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Ein Vorbild. Die Oppositionspartei des ehemaligen Boxers Witali Klitschko könnte bei den Parlamentswahlen am Sonntag auf 16 Prozent der Stimmen kommen. Doch zum Regieren wird es angesichts der zersplitterten Opposition kaum reichen. Foto: Gleb Garanich/Reuters

© REUTERS

Ukraine: Vitali Klitschko, Held der Hauptstadt

In der ukrainischen Provinz ist die Opposition unbeliebt – nur Box-Champion Witali Klitschko punktet.

„Viagra für die Regierung“ scheint das Motto am Leninplatz der Industriemetropole Dnepropetrowsk zu lauten. Die beliebte ukrainische Girls-Popgruppe mit Namen Viagra macht gerade einen Soundcheck, während rund hundert Freiwillige mit den blauen Fahnen der regierenden Partei der Region (PRU) vor der Bühne auf und ab marschieren. „Die Probe ist zu Ende, ihr könnt bis zum Abend nach Hause gehen“, kommandiert eine Lautsprecherstimme von der Seite des Lenindenkmals. Der einstige Revolutionsführer gehört hier genauso dazu wie das teure westliche Einkaufszentrum nebenan. Die Staatspartei PRU wirbt auf großen Transparenten passend dazu mit dem Slogan „Stabilität und Wohlstand“.

Auf dem nahen Karl-Marx-Prospekt ist dafür kilometerlang auch am letzten Wahlkampftag kein einziges Zelt der Opposition zu sehen. „Ich sah seit Tagen keinen Wahlkampf mehr“, erzählt die junge Reisebüroangestellte Irina. „Komisch eigentlich“, schiebt sie dann nach. Immerhin werden die Parlamentswahlen am Sonntag als entscheidend für die Zukunft der Ukraine bezeichnet. Die EU will danach entscheiden, ob sie das nach Julia Timoschenkos Inhaftierung eingefrorene Assoziationsabkommen mit Kiew weiterverfolgt. Brüssel hat freie und faire Wahlen zu einer Bedingung gemacht. Auf der anderen Seite will Moskau die Ukraine in seine Eurasische Union mit Weißrussland und Kasachstan zwingen. Brüssels kalte Schulter käme dem Kreml gelegen.

„Die Opposition war in Dnepropetrowsk immer unbeliebt“, sagt der Student Andrej, der für umgerechnet 17 Euro pro Tag für die Regierungspartei agitiert. Aus diesem Grund sind die roten Kampagnenzelte des Boxers Witali Klitschko oder Julia Timoschenkos rotes Herz hier selten zu sehen . „Hier ist nicht Kiew!“, erklärt er. Während in der ukrainischen Hauptstadt der Wahlkampf tobt und die roten Klitschko-Zelte das Straßenbild beherrschen, geht die einstige sowjetische Rüstungsschmiede scheinbar unberührt ihrem Alltag nach. Doch in Kiew lebt nur jeder siebte Wähler, die Wahl wird in der Provinz entschieden.

Immerhin, auch landesweit ist dem Boxweltmeister Klitschko ein phänomenaler Aufstieg als Politiker gelungen. Hatten westliche Diplomaten seiner Partei „Udar“ – auf Deutsch „Der Schlag!“ – noch im Frühling keine Chance gegeben, bei den Wahlen im Herbst die Fünfprozenthürde zu überwinden, zeigen die letzten Umfragen der Kiewer „Stiftung für Demokratische Initiativen“ beinahe eine Verdoppelung der Wählergunst in den letzten Monaten. Mit rund 16 Prozent hat „Udar“ die von Julia Timoschenko mit Mühe vom Gefängniskrankenhaus aus geführte „Vereinigte Opposition“ (15 Prozent) knapp überrundet.

„Klitschko ist der einzige ukrainische Politiker, dem das Volk vertraut“, sagt die Kiewer Soziologin Irina Bekeschkina dem Tagesspiegel. „Udar“ würde vor allem von jenen Ukrainern gewählt, die sich eine starke Führungsfigur wünschten, haben Bekeschkinas Studien gezeigt. 70 Prozent wählten „Udar“ nur wegen Klitschko, Timoschenko als Gefangene hingegen sei den oppositionell eingestellten Ukrainern zu schwach, sagt die Soziologin.

Bei seinen Wahlkampfauftritten reißt Klitschko die Massen tatsächlich mit. „Die Ukraine braucht neue Politiker, deshalb wähle ich Klitschko“, sagt der Familienvater Oleksandr im Einkaufszentrum „Magelan“ am Rande Kiews. Dass Klitschko nicht zu dem angekündigten Wahlkampfauftritt erschienen ist, grämt den Mittdreißiger nicht. Der Boxer habe es schwer in so einem schmutzigen Wahlkampf, sagt Oleksander. „Im Ring war Klitschko immer fair“, begründet er seine Wahl. Zudem habe Klitschko eine Weiße Weste und sein ganzes Vermögen ehrlich verdient. „Klitschko kennt Europa, und er will, dass es bei uns auch so wird“, schwärmt Oleksander.

Rein rechnerisch kommen Klitschkos und Timoschenkos Oppositionsparteien zusammen mit der rechtsextremen Partei „Swoboda“ („Freiheit“) zwar auf gut 37 Prozent der Stimmen, doch abgesehen von kleineren taktischen Absprachen in einigen der 225 Wahlkreise sind sie sich immer noch spinnefeind. Davon profitiert die bei allen Umfragen führende Regierungspartei PRU (23 bis 27 Prozent). Zusammen mit den ebenfalls erstarkten Kommunisten (10 Prozent) können sie die Mehrheit im Parlament behalten.

Sollte dies nicht reichen, hat der von reichen Geschäftsleuten umgebene Staatspräsident Wiktor Janukowitsch vorgesorgt. Mithilfe eines Teiles der Oppositionsstimmen gelang es ihm, eine Wahlgesetzreform zu seinen Gunsten durchs Parlament zu bringen. Demnach kehrt die Ukraine zum Wahlsystem seines halb autoritären Vorgängers Leonid Kutschma aus dem Jahr 2002 zurück. Und damit werden nur noch die Hälfte der 450 Sitze über Parteilisten vergeben. Der Rest der Abgeordneten wird nach dem einfachen Mehrheitsprinzip in Einerwahlkreisen bestimmt. Die Opposition sieht vor allem diese künftigen Abgeordneten – meist lokal bekannte Geschäftsleute, die auf die Unterstützung der Staatsmacht angewiesen sind – als besonders anfällig für einen späteren Stimmenkauf. „Damit braucht Janukowitsch gar keine gefälschten Wahlen“, sagt Bekeschkina. Gefälscht wird ihrer Ansicht allerdings dennoch, denn viele Lokalfürsten würden sich wohl einfach gleich die Wahlkommission kaufen, vermutet die Soziologin. Klitschkos Partei „Udar“ ist in den Wahlkommissionen nicht vertreten. Geschafft haben es dafür Dutzende von Kleinstparteien, die zumeist vom Staatsapparat selbst gegründet wurden, um eine pseudo-oppositionelle Alternative zu schaffen. Auch dies wirft ein ungünstiges Licht auf diese Wahlen.

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