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Ein ukrainischer Soldat wartet in der Nähe der Stadt Mykolajiw auf seinen Einsatz.

© IMAGO/ZUMA Wire

Ukraine-Invasion Tag 174: Britischer Top-Militär rechnet nicht mit Groß-Offensive der Ukraine in diesem Jahr

Wieder Explosionen auf der Krim, verstärkte russische Angriffe nahe Donezk, Lettland schickt sechs Haubitzen in die Ukraine. Der Überblick am Abend.

Schon eine Woche bevor Russland in die Ukraine einmarschierte, ließ Jim Hockenhull, der Chef des britischen Militärgeheimdienstes, auf Twitter eine Karte publizieren, die die möglichen Szenarien einer Invasion vorzeichnete. Laut der BBC, der Hockenhull jetzt eines seiner seltenen Interviews gab (Quelle hier), hatte der Geheimdienstchef schon im November 2021 die Ahnung, dass Putin einen Angriff plane.

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Auch jetzt laufen bei Hockenhulls Behörde Geheimdienstinformationen aus der Ukraine zusammen. Hockenhull zeigt sich überrascht von den russischen Fehlern auf allen Ebenen; in der Armee, aber auch politisch. Er sieht ein tiefes Misstrauen zwischen den Machteliten im Kreml und den Truppen. Politische Einmischung sieht er als eines der größten Probleme für die Russen in der Ukraine. Hinzu kämen Probleme bei der Logistik und in der Kommandostruktur. Die Ukraine dagegen kämpfe besser als erwartet – auch die andauernde und geschlossene Unterstützung aus dem Westen sei so nicht erwartet worden. 

Hockenhull rechnet mit einem langen Konflikt zwischen Russland und der Ukraine. Mit großen militärischen Aktionen - wie einer Rückeroberung des Gebiets Cherson durch ukrainische Truppen - rechnet er nicht mehr in diesem Jahr. Falls Putin aber militärisch in die Enge getrieben wird, schließt Hockenhull nicht aus, dass er auch zu taktischen Nuklearwaffen greifen könnte. Deren Einsatz erlaubt die russische Militärdoktrin. „Wir beobachten das sehr, sehr genau“, erklärt er.

DIE WICHTIGSTEN NACHRICHTEN DES TAGES IM ÜBERBLICK

  • Russland spricht von „Sabotageakt“ – Kiew lobt „Meisterleistung“ seiner Armee: In einem provisorischen Munitionslager im Norden der Krim brach am Dienstagmorgen ein Brand aus. In der Folge kam es zu einer dreistündigen Explosion. Mehr hier. 
  • Der Kanzler sucht neue Gasquellen – und erhält eine Abfuhr: Der Kanzler setzt auf Norwegen als künftig wichtigsten Gaslieferanten. In Oslo merkt er, dass das nicht so einfach wird. Und dann gibt es noch einen Dissens. Mehr hier. 
  • Russische Truppen haben ihre Bodenangriffe wenige Kilometer östlich der Großstadt Bachmut drastisch intensiviert. Dies bestätigen Analysten des amerikanischen Thinktanks Institute for the Study of War (ISW). So konnten die russischen Streitkräfte laut eigenen Angaben begrenzte Gebietszuwächse Richtung Bachmut erzielen und unter anderem Teile der 10.000-Einwohner-Stadt Soledar erobern. Das ukrainische Militär bestreitet dies: Russische Truppen wären zwar bis nach Soledar vorgerückt, hätten sich dann aber wieder aus der Kleinstadt zurückziehen müssen. Geoverifiziertes Videomaterial belegt allerdings, dass russische Truppen beispielsweise bereits die Knauf-Gipsfabrik in Soledar kontrollieren. Mehr in unserem Newsblog.
  • Die atomkraftkritische Ärzte-Organisation IPPNW und Umweltgruppen fordern von europäischen Uran-Lieferstaaten ein diplomatisches Eingreifen in die Kämpfe am Atomkraftwerk Saporischschja in der Ukraine. Mit jedem Tag, den die Kämpfe andauerten, steige die Wahrscheinlichkeit, dass es zu einer nuklearen Katastrophe komme, warnte die IPPNW-Vorsitzende Angelika Claußen am Dienstag in Bielefeld. 
  • Fast ein halbes Jahr nach Kriegsbeginn hat Russland dem Westen eine weitreichende Beteiligung an ukrainischen Gegenoffensiven vorgeworfen. „Nicht nur die Koordinaten von Angriffszielen werden von westlichen Geheimdiensten bereitgestellt, sondern die Eingabe dieser Daten in Waffensysteme erfolgt unter der vollen Kontrolle westlicher Spezialisten“, sagte Verteidigungsminister Sergej Schoigu am Dienstag auf der Moskauer Konferenz für internationale Sicherheit der Agentur Interfax zufolge. Beweise dafür legte er nicht vor.
  • Zur Verteidigung gegen russische Truppen hat die Ukraine sechs Panzerhaubitzen von Lettland erhalten. „Zusammen werden wir siegen!“, schrieb Verteidigungsminister Olexij Resnikow in der Nacht zum Dienstag bei Twitter. Es handele sich um sechs selbstfahrende Geschütze des US-amerikanischen Typs M109.
  • Die Gefahr einer Landung russischer Truppen in der ukrainischen Hafenstadt Odessa vom Meer aus ist nach Ansicht britischer Militärexperten weitgehend gebannt. Das geht aus dem täglichen Geheimdienst-Update des Verteidigungsministeriums in London hervor, das. „Das bedeutet, die Ukraine kann Ressourcen verlegen, um die russischen Bodentruppen an anderen Orten unter Druck zu setzen“, so das Fazit der Briten. Für eine sogenannte amphibische Landung von Truppen und Material mithilfe spezieller Schiffe ist kein Hafen nötig.
  • Wie der amerikanische Militär-Thinktank „Institute for the Study of War“ (ISW) schreibt, weigern sich pro-russische Separatisten aus dem Gebiet Luhansk offenbar, weiter für Russland in der Nachbarregion Donezk zu kämpfen. Das ISW beruft sich dabei auf ein Video eines entsprechenden Militärbataillons. Dort bezeichnen die Soldaten ihre Arbeit als getan, hätten sie doch ihre Region bereits am 3. Juli vollständig erobert. 
  • Die Inspektion der Internationalen Atomenergie-Agentur IAEA des von Russland kontrollierten Atomkraftwerks Saporischschja kann einem russischen Medienbericht zufolge nicht von der Hauptstadt Kiew aus erfolgen. „Stellen Sie sich vor, was es bedeutet, durch Kiew zu fahren – es bedeutet, dass sie durch die Frontlinie zum Atomkraftwerk gelangen“, zitiert die Nachrichtenagentur RIA den russischen stellvertretenden Leiter der Abteilung für nukleare Sicherheit und Rüstungskontrolle, Igor Vishnevetsky. Dies sei wegen der „nicht einheitlich aufgestellten“ ukrainischen Streitkräfte ein großes Risiko.

HINTERGRUND UND ANALYSE

1. Mikrochips, Sensoren, Spezialkameras: Mit welchen Tricks Russland sich westliche Technik für seine Waffen beschafft

2. Der Kampf um Donezk: In Pisky zeigen sich die ukrainischen Probleme besonders deutlich

3. Russische Soldaten berichten von ihren Verbrechen: „Ich gestehe, dass ich Zivilisten exekutiert und Bürger bestohlen habe“

4. Wie die „Inglourious Basterds“: So operiert der ukrainische Widerstand in russisch besetzten Gebieten

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