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Ukraine: Die Angst des Favoriten

Lange sah es nach einem klaren Sieg des Revolutionsgegners Janukowitsch in der Ukraine aus – jetzt ist das Rennen wieder offen.

Aleksander Lukaschenko ist Marias großer Favorit. „Der wäre ein guter Präsident für die Ukraine“, preist sie die Vorzüge des Mannes, ruhig sei er, gewissenhaft und zielstrebig, eine ordnende Hand. So viel und voller Euphorie redet Maria, dass das Problem dieser politischen Schnellanalyse in Vergessenheit gerät: Aleksander Lukaschenko ist Präsident von Weißrussland. Das würde den zum Größenwahn neigenden Despoten aus Minsk sicherlich nicht davon abhalten, dieselbe leitende Position auch im Nachbarland zu übernehmen, wenn er denn zur Abstimmung stünde. Das tut er aber nicht, also muss sich Maria zwischen Julia Timoschenko und Viktor Janukowitsch entscheiden, die beiden Sieger aus dem ersten Durchgang vor zwei Wochen.

„Wen soll ich denn wählen?“, fragt sie, was eher rhetorisch gemeint ist, „die sind doch beide gleich.“ Die Politiker in der fernen Hauptstadt Kiew würden sich seit fünf Jahren streiten, keiner kümmere sich ums Volk – ganz anders als Aleksander Lukaschenko. Sie selbst müsse von knapp 80 Dollar Rente im Monat leben, klagt Maria, weshalb sie gezwungen sei, auf dem Oleksandrivskji-Prospekt hier in Odessa zu stehen. An ihrem Stand verkauft sie Muscheln, Lederarmbänder, billige Halsketten. Das Geschäft gehe im Winter schlecht, sagt sie, das Geld reiche kaum, um das immer teurer werdende Gas für die Heizung zu bezahlen.

Im ersten Wahlgang hat Maria für Sergej Tigipko gestimmt. Endlich ein neues Gesicht, sagt sie. Rund 13 Prozent der Stimmen hat der ehemalige Chef der Nationalbank eingefahren, ist damit auf dem dritten Platz gelandet und scheint nun das berühmte Zünglein an der Waage zu sein – vor allem Julia Timoschenko buhlt um den 49-Jährigen. Der Grund: Tigipko hat viele Anhänger im Osten des Landes, wo traditionell nur wenige für die Premierministerin stimmen. In diesen Tagen hat Timoschenko ihm das Amt des Premierministers angetragen – sollte sie Präsidentin werden. Die Offensive scheint zu wirken, denn Tigipko deutete zuletzt vage eine Unterstützung Timoschenkos an.

Viktor Janukowitsch kann dem Werben seiner Rivalin im Rennen um das Präsidentenamt nicht viel entgegensetzen. Im Parlament, das den Premierminister und die Minister bestimmt, hat seine Partei der Regionen keine Mehrheit. Aus diesem Grund will er nach einem möglichen Wahlsieg Neuwahlen ausrufen. Tigipko hat aber bereits deutlich gemacht, dass er diesen Weg Janukowitschs, sich die gesamte Macht zu sichern, für keine gute Idee hält. Auch einem anderen Ansinnen steht er skeptisch gegenüber: Aufgrund einer Initiative Janukowitschs wurde in letzter Minute vom Parlament das Wahlgesetz geändert. Nun entfällt die Vorgabe, dass eine Mindestanzahl von Vertretern beider Kandidaten in den Wahllokalen anwesend sein muss. Janukowitsch wirft seiner Konkurrentin Timoschenko vor, sie hätte vorgehabt, die Wahl zum Scheitern zu bringen, indem sie nicht genügend Vertreter entsendet. Wutentbrannt erklärte die Politikerin, dass ihre Anhänger die Abstimmung nun besonders genau beobachten würden.

So oder so: Viktor Janukowitsch muss im eher Russland zuneigenden Osten der Ukraine die Wahl deutlich gewinnen, denn der westorientierten Westen wird für Timoschenko stimmen. Doch selbst in seinem Stammland wirken die Auftritte des Kandidaten seltsam blutleer. Im Alten Theater von Odessa wird er von rund 1000 handverlesenen Anhängern zwar mit Sprechchören gefeiert, doch die Passanten vor dem Eingang interessieren sich weniger für das Wahlprogramm als für die gratis verteilen blauen Mützen und Schals mit Janukowitsch-Aufdruck. Punkt zwölf Uhr betritt schließlich der gehetzt wirkende Kandidat das Theater, verspricht, dass mit ihm das Leben in der Ukraine besser werde und rückt seine Gegnerin und die ganze „orangene Front“ in die Ecke von Faschisten, die vor fünf Jahren die Macht an sich gerissen und das Land ins Chaos gestürzt hätten. Nach nur 15 Minuten eilt Janukowitsch zum nächsten Auftritt.

Auch das war einer dieser glatten und gut durchorganisierten Auftritte des Mannes, der einst als Bauerntölpel und Knecht des Kremls verspotteten wurde. Wahlstrategen aus Washington haben lange an dem Image des Kandidaten gefeilt. Doch scheinen die Strippenzieher nicht wirklich an die Fähigkeiten ihres Meisters zu glauben. Denn anders als die Vorbilder aus den USA scheut Janukowitsch die direkte Auseinandersetzung mit seiner Rivalin auf offener Bühne. Also bestritt die wortgewandte Julia Timoschenko nur wenige Tage vor dem Showdown eine 90 Minuten dauernde Livesendung im Staatsfernsehen im Alleingang. Für ihren Kontrahenten hatte sie angesichts des Rückzuges nur Spott übrig. „Dieses Studio ist leer, aber der Duft der Angst ist zu riechen“, ätzte Timoschenko. „Ich will nicht, dass ein Angsthase Präsident unseres Landes wird.“

 Knut Krohn[Odessa]

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