türkei nicht voran“, sagte Daimagüler. Während in der CDU/CSU ein EU-Beitritt der Türkei fast ausnahmslos abgelehnt wird, sind die Liberalen in dieser Frage tief gespalten. Türkei-Befürwortern wie Daimagüler und mehreren jungen Bundestagsabgeordneten steht die Parteispitze gegenüber, die betont, Ankara sei noch nicht reif für eine Aufnahme.

Unterdessen machte der türkische Ministerpräsident deutlich, dass er von Deutschland die Rolle eines Fürsprechers seines Landes im Beitrittsprozess erwartet. Tayyip Erdogan wird am Dienstag mit Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) in Berlin über den geplanten EU-Beitritt, den Irak und die Lage in Nahost sprechen. Der „Süddeutschen Zeitung" sagte Erdogan: „Deutschland soll beim Beitrittsprozess der Türkei die politische Führungsrolle übernehmen.“ Erdogan zeigte sich überzeugt, dass bei einem Beitritt der Türkei zur EU auftretene Probleme schnell gelöst werden könnten. „Nimmt die EU die Türkei nicht auf, wären die Verluste für beide Seiten viel größer." Sein Land habe eine EU-Mitgliedschaft verdient, sagte Erdogan weiter. „Die Türkei macht derzeit wichtige Schritte im Prozess der Demokratisierung sowie bei der sozialen und wirtschaftlichen Stabilität."

Führende Unionspolitiker sehen demgegenüber den Fall Kaplan als Bestätigung dafür, dass die Türkei nicht EU-reif ist. Das Kölner Verwaltungsgericht hatte die Abschiebung des radikalen Islamistenführers Metin Kaplan am Mittwoch untersagt, weil in der Türkei kein rechtsstaatlich einwandfreies Strafverfahren gesichert sei. CSU-Landesgruppenchef Glos sagte, der Fall Kaplan zeige, „dass es ein Fehler der rot-grünen Bundesregierung ist, den EU-Beitritt der Türkei so voranzutreiben“. Der Vize-Vorsitzende der Unions-Fraktion, Wolfgang Bosbach, bezeichnete es in der „Welt am Sonntag“ als „nicht nachvollziehbar, dass es unserem Rechtsstaat nicht gelingt, abgeurteilte Straftäter wie Kaplan in ihre Heimatländer abzuschieben“. Bayerns Innenminister Günter Beckstein (CSU) hält die Entscheidung für ein fatales Signal zu Gunsten verurteilter krimineller Extremisten: „Die Türkei ist EU-Beitrittskandidat. Der Bund hat es versäumt, rechtzeitig von ihr tragfähige Zusagen, etwa zum Verbot der Folter, einzuholen.“ Glos kündigte an, die CSU wolle ihre Ablehnung einer EU-Vollmitgliedschaft der Türkei bei der Europawahl 2004 zum Wahlkampfthema machen.

Laut einem „Spiegel“-Bericht wurden Gefolgsleute Kaplans, die einen Anschlag auf das Atatürk-Mausoleum in Ankara geplant haben sollen, 1998 tagelang misshandelt und keinem Haftrichter vorgeführt. Dies habe das Kölner Gericht zu seiner Entscheidung zugunsten Kaplans bewogen. Der Verfassungsschutz geht davon aus, dass Kaplans „Kalifatsstaat“ trotz seines Verbots im Untergrund weiter arbeitet.

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