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Politik: Über dem Heß-Grab soll Gras wachsen

Die Asche des Hitler-Stellvertreters wird demnächst im Meer verstreut – damit in Wunsiedel keine Nazis mehr aufmarschieren

Von Matthias Meisner

Berlin - Es war eine Nacht- und Nebelaktion. Am vergangenen Mittwochmorgen, irgendwann zwischen vier und sechs Uhr, wurde im bayerischen Wunsiedel die Grabstätte von Rudolf Heß – die letzte einer Nazi-Größe auf deutschem Boden überhaupt – geöffnet. Der Grabstein wurde entfernt. Und noch am Mittwoch wurden die sterblichen Überreste von Heß verbrannt, wie der evangelische Dekan Hans- Jürgen Buchta am Donnerstag der Nachrichtenagentur epd berichtete. „Irgendwann soll es dann eine Seebestattung geben“, sagte Buchta. Damit kein neuer Wallfahrtsort für Ewiggestrige entsteht.

Noch einmal kam die Erinnerung hoch an die Aufmärsche von Rechtsextremisten, die vor allem am 17. August, dem Todestag des „Führer-Stellvertreters“, in die Fichtelgebirgsstadt pilgerten. Oft kam es zu gewalttätigen Ausschreitungen. In den Nürnberger Kriegsverbrecherprozessen war Heß zu lebenslanger Haft verurteilt worden. Dass er in Wunsiedel beim Grab seiner Eltern bestattet werden wollte, hatte Heß in seinem Testament verfügt, bevor er sich 1987 im Alter von 93 Jahren im Berliner Gefängnis Spandau das Leben nahm. Über ein Ende des „braunen Spuks“ jubilierte Charlotte Knobloch, frühere Präsidentin des Zentralrats der Juden und heute Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern: Jahrzehntelang hätten Rechtsextremisten aus aller Welt den Ort und seine Bürger „terrorisiert“.

Nach Darstellung von Dekan Buchta wollte die Enkelin von Heß die Grabnutzung ursprünglich zwar verlängern. Schließlich habe sie aber doch einer Umbettung der sterblichen Überreste unter Ausschluss der Öffentlichkeit zugestimmt, eine „absolut einvernehmliche“ Einigung – zu entschieden war die Kirche offenbar gegen die weitere Grabnutzung. Auch im Rathaus von Wunsiedel zeigte man sich erleichtert. Zwar hatte es die ganz großen Nazi-Aufmärsche zuletzt nicht mehr gegeben. Der zweite Bürgermeister Roland Schöffel berichtete jedoch, nicht nur zu besonderen Anlässen, sondern quasi über das ganze Jahr hinweg hätten Menschen das Grab von Heß aufgesucht. Zuletzt, sagte Schöffel der Nachrichtenagentur AFP, habe es im Zusammenhang mit einem Gedenkmarsch für den verstorbenen NPD-Funktionär Jürgen Rieger im Herbst vergangenen Jahres einen Aufmarsch gegeben.

Andere betonten, Wunsiedel habe seine Bedeutung als Nazi-Wallfahrtsort schon vor Jahren verloren. Dieses Problem sei längst gelöst gewesen, meint etwa Sebastian Edathy, langjähriger Experte für Rechtsextremismus in der SPD-Bundestagsfraktion. „Das ist eine reine Privatangelegenheit der Familie“, sagte er dem Tagesspiegel zur Auflösung des Grabes, keine politische Entscheidung. In der Sache habe es „keine Notwendigkeit“ gegeben, denn 2005 unter Rot- Grün sei das Versammlungsrecht so verschärft worden, dass die Versammlungen in Wunsiedel nicht mehr möglich gewesen seien. Bestraft werden kann demnach, wer „unter der NS-Gewalt- und Willkürherrschaft begangene Menschenrechtsverletzungen billigt oder verharmlost und dadurch die Würde der Opfer verletzt“. Im November 2009 bestätigte das Bundesverfassungsgericht das Verbot der „Heß- Märsche“ endgültig.

Ulla Jelpke, Innenpolitikerin der Linken, hatte sich schon 2008 von der Regierung Zahlen zu rechtsextremistischen Aufmärschen liefern lassen – zum Todestag von Rudolf Heß gab es damals kleinere Spontandemonstrationen in Braunschweig und Kiel mit 50 beziehungsweise 35 Teilnehmern. Jelpke jubilierte, die Zahlen zeigten, „dass das Gedenken an Rudolf Heß keinen müden Nazi mehr hinter dem Ofen hervorlockt“. Am Donnerstag sagte sie dem Tagesspiegel, die Entscheidung zur Auflösung des Heß- Grabes komme zwar „spät, aber immerhin“. Skeptischer äußerte sich die Rechtsextremismus-Expertin der Grünen, Monika Lazar. Die Entscheidung zur Auflösung des Grabes nennt sie „nachvollziehbar“, den Wunsch nach einem Ende der Nazi-Aufmärsche „verständlich“. Lazar fügte hinzu: „Fraglich ist jedoch, ob die Maßnahme tatsächlich die erhoffte Wirkung zeigt. In rechtsextremen Foren scheint sie den Märtyrerkult sogar weiter zu befördern, dort werden bereits Strategien zur Ausgestaltung künftiger Gedenkmärsche diskutiert.“

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