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Update

Ukraine: Krisengipfel in Genf: Hat die Diplomatie noch eine Chance?

Neue Sanktionsdrohungen von US-Präsident Obama und drei Tote bei Schießereien in der Ostukraine sind keine guten Vorzeichen für das heute geplante Vierer-Treffen in Genf. Was für Lösungsansätze gibt es trotzdem?

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Das werden mit Sicherheit angespannte Gespräche: Kurz vor dem Ukraine-Krisengipfel in Genf hat US-Präsident Barack Obama Russland mit weiteren Sanktionen gedroht. Sollte die Regierung die Ukraine weiter destabilisieren, werde dies Konsequenzen haben, sagte Obama dem Sender CBS. Russland schade sich schon jetzt mit den Strafmaßnahmen, die der Westen nach der Angliederung der Halbinsel Krim verhängt habe. Diese betreffen bislang nur Russen und Ukrainer, die für die Eskalation verantwortlich gemacht werden. Am Donnerstag kommen die Außenminister Russlands, der Ukraine und der USA sowie die EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton in Genf zusammen, um über die Krise zu sprechen. Die Chancen, sich dabei deutlich anzunähern, sind gering. Die Aufmerksamkeit dürfte sich ohnehin auf den russischen Präsidenten Wladimir Putin richten, der am Donnerstag wie jedes Jahr Fragen von Bürgern beantworten will und sich dabei nach Angaben eines Sprechers auch über die Sanktionen von EU und USA ausführlich äußert.

Im Osten der Ukraine griffen unterdessen bewaffnete Separatisten nach Angaben des Innenministeriums einen Stützpunkt der Nationalgarde an. Die Soldaten der Basis in Mariupol hätten bei dem Vorfall Warnschüsse abgegeben. Mindestens drei Menschen seien getötet worden. Zudem habe es 13 Verletzte gegeben. Dem Ministerium zufolge verlangten die prorussischen Demonstranten von den Soldaten, sich ihrem Aufstand gegen die Übergangsregierung in Kiew anzuschließen.

Unter diesen Umständen fragt sich, was und wie in der Schweiz an diesem Donnerstag verhandelt werden kann. Bei dem Vierer-Treffen in Genf wollen Russland, die Ukraine, die EU und die USA gemeinsam nach Lösungsansätzen zur Beendigung der seit Monaten andauernden Krise in der südosteuropäischen Ex-Sowjetrepublik suchen.

Wie ist die Situation in der Ostukraine?

Die Lage wird immer unübersichtlicher. Dem ukrainischen Militär ist es bislang nicht gelungen, die besetzten Gebäude in der Region Donezk zu räumen. Trotz eines Militäreinsatzes im Norden der Region, wo Panzer und Kampfflugzeuge im Einsatz sind, kann die Regierung die Situation im Osten nicht beruhigen. Seit über einer Woche werden täglich neue Gebäude in der Unruhe-Region besetzt. Die Belagerer sind professionell ausgerüstete paramilitärische Kräfte. In der Stadt Donezk ist am Mittwochmorgen das Bürgermeisteramt besetzt worden. Kurz nachdem eine Beobachtermission der OSZE abgereist war, übernahmen schwer bewaffnete Männer, die nach eigener Auskunft der prorussischen, paramilitärischen Organisation Oplot angehören, das Gebäude. Bürgermeister Alexander Lukjantschenko, der in den vergangenen Tagen mit der Übergangsregierung, den Separatisten und den OSZE-Vertretern verhandelt hatte, wurde aufgefordert, ab sofort nach den Gesetzen des „Republik Donezk“ zu arbeiten.

Vertreter der selbst ernannten Republik forderten in einem Schreiben Gewerbetreibende dazu auf, eine Pauschalsteuer in Höhe von 70 US-Dollar an die neue Verwaltung zu zahlen. Die Abgabe sei ausschließlich in Fremdwährung und in bar zu übergeben. Würden die Geschäftsbetreiber nicht zahlen, werde ihnen die Konzession entzogen.

In Kramatorsk sollen ukrainische Soldaten nach einem Gespräch mit dem selbst ernannten Bürgermeister die Seiten gewechselt haben. Am Vormittag zeigten Internetmedien Videos, auf denen sechs gepanzerte Militärfahrzeuge zu sehen waren, die mit russischen Fahnen durch Kramatorsk fuhren. Bewohner der Stadt hatten versucht, dem ukrainischen Militär den Zugang zur Stadt zu versperren. Am Abend berichtete die Nachrichtenagentur AFP, angesichts des massiven prorussischen Widerstandes habe die ukrainische Militärkolonne in Kramatorsk die Waffen gestreckt. Die Soldaten hätten damit begonnen, vor einem uniformierten Mann ohne Abzeichen ihre Waffen unbrauchbar zu machen. Die Kolonne gepanzerter Fahrzeuge sei von einer Gruppe prorussischer Aktivisten umringt gewesen. Im Gegenzug hätten die Soldaten die Zusicherung erhalten, den Rückweg antreten zu können.

In der Nord- und Westukraine haben sich mittlerweile Bürgerwehren gebildet. Teilweise werden die Gruppen von Aktivisten unterstützt, die bis vor wenigen Wochen noch auf dem Kiewer Maidan für eine engere Anbindung an die EU protestiert haben. Um Übernahmen wie in Donezk zu verhindern, haben in Sumy im Nordosten der Ukraine proukrainische Aktivisten Straßenkontrollen an den Zufahrtsstraßen der Stadt errichtet. Das Gleiche wird aus dem Südwesten des Landes, aus Odessa gemeldet. Dort haben die Bewohner große Befürchtungen, dass sich in ihrer Stadt schon bald das gleiche Szenario wie in Donezk abspielen könnte. Lokale Medien berichten von „Fremden“, die, als Touristen getarnt in der Stadt aufgetaucht seien. In Kiew sind seit Mittwoch Werbeplakate in U-Bahn-Stationen und an Straßen angebracht worden, die Hinweise darüber geben, was bei einem militärischen Angriff zu tun ist.

Welche Erwartungen hat der Westen an das Treffen in Genf?

Der deutsche Vize-Regierungssprecher Georg Streiter brachte es am Mittwoch auf einen Satz: „Wir hoffen, dass es stattfindet, dass es eine Grundlage ist, dass es möglichst weitere Treffen gibt.“ Die minimalistische Wunschliste entspricht der Lage: Eigentlich hat der Westen gegen einen entschlossenen Eroberer Putin keine Chance. Aber wenn der Eroberer nicht ganz so entschlossen wäre, dann lässt sich „keine Chance“ vielleicht trotzdem nutzen.

Der Weg dorthin war mühsam genug. Auch „der Westen“ tut sich schwer mit einer gemeinsamen Haltung zur Ukraine-Krise. Dieser Westen reicht ja auch von der fernen Weltmacht USA bis zu Konflikt-Anrainern wie Polen. Dass die Nato jetzt gerade beschlossen hat, ihre Truppenpräsenz im Osten zu verstärken, entspricht zum Beispiel eher amerikanischer und osteuropäischer Denkart als der deutschen Schule.

Die Bundesregierung ist in Genf offiziell nicht vertreten. Trotzdem ist Berlin das Zentrum der europäischen Ukraine-Diplomatie. Kanzlerin Angela Merkel hält seit Beginn der Krise den direkten Draht zu Russlands Präsident Wladimir Putin. Erst am Dienstag haben sie wieder telefoniert, Merkel von ihrem Urlaub in Italien aus.

Dass es dabei schon mal sehr direkt zugeht, ließ Sprecher Streiter erahnen, als er nach Merkels Sorge vor einem Bürgerkrieg in der Ukraine gefragt wurde: Die Kanzlerin habe kein Interesse an eskalierender Wortwahl, „jedenfalls nicht in der Öffentlichkeit“. Merkel kann nicht zufrieden sein mit der Entwicklung in der Ukraine und der Rolle, die Russland dabei spielt. Aber auch für die Kanzlerin gilt, was Außenminister Frank-Walter Steinmeier in der „Zeit“ auf die Formel bringt: „Enttäuschung ist keine Kategorie der Außenpolitik.“ Und er vertrat die Einschätzung, dass Russland keinem „Masterplan“ folge, sondern „das eigene Verhalten situativ fortentwickelt“. Wenn diese Sicht stimmt, hat die Konferenz eine Chance, zur Entschärfung der Situation beizutragen.

Was die Ukraine von Genf erwartet

Erobert? Übergelaufen? Prorussische Aufständische am Mittwoch auf einem ukrainischen Panzer in der ostukrainischen Stadt Kramatorsk.
Erobert? Übergelaufen? Prorussische Aufständische am Mittwoch auf einem ukrainischen Panzer in der ostukrainischen Stadt Kramatorsk.

© AFP

Was erhofft die Ukraine von dem Gespräch?

Die ukrainische Seite geht mit weitreichenden Forderungen in das Treffen. Außenminister Andrej Deschtschitza sagte am Mittwoch in Kiew, man werde Beweise mit nach Genf bringen, die bestätigten, dass Russland die Separatisten in der Ostukraine unterstütze. Die Ukraine fordert Russland auf, alle Mitarbeiter des Sicherheitsdiensts und des Militärs aus dem Land abzuziehen, das Gleiche gelte für die Truppenverbände an der ukrainisch-russischen Grenze. Außerdem soll Moskau die Annexion der Krim rückgängig machen, sein Militär von dort abziehen.

Ministerpräsident Arseni Jazenjuk erklärte im Kabinett aber zugleich, er habe „erhebliche Zweifel“, dass Russland diesen Forderungen nachkommen wird. Er nannte die Operationen Russlands in der Ostukraine „inakzeptabel“, was dort vor sich gehe sei „internationale Kriminalität“. Das Gespräch in Genf dürfe nicht ohne Ergebnis bleiben, ein Treffen „nur für das Protokoll“ sei der jetzigen Lage nicht angemessen.

Auch Präsidentschaftskandidatin Julia Timoschenko warnte davor, bei den Gesprächen auf Zeit zu spielen. Der Westen müsse Russland in Genf unmissverständlich klarmachen, dass er das Vorgehen des Kremls nicht akzeptiert. Sollten die Gespräche ergebnislos bleiben, erwarte sie von den Partnern USA und EU das Inkraftsetzen von Stufe drei der Sanktionen. Präsidentschaftskandidat Petro Poroschenko sagte hingegen, er sei überzeugt davon, dass die Vierer-Gespräche dafür sorgen werden, dass Stabilität in die Ukraine zurückkehrt. Er habe keine Zweifel daran, dass die Präsidentschaftswahlen am 25. Mai 2014 stattfinden.

Welche Position nimmt Russland ein?

Dass Moskau dem Vorschlag von US-Außenminister John Kerry zu gemeinsamem Krisenmanagement überhaupt zugestimmt hat, ist eine Geste guten Willens. Denn eigentlich wollte Russland mit der neuen Führung in Kiew gar nicht verhandeln. Diese kam aus Sicht von Kreml und Außenamt durch einen Putsch an die Macht und ist bisher durch den Wählerwillen nicht legitimiert. Auch mit dem Format der Konsultationen ist Moskau nicht besonders glücklich – weil es den Eindruck erwecken könnte, Russland verhandle mit der Ukraine unter Aufsicht von deren Paten im Westen, bei denen Russland Befangenheit vermutet. Washington und Brüssel wären daher gut beraten, diese Bedenken gleich zu Beginn der Gespräche zu zerstreuen. Nur wenn alle Partner die jeweils anderen als gleich und als ergebnisorientierten Unterhändler wahrnehmen, sind Fortschritte möglich.

Russland wird bei den Konsultationen die Ukraine vor allem zu einer tief greifenden Verfassungsreform mit Beteiligung der Regionen drängen, in deren Ergebnis die Ukraine den Quantensprung vom Einheits- zu einem Bundesstaat schafft. Dabei wird Moskau zugleich auf Stärkung der Autonomierechte für Minderheiten pochen. Zumal der Schutz ethnischer Russen im Ausland Verfassungsgrundsatz ist.

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