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Endstation Berlin - wenigstens vorläufig: Ukrainische Kriegsflüchtlinge Mitte April auf dem Hauptbahnhof der Hauptstadt.

© Fabrizio Bensch/Reuters

Ukrainische Geflüchtete in Deutschland: Deutschkurse für die Mütter, Schulen und Kitas für die Kinder

Zwei Monate nach Kriegsbeginn in der Ukraine geht es in Deutschland immer mehr um die Integration der Geflüchteten. Die wichtigsten Fragen und Antworten.

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Es waren dramatische Szenen, die sich in den letzten Februar- und ersten Märztagen am Berliner Hauptbahnhof und anderen Orten der Republik abspielten. Täglich kamen Tausende Geflüchtete aus der Ukraine, um Schutz vor russischen Panzern und Raketen zu suchen. Die Hilfsbereitschaft und Anteilnahme war groß.

Nun, knapp zwei Monate später, geht es immer mehr auch um die Frage, wie sich die Ukrainer:innen in den Arbeitsmarkt und die Gesellschaft integrieren lassen. Dazu gab es am Montag auch ein Treffen im Kanzleramt. Wie ist die aktuelle Situation der ukrainischen Geflüchteten in Deutschland?

Wie viele Menschen sind bisher aus der Ukraine geflohen?
Unmittelbar nach dem russischen Einmarsch in die Ukraine am 24. Februar flohen täglich rund 210 000 Menschen vor dem Krieg – die Zahl ist inzwischen gesunken. Mehr als fünf Millionen Menschen sollen das Land inzwischen aufgrund des Krieges verlassen haben. Das Flüchtlingskommissariat der Vereinten Nationen (UNHCR) bezeichnet die Fluchtbewegung als die zweitgrößte seit dem Zweiten Weltkrieg:

Nur im indisch-pakistanischen Krieg um Bangladesh verließen 1971 derart viele Menschen in so kurzer Zeit ihre Heimat. In den beiden Jahren der großen Flucht 2015 und 2016 kamen 2,4 Millionen Menschen in den Ländern der Europäischen Union an. Diese Zahl überschritten die Flüchtlinge aus der Ukraine bereits etwa zwei Wochen nach Kriegsbeginn.

Für diese wie auch die Zahlen zur Ankunft in Deutschland gilt allerdings: Sie sind in Wirklichkeit vermutlich deutlich höher. Nicht alle Geflüchteten ließen sich registrieren und mussten dies auch nicht. Viele kamen privat unter, zudem gab ihnen die EU-Massenzustromrichtlinie, die erstmals für den Ukraine-Krieg in Kraft gesetzt wurde, weitgehende Bewegungsfreiheit in der EU und erspart ihnen die Unsicherheiten eines Asylverfahrens.

Wer kommt aus der Ukraine nach Deutschland?
Von den mehr als fünf Millionen Menschen, die die Ukraine wegen des Kriegs verlassen mussten, sind nach Zählungen des Bundesinnenministeriums bisher knapp 370 000 nach Deutschland gekommen. Mehr als die Hälfte (58 Prozent) sind Kinder, von den Erwachsenen sind die allermeisten Frauen (84 Prozent). Männer im Alter zwischen 18 und 60 Jahren dürfen die Ukraine nicht verlassen, weil sie zur Verteidigung herangezogen werden können. Mehr Flüchtlinge als vor sechs, sieben Jahren sind zudem alt, behindert und brauchen Pflege.

Wie und wo leben die Ukrainer:innen?
Trotz des auch hier knappen Wohnraums: Zwei Drittel der Geflüchteten sind privat in Deutschland untergekommen. Anfang April lebten 24 Prozent von ihnen bei Freund:innen, 19 Prozent bei Verwandten und 22 Prozent fanden in anderen Privatwohnungen Unterschlupf. Es ist anzunehmen, dass dies nur für einen begrenzten Zeitraum funktionieren wird. Die Caritas, der katholische Wohlfahrtsverband, warnte schon beim Runden Tisch mit Vertretern von Bund, Ländern und Ehrenamtlichen am Montag vor möglichen Konflikten durch dauernde Enge, und mahnte öffentliche Hilfe an: „Gastgeber:innen und Geflüchtete müssen dringend unterstützt werden, damit die Bereitschaft zur Unterbringung und Begleitung nachhaltig weiterbesteht", erklärte die Caritas-Präsidentin Eva Welskop-Deffaa.

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In einer gemeinsamen Erklärung für den Runden Tisch hatten die großen Wohlfahrtsverbände neben mehr Geld für ihre Jugend- und Pflegedienste auch gefordert, die Geflüchteten möglichst rasch dauerhaft unterzubringen. Sie sollten „nur so kurz wie möglich in häufig abgelegenen Erstaufnahmeeinrichtungen der Länder“ leben müssen.
Die behördliche Unterbringung der Geflüchteten, nicht nur das lange Leben in Erstaufnahmeeinrichtungen sieht auch die Migrationsforschung kritisch – weil sie ihre Integrationschancen beschneidet. Der Königsteiner Schlüssel etwa, der sie je nach deren Bevölkerungszahl und Steueraufkommen über die deutschen Kreise und Städte verteilt, hat nach Berechnungen des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesagentur für Arbeit (IAB) dazu geführt, dass Flüchtlinge in der Vergangenheit überdurchschnittlich oft in Gegenden mit hoher Arbeitslosigkeit leben mussten. Wer dazu nicht gezwungen war, fand leichter Arbeit und wurde damit rascher unabhängig von staatlicher Hilfe.
Wie gut sind die Geflüchteten ausgebildet? Können sie in den deutschen Arbeitsmarkt integriert werden?
Herbert Brücker, Volkswirtschaftsprofessor an der Berliner Humboldt-Universität und Leiter der IAB-Migrationsabteilung, sieht die Möglichkeiten der Geflüchteten als weitgehend günstig: Die Zahl der Hochschulabsolventinnen in der Ukraine sei hoch und höher als der ukrainischer Männer – entsprechend auch die Qualifikation der vielen Frauen, die in Deutschland ankommen. Insgesamt besuchen 83 Prozent eine Hochschule, wobei zu beachten sei, dass viele Ausbildungen, die in Deutschland nicht akademisch sind, in der Ukraine an Unis und Hochschulen stattfinden. Viel werde davon abhängen, dass die Ukrainerinnen hier Betreuung für ihre Kinder haben, „weil davon die Integrationschancen der Frauen abhängen“, so Brücker zum Tagesspiegel.
Die stehen allerdings aus seiner Sicht auch deshalb nicht schlecht, weil sich die staatlichen und politischen Rahmenbedingungen für sie verbessert haben: Sie müssen kein Asylverfahren durchlaufen, das sonst lange Unsicherheit über ihre Zukunft schafft und Arbeitgeber zum Beispiel zögern lässt, Geflüchtete einzustellen. Positiv sei auch, dass die Registrierung inzwischen gut vorankomme. „Nach den uns vorliegenden Zahlen sind inzwischen rund 370 000 Personen registriert, damit schließt sich die Lücke zwischen gezählten und registrierten Personen“, so Brücker. Das sei deshalb wesentlich, „weil die Registrierung die Voraussetzung für alles ist: Für Sozialleistungen, Einschulung, Beschäftigungserlaubnis, Integrationsmaßnahmen, Wohnungs- und Arbeitsvermittlung."
Auch hier ist die Lage für sie besser als für alle, die früher kamen: Bereits Anfang April einigten sich Bund und Länder darauf, dass Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine vom 1. Juni an über die Jobcenter staatliche Grundsicherung erhalten sollen, also die gleichen Leistungen wie zum Beispiel Hartz-IV-Empfänger. Derzeit erhalten sie, wenn sie sich bei den Sozialämtern melden, Zahlungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz.

Was plant die Bundesregierung, um die Integration zu erleichtern?
Schon am 7. April hatten Kanzler Scholz und die Ministerpräsidentinnen und -präsidenten konkrete Maßnahmen beschlossen: Neben der Besserstellung der ukrainischen Flüchtlinge zum 1. Juni – Grundsicherung statt Asylbewerberleistungen – wurde vereinbart, dass Länder und Kommunen zwei Milliarden Euro bekommen sollen. Damit werden vor allem die Mehrkosten an den Schulen und für die Unterbringung der Flüchtlinge ausgeglichen. Zudem sollten Neuankömmlinge beschleunigt registriert und auf die Länder verteilt werden.

Beim Round-Table-Austausch am Montag, zu dem die Integrationsbeauftragte Reem Alabali-Radovan und Kanzler Scholz geladen hatten, ging es nicht zuletzt um Schulen, Kitas und Deutschkurse, die die Mütter der Kinder nur besuchen können, wenn für Betreuung gesorgt ist. Die Deutschkenntnisse der Ankommenden sind gering; das Nürnberger IAB hat allerdings für frühere Migrant:innen aus der Ukraine festgestellt, dass sie rasch Deutsch lernten.
Der Präsident des Deutschen Städtetages, Münsters Oberbürgermeister Markus Lewe, forderte am Montag mehr Hilfe, um Unterricht für ukrainische Kinder zu organisieren, und Kostenbeteiligung des Bundes. Nötig sei es außerdem, dass die Qualifikation von Lehrkräften, die aus der Ukraine kommen, rasch anerkannt würden. Alabali-Radovan sagte Hilfe des Bundes zu. An diesem Mittwoch will das Kabinett einen Ergänzungshaushalt beschließen.
Klar scheint schon jetzt, dass die Hilfe nicht wie einst von Prognosen abhängig gemacht werden soll. Die sind nämlich viel zu unsicher: „Viele wollen so schnell es geht wieder zurück. Einige sind es schon. Aber wenn wir nach Mariupol oder in den Donbass schauen, ist eine schnelle Rückkehr nicht für alle möglich“, sagte die Integrationsbeauftragte. Darum brauche es für sie nun Perspektiven und Chancen auf Teilhabe in Deutschland.

Wie ist die Situation inzwischen in Berlin?
Die Zahl der täglichen Ankünfte in Berlin hat sich inzwischen bei 1500 bis 2000 eingependelt, wie Sozialsenatorin Katja Kipping am Dienstag mitteilte. Ein Großteil der Ankommenden habe akuten Pflegebedarf, sei es durch Gebrechen oder Behinderung. Diese Menschen blieben bevorzugt in Auch deshalb nehme das Land anteilig mehr ukrainische Kriegsflüchtlinge auf als in der bundesweiten Verteilung vorgesehen, sagte Kipping.

Berlin stehe sofort in der Verantwortung für diese Menschen, so die Senatorin. In einem medizinischen Screening werden sie auf ihre Reisefähigkeit untersucht. Wenn die nicht gegeben sei, werden die Menschen zusammen mit ihren Familien in Berlin untergebracht. Das sei nicht nur eine Frage des Geldes, sondern auch eine Frage von Fachpersonal, betonte Kipping. "Gerade ist das abgesichert. Es kann aber immer mal vorkommen, dass es zu Wartezeiten kommt – das muss man auch sagen."

Seit der Eröffnung des Ankunftszentrums am ehemaligen Flughafen Tegel Ende März wurden dort nach Angaben der Sozialverwaltung knapp 24.000 Kriegsflüchtlinge verteilt. 35 Prozent blieben demnach im Land Berlin (8.374 Personen); 65 Prozent wurden in andere Bundesländer weitergefahren.

Über das Landesamt für Einwanderung (LEA) seien bisher 50.000 sogenannte Fiktionsbescheinigungen ausgestellt worden, sagte Kipping. Mit dieser Bescheinigung ist in Berlin der Zugang zu Sozialleistungen und Arbeitsmarkt erst einmal gesichert. "Vielleicht werden nicht alle der 50.000, die den Antrag gestellt haben, dann auch wirklich den Aufenthaltstitel bekommen. Aber das ist erst mal eine Orientierungsgröße", erklärte Kipping.

Zusammen mit den Menschen, die vom Ankunftszentrum Tegel nach Berlin verteilt wurden, könne man schon jetzt von 58.000 Neu-Berlinerinnen sprechen, so die Senatorin. Innensenatorin Iris Spranger (SPD) ergänzte, dass mit Stand Dienstag 11.100 Aufenthaltstitel erteilt worden seien.

Als ein Problem nannte Kipping die nachlassende Spendenbereitschaft. "Es gibt immer Gewöhnungseffekte", sagte sie. "Dazu gehört, dass die Spendenbereitschaft akut zurückgegangen ist." Obwohl das Land Berlin viele Aufgaben übernehme, "gibt es immer noch eine Vielzahl von ehrenamtlichen und freiwilligen Initiativen, die auch wirklich auf Spenden angewiesen sind", sagte Kipping.

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