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Politik: Überholen, ohne einzuholen

BUNDESWEHRREFORM

Von Robert Birnbaum

Revolutionen gibt es zweierlei: Die lauten, plötzlichen, alles von einem Tag auf den nächsten umstürzend. Und die leisen, schrittchenweisen. Was da passiert, merken selbst die Betroffenen meist erst hinterher. Die Veränderung, der Verteidigungsminister Struck die Bundeswehr gerade unterzieht, ist eine solche Revolution im Schleichgang. Sie ist seit ein, zwei Jahren im Gang und wird noch etliche Jahre zur Vollendung brauchen. Aber das Ziel kommt in Sicht: eine ganz andere Bundeswehr.

Dass Struck selbst sein Vorhaben unter das Schlagwort „Realismus“ gestellt hat, dient der politischen Geräuschdämpfung. Die funktioniert vor allem deshalb ganz gut, weil das Schlagwort nicht falsch ist. Anders als die Vorhaben der Vorgänger, insbesondere Rudolf Scharpings, sind die Struktur- und Beschaffungspläne von Struck und seinem Generalinspekteur Schneiderhan der knappen Kassenlage halbwegs angemessen. Aber schon hier steckt im Realismus nicht die ganze Wahrheit: Dass die Luftwaffe den Eurofighter komplett kriegt, liegt am zementierten Vertrag, nicht am Konzept.

Auch inhaltlich erscheint das, was die heimlichen Revolutionäre im Bendlerblock da unternehmen, auf den ersten Blick nur eine Anpassung an Realitäten zu sein. Weit und breit kein Feind, dem zuzutrauen wäre, dass er sich zur Eroberung von Garmisch-Partenkirchen aufmacht. Dafür bedrohen ferne Lokalkonflikte und ideologischer Terrorismus die Stabilität unserer komplexen Welt- und Wirtschaftsordnung in ganz ungeahntem Maße. Wir brauchen einerseits weniger, andererseits mehr Verteidigung denn je, vor allem aber andere.

Trotzdem folgt die Konsequenz, die Struck aus dieser Lage zieht, keineswegs nur praktischer Vernunft. Hinter der neuen Bundeswehr-Struktur und der darauf abgestellten Beschaffungsplanung stecken hochpolitische Entscheidungen. Das wird am deutlichsten in der neuen Dreiteilung der Armee in Eingreif-, Stabilisierungs- und Unterstützungskräfte. Sie enthält vier Kernbotschaften. Die eine lautet: Die klassische Landesverteidigung ist als nationale Aufgabe zu vernachlässigen. Wenn überhaupt, ist sie nur noch im Nationenverbund und nach längerer Vorlaufzeit möglich.

Zweitens: Der harte Kampfeinsatz – wiederum im Nationenverbund, heiße der nun Nato, EU oder Koalition der Willigen – wird einfacher. Deutschland baut sich mit der 35 000 Mann starken Eingreiftruppe eine Struktur, die zur modernen Kriegsführung fähig sein soll. Das ist die heutige Bundeswehr nur in wenigen Einzelelementen. Es war lange Zeit hindurch ja auch politischer Wille, dass das eigentlich ganz gut so sei: Wer nichts kann, wird nicht gefragt. Künftig könnten wir – und müssten antworten.

Drittens nehmen Struck und seine Planer im Geiste etwas vorweg, was es erst in Ansätzen gibt: eine nationenübergreifende Verteidigung für Europa. Das ist realistisch und gewagt zugleich. Ohne die Vernetzung seiner Armeen wird Europa nie militärisch handlungsfähig. Aber die eigenen Strukturen schon darauf einzustellen, dass sie gelingt, setzt einige Kühnheit voraus. Diese Variante des Prinzips Hoffnung – irgendein anderer wird’s schon richten – ist zum Teil auch nur die Folge leerer Kassen. Da Deutschland sich die Armee von morgen nicht leisten kann, plant es gleich die von übermorgen.

Viertens aber baut Deutschland sich konsequent eine Blauhelm-Armee auf. 70 000 Mann Stabilisierungskräfte heißt: Wir rechnen damit, dass ständig tausende deutsche Soldaten irgendwo Frieden stiften und bewahren helfen. Einsatzgebiet ganze Welt – man soll Struck nahezu wörtlich nehmen.

Was das für die Wehrpflicht heißt? Die Prognose ist klar: Sie wird als Restbestand aus alten Tagen noch eine Weile bleiben und dann fallen. Wenn das Geld für die Freiwilligen- und Berufsarmee nicht ganz reicht, wird eben alles noch einmal verkleinert, und man verzichtet – notgedrungen, so wie heute – auf bestimmte nationale Fähigkeiten. Dann, aber erst dann, fällt der Zivildienst mit.

Und ist das nun also eine gute Revolution? Sagen wir so: Es ist eine realistische und wahrscheinlich eine notwendige. Wir müssen uns bloß klar darüber sein, was sie bedeutet. Die gemütlichen Tage im Windschatten der Weltgeschichte sind wirklich vorbei. Strucks Armee wird wirklich eine Armee im Einsatz.

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