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Ukraine: "Scheidung in Orange"

Viktor Juschtschenko und Julia Timoschenko sind geschiedene Leute. Neun Monate nach ihrem Sieg bei der "Revolution in Orange" in der Ukraine entließ Präsident Juschtschenko die charismatische Regierungschefin und fast das gesamte zerstrittene Führungsteam in Kiew.

Moskau/Kiew (08.09.2005, 17:02 Uhr) - Es fehle seinen Mitarbeitern an «Mannschaftsgeist», schimpfte der Staatschef. Bei Timoschenko sei «die Eigenreklame an die erste Stelle getreten».

Gegenseitige Vorwürfe der Korruption haben hässliche Flecken auf den orangefarbenen Westen der Ex-Revolutionäre hinterlassen, die alles besser machen wollten als die Vorgängerregierung von Präsident Leonid Kutschma. «Es sind neue Gesichter in die Regierung gekommen, aber der Anblick der Staatsmacht ist der gleiche geblieben», stellte Juschtschenko bitter fest.

Nach dem Kahlschlag in der eigenen Mannschaft muss der westlich orientierte Reformer Juschtschenko seine Regierungsarbeit praktisch von vorn beginnen. Dabei läuft ihm die Zeit weg: Bereits Ende März 2006 stehen Parlamentswahlen an. Viele Ukrainer, die im Winter mit frohgemuten Massenprotesten gegen Wahlfälschungen einen demokratischen Aufbruch erkämpften, sind von ihrem Helden enttäuscht. Juschtschenkos Zustimmungsrate ist von 60 auf 42 Prozent gefallen.

Die Sollbruchstellen in der Führung waren seit langem bekannt. Ohne Timoschenko wäre Juschtschenko nicht Präsident geworden. Die fotogene Politikerin feuerte die Kundgebungen auf dem Kiewer Unabhängigkeitsplatz an. Dafür gab ihr Juschtschenko, dem Charakter nach eher ausgleichend und kein großer Redner, den versprochenen Posten der Regierungschefin.

Doch das politische Traumpaar war uneins, was mit zweifelhaften Privatisierungen der Kutschma-Zeit geschehen sollte. Juschtschenko wollte nur zur Abschreckung wenige Vorzeigefälle rückgängig machen. Timoschenko stellte lange Listen mit Betrieben auf, die verstaatlicht werden sollten. Die Dissonanz verunsicherte Investoren, das Wirtschaftswachstum im flächenmäßig zweitgrößten Staat Europas brach ein.

Eine andere Konfliktlinie verlief zwischen Timoschenko und dem Sekretär des Sicherheitsrates, Pjotr Poroschenko. Der Schokoladenfabrikant, Hauptgeldgeber von Juschtschenkos Wahlkampagne, wäre lieber Ministerpräsident geworden. Doch auch den einflussreichen Posten im Sicherheitsapparat nutzte er Vorwürfen seiner Kritiker zufolge, um eigene Geschäfte mit Zucker und Metall voranzutreiben.

Juschtschenkos persönliche Ehrlichkeit gilt weiter als sein Kapital, auch wenn sich die Kiewer Presse über die Großmannssucht seines Sohnes Andrej (Ukrainskaja Prawda: «Der Sohn Gottes») mokierte. Die Krise zeigt eine alte Schwäche des Präsidenten: Er zögerte lange, energisch durchzugreifen. Ein Unsicherheitsfaktor ist auch Juschtschenkos Gesundheit. Zwar hat er sich von einem fast tödlichen Dioxin-Anschlag im Wahlkampf erholt, doch als Nachwirkung soll er starken Stimmungsschwankungen unterworfen sein.

Für die ehrgeizige Timoschenko muss die Entlassung nicht das Ende der Karriere bedeuten. Juschtschenko habe sie bereits zum dritten Mal verraten, sagte sie. Wie zum Trost wurde sie am Donnerstag in Polen als «Person des Jahres in Mittel- und Osteuropa» ausgezeichnet. Als Chefin einer eigenen Partei hat die Ex-Unternehmerin eine Machtbasis. Sie kann sich nach Einschätzung von Experten in Kiew entweder mit dem Präsidenten versöhnen oder in Opposition gehen. Dann müsste sich Juschtschenko darauf einstellen, bei einer neuen «Revolution in Orange« der Belagerte zu sein. (Von Friedemann Kohler, dpa)

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