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In der DRK-Seniorenbetreuungseinrichtung Saalower Berg wird bei einem Probedurchlauf eine Covid-19-Impfung simuliert.

© Jens Kalaene/dpa-Zentralbild/dpa

Überarbeitete Priorisierungen sind strittig: Der Impfkampagne droht eine akute Überforderung

Der Entwurf der Impfverordnung sieht drei Priorisierungsstufen vor. Doch allein für die erste Gruppe dürfte der BioNTech-Impfstoff im Frühjahr nicht reichen.

Die Impfungen gegen SARS-CoV-2 werden laut Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) aller Voraussicht nach schon vor Jahresende beginnen – die Impfkampagne könnte aufgrund der gerade aktualisierten Priorisierungsregelungen allerdings in eine akute Überforderung der dafür nötigen Terminvermittlungsstellen in den Ländern münden.

Denn laut dem überarbeiteten und Tagesspiegel Background vorliegendem Entwurf des Bundesgesundheitsministeriums (BMG) für eine Impfverordnung umfasst der Personenkreis, der sofort Anspruch auf eine Impfung haben soll, mindestens acht Millionen Menschen, für die 16 Millionen Impfdosen oder mehr nötig wären. Spahn erklärte gestern, dass voraussichtlich 11 bis 13 Millionen Dosen des BioNTech/Pfizer-Impfstoffs für das erste Quartal 2021 zur Verfügung stünden.

Die europäische Arzneimittelagentur EMA kündigte wenig später an, dass statt wie ursprünglich geplant am 29. Dezember bereits am kommenden Montag dieser Impfstoff zugelassen werden könnte. Laut Jens Spahn könnten „zwei bis vier Tage später“, das wäre um Heiligabend, die ersten Impfungen verabreicht werden. Die Infrastrukturen in den Ländern stünden dafür bereit.

Einen ersten Entwurf für die Impfverordnung hatte das BMG vor mehr als einer Woche veröffentlicht, später folgten die Priorisierungsempfehlungen der Ständigen Impfkommission (Stiko) des Robert Koch-Instituts – diese wurden nun weitgehend in die überarbeitete Fassung des BMG-Entwurfs übernommen. Aber auch dieser Entwurf steht noch unter deutlichem Vorbehalt, betonte Minister Spahn gestern.

Er wolle zunächst die Bundestagsdebatte abwarten, die heute zum Thema stattfindet, zudem die Stellungnahmen der Länder und anderer Regierungsressorts einholen. Ziel sei es, am Freitag eine endgültige Verordnung zu unterschreiben, damit diese dann pünktlich mit Zulassung und der Lieferung erster Impfdosen vorliege.

Jeder achte in höchster Priorisierungsstufe

Laut dem BMG-Entwurf für eine Impfverordnung werden drei Priorisierungsstufen festgelegt: Eine höchste, eine hohe und eine erhöhte. In der höchsten Priorität werden Menschen über 80 subsummiert, die laut dem Stiko-Papier von vor einer Woche rund 5,4 Millionen Menschen in Deutschland ausmachen.

Weiterhin gehören in die erste Kategorie Personal und Bewohner von Altenpflegeheimen, rund 2,2 Millionen Menschen, und medizinisches Personal mit einem sehr hohen SARS-CoV-2-Expositionsrisiko, etwa in Notaufnahmen – laut Stiko-Schätzung sind das ungefähr eine Million Menschen.

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Zu diesen insgesamt 8,6 Millionen Personen kommen im Entwurf noch Gruppen, für die im Stiko-Papier keine Größenschätzung angegeben wurde. Solche in Einrichtungen für geistig Behinderte oder anderweitig pflegebedürftige Menschen, Mitarbeiter jeglicher ambulanter Pflegedienste und Personal in medizinischen Einrichtungen, in denen viel Kontakt mit Menschen mit einem sehr hohen Erkrankungsrisiko besteht, insbesondere in der Hämato-Onkologie oder der Transplantationsmedizin.

Es ist absehbar, dass damit wahrscheinlich weit mehr als zehn Millionen Menschen zu jenen gehören, die demnächst den höchsten Priorisierungsstatus erhalten.

Das Impfzentrum "Siekhöhe" in Göttingen ist seit dem 15. Dezember startklar.
Das Impfzentrum "Siekhöhe" in Göttingen ist seit dem 15. Dezember startklar.

© Swen Pförtner/dpa

Ein Problem der ersten Entwurfsvariante scheint zwar erst einmal vom Tisch. Durch den vorrangigen Bezug auf Altersklassen wäre es nicht mehr nötig, zumindest nicht in der ersten Priorisierungsphase, ein Attest über Vorerkrankungen beim Hausarzt zu besorgen, um damit einen Termin in einem der Impfzentren zu bekommen. Trotzdem kommen auf die Länder nach den aktuellen Plänen schwere Wochen zu.

[Mehr zum Thema: 21. Dezember als Stichtag - Lesen Sie hier, wie es nach der Impfstoffzulassung in Deutschland weitergeht.]

Die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) wird im Laufe der nächsten Tage ein Terminmanagement-System fertigstellen müssen, sie wird laut Entwurf mit dem Betrieb dieses „standardisierten Moduls zur telefonischen und digitalen Vereinbarung von Terminen in den Impfzentren“ beauftragt, „das den Ländern zur Organisation der Terminvergabe zur Verfügung gestellt wird“.

Die Länder wiederum sind demnach zuständig für den Betrieb der Callcenter. Diese müssen nun damit rechnen, dass sich bei ihnen mit der Zulassung der Impfstoffe in wenigen Tagen Hunderttausende Menschen melden, die alle eine höchste Impfpriorität für sich beanspruchen können – eine Priorisierung innerhalb der Priorisierungsstufen ist in dem Entwurf nicht vorgesehen. Letztlich dürften damit jene die höchsten Chancen haben, die sich zuerst für einen Termin melden oder in Einrichtungen von mobilen Impfteams aufgesucht werden.

Populistischer Sprengstoff

In der zweiten Stufe der Impfpriorität stehen laut Verordnungsentwurf Menschen ab 70, das wären laut Stiko-Zahlen rund 7,7 Millionen Menschen. Hinzu kämen Personen mit Trisomie 21, Demenz oder einer geistigen Behinderung oder einer zurückliegenden Organtransplantation. Populistischen Sprengstoff dürfte die Vorgabe bieten, dass Bewohner von Obdachlosen- und Asylbewerberunterkünften eine hohe Impf-Priorität haben.

Auch von Pflegebedürftigen benannte Personen fallen in die zweite Priorisierungsstufe, das gleiche gilt für Partner von schwangeren Frauen (sie selbst werden wegen mangelnder Studienlage erst einmal nicht geimpft).

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Genannt werden außerdem Angehörige des Öffentlichen Gesundheitsdienstes und solche in „besonders relevanten Positionen zur Aufrechterhaltung der Krankenhausinfrastruktur“ sowie Mitarbeiter in medizinischen Einrichtungen „mit hohem oder erhöhtem Expositionsrisiko […] insbesondere Ärzte und sonstiges Personal mit regelmäßigem unmittelbaren Patientenkontakt, Personal der Blut- und Plasmaspendedienste und in SARS-CoV-2-Testzentren“.

[Mehr zum Thema: Britische Nadelprobe - Lesen Sie hier, was bei den Corona-Pionieren schief lief - und was die Welt davon lernen kann (T+).]

In der dritten Priorisierungsgruppe mit dem Status „erhöht“ schließlich findet sich ein sehr weiter Personenkreis, zu dem laut Stiko-Zahlen mindestens ein Viertel der Deutschen gehören dürfte, wenn nicht mehr.

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Dazu zählen unter anderem alle über 60-Jährigen; Menschen mit bestimmen Vorerkrankungen, zu denen etwa Adipositas, Asthma, Diabetes, Rheuma und Krebs zählen; besonders relevante Mitarbeiter von unter anderem Streikkräften, Polizei, Feuerwehr, Parlamenten, Apotheken, der Pharmawirtschaft, der Ernährungs- und Abfallwirtschaft; Lehrerinnen und Erzieher; Mitarbeiter des Einzelhandels und solche „mit prekären Arbeits- und/oder Lebensbedingungen, insbesondere Saisonarbeiter, Beschäftigte in Verteilzentren oder der Fleisch verarbeitenden Industrie“.

Mehr von Moderna

Wie viele Menschen in den im Verordnungsentwurf genannten Priorisierungen erfasst sind, ist unklar. Gesundheitsminister Spahn geht aktuell davon aus, dass bis zum Spätsommer 60 Prozent der Deutschen geimpft werden könnten. Die KBV spricht von 50 Millionen Impfungen innerhalb von fünf Monaten, sobald ein Impfstoff vorliegt, der anders als das derzeitig verfügbare BioNTech/Pfizer-Vakzin auch in Arztpraxen verabreicht werden könne.

Maßgeblich für das Tempo der Impfungen und die Abarbeitung der Priorisierung – nach der dann Impfungen für alle anderen, nicht in der Verordnung aufgeführten Personen möglich wären – ist daher die Verfügbarkeit von Impfstoffen.

Neben den BioNTech-Zusicherungen für das erste Quartal, sagte Spahn gestern, habe man inzwischen auch eine Marge von Moderna gesichert, die sich zuletzt noch vergrößert habe – andere EU-Staaten nämlich hätten einen geringeren Anteil reklamiert, als ihnen zusteht. 48,6 Millionen statt ursprünglich 15 Millionen Impfdosen von Moderna könne Deutschland bekommen, so Spahn, auch dieses Vakzin muss doppelt verimpft werden.

Für den Moderna-Impfstoff stand zuletzt eine Sitzung des zuständigen EMA-Ausschusses für den 12. Januar auf dem Plan: Ob dieser ebenfalls vorgezogen werden soll, ging aus der gestrigen EMA-Mitteilung zu BioNTech/Pfizer nicht hervor.          

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