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Politik: Überlastet und deshalb unqualifiziert

Hamburger Jugendhilfe in der Kritik.

Hamburg - Werner Pieper vom Paritätischen Wohlfahrtsverband in Hamburg spricht von reinem Glück, dass nicht mehr passiert sei: 2005 der Fall der verhungerten siebenjährigen Jessica, 2009 der Tod der vernachlässigten neun Monate alte Lara-Mia und schließlich im Januar dieses Jahres die elfjährige Chantal, die bei ihren drogensüchtigen Pflegeeltern durch eine Methadonvergiftung ums Leben kam. Hamburgs Jugend- und Familienaufsicht sieht sich seit Jahren mit dem Vorwurf des Versagens konfrontiert. Und genau diesen Vorwurf stützen zwei Expertisen, die nun der Hamburger Bürgerschaft vorgelegt wurden.

Die Universität Koblenz hat im Auftrag der Hamburger Sozialbehörde Abteilungen der Jugendämter durchleuchtet und ist zu dem erschreckenden Ergebnis gekommen, dass die Arbeitsfähigkeit der 35 verantwortlichen Dienststellen und ihrer 328 Mitarbeiter nicht zuletzt aus Gründen der Überlastung und wegen fehlenden Personals erheblich gefährdet ist. Die Überlastung führe dazu, dass „eine qualifizierte Einschätzung der Risikolagen“ nicht möglich sei. Auch ein Revisionsbericht aus der für die sieben Bezirke zuständigen Finanzbehörde kommt zu ähnlichen Einschätzungen. Chantals Tod hätte verhindert werden können, wenn das Jugendamt früher reagiert hätte.

Die offenkundig begangenen Fehler im Fall Chantal sind allerdings kein Einzelfall. Die Prüfung habe vielmehr ein „strukturelles Problem“ offengelegt, heißt es in dem Bericht. Die Revisoren haben die Bearbeitung von 20 Problemfällen, darunter die von 14 Pflegekindern, detailliert unter die Lupe genommen. Bei einem Drittel dieser Stichproben gab es monatelang keine verantwortliche fallführende Zuständigkeit. Die Hälfte der Pflegeeltern wurde nicht überprüft. Nicht überall hat es die eigentlich verbindlichen Hausbesuche in den Familien gegeben. Zudem mangelt es an der Kontrolle der von Jugendämtern an Freie Träger übergebenen Aufgaben. Dem will der zuständige Senator Detlef Scheele (SPD) abhelfen, indem die Eignungsfeststellung und die Betreuung von Pflegeeltern künftig allein dem Jugendamt obliegen sollen. Dafür hat er aber nicht einmal in der eigenen Partei eine Mehrheit hinter sich.

Direkt nach dem Tod von Chantal hatte Scheele angeordnet, dass sich alle aktuellen und künftigen Pflegeeltern einem Drogentest unterziehen müssen. Außerdem müssen sie ein erweitertes Führungszeugnis vorlegen. Doch die Umsetzung lässt auf sich warten, wie der Bericht aus der Finanzbehörde deutlich macht. Scheele will bis zum Jahresende einen Inspektionskatalog für die Jugendhilfe vorlegen, so etwas wie einen Tüv für die unter seiner Verantwortung stehenden Jugendämter.

Für die Gewerkschaft Verdi gibt es nur eine Konsequenz aus den dramatischen Berichten: Sie fordert vom SPD-Senat Fallobergrenzen für die ASD-Sachbearbeiter. Christiane Blömeke von den Grünen meint: „Der Kinderschutz in Hamburg hängt an einem seidenen Faden!“ Damit meint sie auch die Tatsache, dass bei den Vorsorgeuntersuchungen trotz eines Netzwerkes von Ärzten, Gesundheitsämtern, Kitas und Jugendämtern einige hundert Kinder in keiner Arztpraxis vorgestellt wurden. Dieter Hanisch

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