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Die Lebensbedingungen werden immer härter. Eine Frau muss vor der Tür über offenem Feuer kochen.

© dpa

Ukraine-Krise: Ein Land im freien Fall

Die Ukraine hat keine Reserven mehr. Nun sollen drastische Reformen das Land wieder weiter nach vorne bringen.

Die Staatskasse ist leer, die Währung verfällt und die Wirtschaft ist in der Krise. Angesichts dieses Drucks hat sich die Regierung der Ukraine zu drastischen Reformen durchgerungen. Das Parlament stimmte am Donnerstag in Kiew dem Reformprogramm zu. Ministerpräsident Arseni Jazenjuk will 15 Prozent der öffentlichen Angestellten entlassen und den Energiesektor privatisieren. Zudem fordert er neue Milliardenkredite von der internationalen Gemeinschaft – ohne die Hilfe und den Druck des Westens würden die grundlegenden Reformen nicht umgesetzt werden können. „Ohne die Privatisierung von mehr als 1200 Staatsbetrieben werden wir den Anschluss an Europa nicht hinbekommen“, sagte Jazenjuk in seiner Rede vor dem Parlament. Alles stehe auf dem Prüfstand: die Verwaltungsstrukturen, die wichtigen Wirtschaftsbereiche Energie, Agrar und Banken, die Frage der Blockfreiheit und die militärische Ausrichtung.

Allen politisch Verantwortlichen ist bewusst, dass es einen Reformaufschub dieses Mal nicht geben kann. Der Alltag der Ukrainer wird täglich beschwerlicher. Die Inflation liegt bei 21,8 Prozent, das Bruttoinlandsprodukt (BIP) verzeichnet in diesem Jahr ein Minus von acht Prozent. In vielen Regionen des Landes bricht die Versorgung mit Energie immer wieder zusammen. Wie so etwas aussehen könnte, war am vergangenen Wochenende zu sehen, als in der Provinzstadt Winnyzja einige hundert Menschen den angeblich zu regierungsfreundlichen Gouverneur zum Rücktritt zwingen wollten und nach drei Tagen Dauerdemo seinen Amtssitz stürmten und teilweise verwüsteten.

Die Angst ist groß

Auch in Kiew haben viele Menschen Angst, dass sich die wirtschaftliche Situation weiter verschlechtert. In einer Umfrage der Branding & Research Group gaben 88 Prozent der Befragten an, ihre wirtschaftliche Lage als schlecht zu empfinden, 62 Prozent sagten, sie hätten Angst vor der Zukunft. Auch Taxifahrer Sascha klagt. Er sei stundenlang unterwegs, bis er zehn oder 15 Euro verdient habe. Eigentlich müsste er die Preise drastisch erhöhen, doch mehr als 30 Prozent kann er nicht draufschlagen. „Dann fahren die Leute nicht mehr“, sagt der Familienvater, der am Wochenende und am Abend im Zweitjob als Taxifahrer arbeitet. Eigentlich ist er Raumausstatter, doch die Auftragslage ist flau und der Lohn reicht nicht, um die alltäglichen Kosten zu decken.

Trotzdem begrüßt Sascha die Reformpläne der Regierung. „So wie es die letzten zwei Jahre war, kann es nicht weitergehen. Wir hätten der Wahrheit schon viel früher ins Auge blicken und Reformen durchziehen müssen“, sagt der Familienvater. Er hat allerdings Bedenken. So richtig traut er den ukrainischen Politikern nicht über den Weg. „Seit zwanzig Jahren kündigen die Regierungen alles Mögliche an, doch nichts hat sich seitdem verbessert“, bedauert er.

Die Kassen sind leer

Regierungschef Arseni Jazenjuk ist skeptisch, er appelliert deshalb an seine Partner aus dem Westen, ja nicht nachzulassen und die Ukraine auf jeden Fall beim Umbau weiter zu begleiten und aktiv zu unterstützen. Mit Geld und mit Know-how. Die Staatskassen sind leer. Nachdem die Nationalbank Gasschulden bei der russischen Gazprom gezahlt hat und in Vorkasse für Lieferungen im November und Dezember getreten ist, sind die Fremdwährungsreserven der Nationalbank auf unter 13 Milliarden US-Dollar gefallen, ein absoluter Tiefstand. Neben dem IWF-Kredit über 17 Milliarden US-Dollar aus diesem Jahr benötigt das Land für 2015 erneut eine Finanzspritze in Höhe von mindestens 15 Milliarden US-Dollar.

Damit das Geld nicht wie bei früheren IMF-Krediten 1994, 2000 oder 2008 wirkungslos versickert, ruft Jazenjuk die internationale Gemeinschaft dazu auf, in alle Reformbereiche der Ukraine Fachleute zu schicken, die den Umbauprozess begleiten und gewissermaßen auch überwachen. Für die Politologin Viktoria Podgornaja gehen die Reformbemühungen der Regierung in die falsche Richtung. Sie sagte der Tageszeitung „Den“: „Anstatt die Macht der Oligarchen endlich zu beschneiden und einen Mittelstand aufzubauen, setzt auch die jetzige Regierung falsche Prioritäten.“

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