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Demonstrant vor einem Porträt von Julia Timoschenko in Kiew

© imago

Ukraine: Besucher in der Strafkolonie

Im Fall Timoschenko gibt es offenbar Bewegung. Ukraines Präsident könnte sich Luft verschaffen - um härter gegen seine anderen Gegner vorzugehen.

Ist Julia Timoschenko bald in Freiheit? In der Ukraine, wo seit mehr als zwei Monaten Dauerproteste gegen den autoritären Kurs der Regierung andauern, beschäftigt diese Frage erneut die Öffentlichkeit.
Losgetreten wurde die Nachricht durch eine Meldung in „Kommersant“. Die gemeinhin gut informierte Tageszeitung schrieb am Montag von einem Besuch Andrej Klujews, Leiter der Präsidialadministration und enger Vertrauter von Präsident Viktor Janukowitsch, in der Krankenhauszelle von Julia Timoschenko. Das Geheimtreffen soll demnach am 5. Februar in der ostukrainischen Stadt nahe der russischen Grenze, in Charkiw stattgefunden haben. Gesprächsthemen seien die Besetzung des Postens des Regierungschefs, die Zusammenarbeit mit Timoschenkos Vaterlandspartei und deren Haftentlassung gewesen. Die Pressestelle ihrer Partei beantwortete die Frage, ob es so ein Treffen gegeben habe mit nur einem Wort: „Nonsens“. Andreij Klujews Sprecher verneinte die Visite. Die Gefängnisleitung in Charkiw sprach davon, dass sie keine Informationen darüber habe, dass es ein solches Treffen gegeben habe.
Dennoch gibt es eine Reihe von Beobachtern, die im Fall Timoschenko eine Wendung wie beim Ende Dezember 2013 überraschend freigelassenen russischen Dissidenten Michail Chodorkowski, sehen. „Möglich, dass Wladimir Putin erneut den guten Zaren spielt“, sagt eine Abgeordnete des Europäischen Parlaments. „In der Ukraine schauen wir alle erwartungsvoll auf das Ende der Winterspiele in Sotschi und auf das, was Putin dann mit der Ukraine vorhat“, sagt Sergej Wisozki, Journalist beim Nachrichtenportal Liganet live.
Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) fährt an diesem Donnerstag zu einem zweitägigen Besuch nach Moskau. Auf dem Programm stehen unter anderem Gespräche mit Russlands Außenminister Sergej Lawrow. Nach Angaben des Auswärtigen Amts geht es neben den deutsch-russischen Beziehungen auch um aktuelle Krisenherde wie die Ukraine oder Syrien. Ob es zu einem Treffen mit Kreml-Chef Wladimir Putin kommen wird, war noch offen. Der russische Präsident ist wegen der Olympischen Winterspiele in Sotschi derzeit nur selten im Kreml.
Sollte Janukowitsch tatsächlich einen Weg finden, seine Dauerrivalin Julia Timoschenko frei zu lassen und außer Landes zu schaffen, wäre er zwei Probleme auf einmal los. Eine Hauptforderung des Westens, die Freilassung der seit August 2011 inhaftierten Oppositionsführerin, wäre erfüllt, zum anderen könnte sich Janukowitsch auf das Duell mit den drei Oppositionspolitikern, Boxweltmeister Vitali Klitschko, Nationalistenführer Oleg Tjanibok und dem Fraktionschef der Vaterlandspartei, dem wenig charismatischen Arsenij Jazenjuk, konzentrieren. Weitere Hinweise, dass es im Fall Timoschenko die eine oder andere Art von Verhandlungen gibt, ist die überraschende Ankündigung Arsenij Jazenjuks von Dienstagnachmittag, er wolle Timoschenko in Charkiw besuchen. Bereits Mittwoch, werde er zusammen mit Alexander Turtschinow, dem Vize-Parteichef von „Vaterland“ und einer der engsten, politischen Weggefährten Timoschenkos, nach Charkiw fahren, um Gespräche zu führen. Die Gefängnisverwaltung hat diesem Besuchsantrag überraschend durchgewinkt. In den vergangenen sechs Monaten hatten Arsenij Jazenjuk und Alexander Turtschinow mehrfach erfolglos Besucheranträge gestellt, sie wurden allesamt abgelehnt.
Ob allerdings „Timoschenko einem Deal zustimmen würde, der vorsieht, dass sie für die nächsten Monate im Ausland bleibt, darf angezweifelt werden", sagt ein Vertrauter aus ihrer Partei.

Die 53-Jährige Politikerin wurde am 11. Oktober 2011 wegen eines Gasvertrages, den sie mit dem damaligen Ministerpräsidenten Russlands Wladimir Putin ausgehandelt hat, zu einer siebenjährigen Haftstrafe wegen Amtsmissbrauchs verurteilt. Im Dezember 2011 wurde sie in eine Strafkolonie nach Charkiw gebracht. Als Timoschenko an einem Bandscheibenvorfall erkrankte und einen Hungerstreik begann, verlegten die Behörden die frühere Ministerpräsidentin im Frühsommer 2012 in das staatliche Krankenhaus. Dort verbüßt sie bis heute ihre Haft. Trotz schwerer Bewachung und stark eingeschränkter Besucherrechte gelingt es Timoschenko bis heute, ihre Partei zu führen und das politische Leben des Landes maßgeblich mitzugestalten.
Bevor ihre Parteikollegen mit ihr sprachen, ließ Timoschenko über ihre Partei verbreiten, sie fordere eine Aussprache mit dem Präsidenten. „Ich appelliere an Viktor Janukowitsch, sich zur aktuellen Lage in der Ukraine zu positionieren. Ich bin bereit, eine umfassende Diskussion über die strategischen und taktischen Schritte zu führen, die es braucht, um die Ukraine aus der Krise zu führen", sagt Timoschenko laut einem Schreiben ihres Pressedienstes.
Am frühen Nachmittag erhielten Turtschinow und Jazenjuk Zugang ins Krankenhaus. Vor der Klinik des Eisenbahners in der Balakirjewa Provulok 5, hatten sich zahlreiche Anhänger der Oppositionspolitikerin versammelt und forderten in Sprechchören: „Freiheit für Julia“. Die Gespräche zwischen Timoschenko und ihren Vertrauten dauerten bei Redaktionsschluss dieser Ausgabe an.

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