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Ukraine: Masken haben Konjunktur

Über 50 Menschen sollen inzwischen in der Ukraine an der Schweinegrippe gestorben. Einheimische Politiker nutzen die Angst vor der neuen Grippe im Wahlkampf. Die WHO schickt Experten.

Die Politiker der Ukraine haben ein neues Wahlkampfthema: Mehr als 50 Menschen seien inzwischen in der von der Schweinegrippe besonders betroffenen Region im Westen des Landes gestorben, erklärte gestern Präsident Viktor Juschtschenko. Das Gesundheitsministerium in Kiew spricht nach Angaben der russischen Nachrichtenagentur Interfax von über 184 000 Erkrankungsfällen, rund 200 Menschen schwebten in Lebensgefahr.

Bisher nicht geklärt ist allerdings, wie viele Menschen tatsächlich an der Schweinegrippe erkrankt oder gestorben sind. Nach offiziellen Angaben wurden in der Ukraine erst 14 Fälle des Virus vom Typ A/H1N1 nachgewiesen. Gregory Härtl, Sprecher der Weltgesundheitsorganisation (WHO), weist darauf hin, dass nur wenige Patienten tatsächlich getestet wurden. Sicher sei zwar, dass es in der Ukraine Fälle von Schweinegrippe gebe. Doch gerade jetzt, zu Beginn der normalen Grippesaison, gebe es viele Fälle anderer Atemwegserkrankungen, die in ihren Symptomen der Schweinegrippe ähneln.

Dennoch überschlagen sich die Politiker in Kiew mit Anordnungen. Im Januar wird in der Ukraine ein neuer Präsident gewählt, da gilt es, Profil und Durchsetzungsfähigkeit zu zeigen. So pendelt Premierministerin und Präsidentschaftskandidatin Julia Timoschenko zwischen den Rollen als besorgte Landesmutter und zupackende Regierungschefin: „Keine Panik!“ ist ihre Botschaft an das Volk. Einige Politiker hätten falsche Nachrichten über die Verbreitung exotischer Krankheiten in die Welt gesetzt, erklärte sie einerseits. Gemeint ist damit offensichtlich vor allem ihr Konkurrent Juschtschenko. Andererseits rief sie alle Bürger in einer Ansprache an die Nation auf: „Setzen Sie in öffentlichen Verkehrsmitteln, bei der Arbeit und zu Hause Masken auf! Wenn Sie für sich selbst, ihre Kinder, Nachbarn und Freunde Masken nähen können, ist das für das Land eine sehr große Hilfe.“ Und sie ließ für drei Wochen Schulen und Kindergärten schließen ließ. Auch wurden alle Massenveranstaltungen verboten – wozu allerdings auch Wahlkampfauftritte zählen.

WHO-Sprecher Härtl hat hieran nichts auszusetzen: Am Anfang einer Epidemie seien Überreaktionen „natürlich“. Außerdem könnten diese Maßnahmen eine Verbreitung der Krankheit zwar nicht stoppen, aber durchaus verlangsamen. Auch würden die Menschen auf diese Weise sensibilisiert und gingen schneller zum Arzt oder ins Krankenhaus.

Auch Präsident Juschtschenko erklärte unterdessen, dass er etwas gegen den dramatischen Mangel an Arzneimitteln und Schutzmasken tun werde: Er ordnete an, mehr Masken zu produzieren und bat seinen polnischen Kollegen Lech Kaczynski um zusätzliche Medizinlieferungen. Zudem verkündete der Präsident am Sonntag zum Erstaunen vieler Experten, dass die Epidemie bereits in spätestens sieben Tagen unter Kontrolle sein werde.

Viktor Janukowitsch, wie Timoschenko ebenfalls aussichtsreicher Kandidat im Rennen um die Präsidentschaft, kann als Oppositionsführer zwar nichts anordnen, fordert aber vehement den Rücktritt des Gesundheitsministers Wasyl Kniasewitsch „wegen erwiesener Unfähigkeit“. Diesen Vorwurf wollte der Beschuldigte nicht auf sich sitzen lassen. Noch am Samstag warnte er die Apotheker, Profit aus der Krise zu schlagen: Jedem, der die Preise für Grippemittel erhöhe, werde die Lizenz entzogen. Immer wieder wird gemeldet, dass das Medikament Tamiflu für fast 400 Euro angeboten wird, mehr als das Zehnfache des Marktpreises. Dennoch sind die Apotheken leer gekauft. Nicht mehr zu haben sind nach Medienberichten auch Zwiebeln, Knoblauch und Wodka – alte Hausmittel gegen Erkältungen.

Die Krankenhäuser in einigen Regionen sind hoffnungslos überfüllt. Militärärzte und Reservisten wurden abgestellt, um sich um die wachsende Zahl an Patienten zu kümmern. Um eine noch schnellere Verbreitung der Grippe zu verhindern, wurden neun Bezirke im Westen der Ukraine unter Quarantäne gestellt.

Die WHO kündigte an, an diesem Montag eine Gruppe von Experten in den Westen der Ukraine zu schicken. Sprecher Härtl zufolge sollen die Experten vor Ort Daten und Informationen sammeln und die ukrainische Regierung in Fragen der Logistik und der Kommunikation unterstützen.

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