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Ein ukrainischer Soldat in der Nähe von Donezk.

© AFP

Ukraine zwischen Nato und Russland: Krieg als Taktik

Der russische Präsident Wladimir Putin kann durch die Grenzkonflikte die Westbindung der Ukraine verhindern. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Gerd Appenzeller

Fast vier Monate waren die Minsker Friedengespräche zwischen den ukrainischen Konfliktparteien unter Begleitung der OSZE unterbrochen – am Mittwoch wurden sie wieder aufgenommen. Was zunächst wie ein hoffnungsvolles Signal des Spannungsabbaus aussah – immerhin wurde der Austausch von Gefangenen vereinbart –, war möglicherweise nicht mehr als ein Strohfeuer. Zu der für Freitag geplanten Fortsetzung kam es nicht mehr. Auf wessen Schuldkonto die Absage geht, ist nicht klar auszumachen, weil sich in diesem Konflikt beide Seiten permanent selbst in der Rolle des Unschuldigen sehen.

Gefahr eines "frozen conflict"

Ernüchternd ist die Unterbrechung vor allem deshalb, weil die erste Minsker Vereinbarung – auch unter weißrussischer Vermittlung zustande gekommen – im September das bisher einzige Zeichen eines Interessenausgleichs zwischen der ukrainischen Regierung und den von Russland unterstützten Rebellen gewesen war. Damals hatte man sich auf einen Waffenstillstand und einen teilweisen Rückzug der gegnerischen Parteien in der Ostukraine verständigt. Dieses Arrangement war von beiden Seiten immer wieder gebrochen worden, dient aber bis heute immerhin als Rahmen für weitere Verständigungen. Das ist mehr als nichts, aber wenig angesichts des beginnenden Winters in der Grenzregion zwischen der Ukraine und Russland. Dort könnte die Kampfzone in einem geradezu zynischen Sinne zu einem „frozen conflict“ werden.

Unklar bleibt, welche Rolle bei der Unterbrechung der Minsker Gespräche der Beschluss des ukrainischen Parlaments vom Dienstag gespielt hatte, den Status der Blockfreiheit aufzugeben. Präsident Petro Poroschenko hatte das dann mit mehr als 90-prozentiger Zustimmung angenommene Projekt mit der Begründung vorgelegt, der bisherige blockfreie Status habe die Ukraine nicht vor einer Aggression von außen schützen können, das Land wolle nicht länger schutzlos in einer Grauzone zwischen den beiden Systemen der kollektiven Verteidigung (gemeint sind die Nato und Russland) verbleiben. Die russische Reaktion war vorhersehbar. Außenminister Sergej Lawrow nannte den Kiewer Parlamentsbeschluss „kontraproduktiv“, Ministerpräsident Dimitri Medwedew formulierte markig, die Ukraine sei „nun ein potenzieller Gegner Russlands“. Angesichts der militärischen Überlegenheit Russlands entlarvt sich diese Besorgnis selbst.

Eine infame wie erfolgreiche Taktik

Die Nato reagierte auf den ukrainischen Parlamentsbeschluss zurückhaltend und verwies auf ihre Gipfeltreffen 2008 in Bukarest, bei dem der Beitritt zum Atlantikpakt schon einmal Thema war. Man habe damals beschlossen, hieß es nun, dass die Tür für die Ukraine (und Georgien) offen stünde – „die Ukraine wird ein Mitglied der Nato werden, falls sie darum bittet, die Standards erfüllt und sich an die notwendigen Prinzipien hält“. Zu den Standards und Prinzipien gehört aber, dass keine Staaten in die Nato aufgenommen werden, die ungelöste Territorialkonflikte oder militärische Auseinandersetzungen mit Nachbarstaaten haben. Das weiß natürlich auch Putin. So könnte es eine inzwischen genauso infame wie erfolgreiche Taktik sein, mit Nachbarstaaten Russlands, die sich Richtung westliches Verteidigungsbündnis orientieren wollen, bewaffnete Konflikte anzuzetteln, deren ausschließliches Ziel es wäre, eben diese Westbindung zu verhindern.

Diese Methode wird so lange erfolgreich bleiben, wie die Nato einerseits ihre Prinzipien wahrt und Putin sich andererseits nicht an einem der ost- oder nordeuropäischen Nato-Mitglieder vergreift.

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