zum Hauptinhalt
Ein durch ein Tuch verhülltes Kruzifix.

© epd

Sterbehilfe und überhöhtes Leiden: Eine brutale Entscheidung von Menschen über Menschen

Das heroische Leiden Christi prägt bis heute das Denken. Das spüren unter anderem die Sterbenskranken, die in Karlsruhe klagen. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Ariane Bemmer

Es sieht fast aus, als wolle sich der Terminkalender höchstselbst in die Karlsruher Entscheidungsfindung einmischen: Ausgerechnet die Woche, in der vor dem Bundesverfassungsgericht über Sterbehilfe diskutiert wurde, endet mit dem Tag, an dem Jesus brutal ans Kreuz genagelt verendete: dem Karfreitag.

Karfreitag steht in der christlich geprägten Hemisphäre für Schmerzen, Pein, Dulden und Ertragen, kurz „das Leiden“, und die Erlösung durch das Leiden, das wie kaum etwas anderes den Charakter des Übermenschlichen hat. Im Leiden erweist sich die Güte des Menschen, das Leiden macht zum Helden. Soweit der Mythos. In Wirklichkeit macht Leiden meistens traurig, einsam und klein. Der Glaube half und hilft aus der abgrundtiefen Verzweiflung, er mindert das Gefühl der Ohnmacht.

Die Evangelische Kirche Deutschland sieht im Leiden „eine Grundbefindlichkeit des Menschen“. Dieses Thema, so formuliert sie in ihrem Glaubens-ABC, „beherrscht das Alte und das Neue Testament.“ Nicht nur das. Es prägt das Denken bis heute. Eigentlich paradox. Trotz der hypermodernen Zeiten mit ihren technologischen Höchstleistungen, die auf absehbare Zeit menschliche Herzen aus dem 3D-Drucker kommen lassen, hat die Parole, dass Leiden dazu gehöre, überlebt. Und bis heute wächst mit der Leidensfähigkeit auch ein Renommee heran, während umgekehrt von denen wenig bis nichts gehalten wird, die gar nichts aushalten wollen oder können.

Der Mensch hat die Schicksalsergebenheit überwunden

In vielen Bereichen wurde mögliches Leid inzwischen dennoch durch Gesetze eingehegt, von der Sozialhilfe, die vor Hunger und Obdachlosigkeit schützen soll, bis zu Arbeitsplatzbestimmungen zum Schutz vor Gesundheitsschäden durch berufliche Tätigkeiten. Es gibt Lärmschutz, Kündigungsschutz und vieles mehr, um den Einzelnen gegen die Unbilligkeiten des Lebens wehrhaft zu machen. Hier gilt, dass möglichst nichts hinzunehmen sein soll: Kinderlosigkeit so wenig wie Schlupflider, überall lässt sich korrigierend eingreifen. Eine der großen Trendformeln ist die von der Selbstoptimierung, sofern man nicht übertreibt, versteht sich. Der Mensch hat sich in jahrhundertelanger Anstrengung durch Wissen und Technik aus dem tiefen Tal der unaufgeklärten Schicksalsergebenheit herausemanzipiert. Er muss nicht mehr leiden müssen.

Doch in der letzten Frage, in der nach dem Ende des Lebens, landet er doch wieder genau dort. Der Mensch soll sich nach dem Wunsch vieler nicht selbst aus dem Leben nehmen dürfen, er soll sein Leiden bis zum bittersten Ende ertragen. Es gibt da seltsam verklärte Vorstellungen, die das Leiden überhöhen und mit dem Erlösungsgedanken versöhnen. Dabei handelt es sich durchaus um Zustände, von denen der Palliativmediziner Gian Borasio im Deutschlandfunk sagte, „die möchte man sich nicht einmal vorstellen“. So schrecklich, so qualvoll.

Warum es überhaupt Leid gibt, sagt auch die Bibel nicht

Warum? Warum wird das auf einmal geduldet? „Wir lassen extrem leidende Menschen im Stich“, sagte Borasio auch. Wir. Nicht ein höheres Wesen, kein Gott in seiner ewigen Rätselhaftigkeit. Es ist eine brutale Entscheidung von Menschen über Menschen. Liegt darin die Hoffnung auf eine Nichtverantwortlichkeit?

Warum es überhaupt Leid gibt, ist eine Frage, auf die es bisher keine Antwort gegeben hat. Auch in der Bibel nicht. Die EKD sieht im Leiden eine Art Lackmustest, wenn sie schreibt, dass sich im Leiden der Glaube bewähre – „trotz oder wegen allen Leidens“. Das gibt dem unbegründeten Leid einen sehr hohen Stellenwert. Wohl allen, die nicht auf die Probe gestellt werden.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false