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Politik: Um ein paar Grad

Von Dagmar Dehmer

Zugegeben, es gibt Ergebnisse, die sich leichter als Erfolg verkaufen lassen als der Ausgang der Weltklimakonferenz. Trotzdem kann das Signal von Montreal nicht hoch genug eingeschätzt werden: Mit dem Kyoto-Protokoll werden 2012 die weltweiten Bemühungen, den Ausstoß von Treibhausgasen zu vermindern, nicht enden. Im Gegenteil, für die Zeit danach werden die Industriestaaten weit anspruchsvollere Klimaschutzziele vereinbaren müssen, wenn die globale Durchschnittstemperatur bis 2100 nicht um mehr als zwei Grad steigen soll. Dieses Maß halten Klimaforscher für gerade noch beherrschbar. Doch wie sich der Klimawandel schon bei einer Erhöhung der Durchschnittstemperatur von 0,7 Grad im Vergleich zum Beginn der Industrialisierung auswirkt, hat nun gerade das Jahr 2005 deutlich gezeigt.

Da gab es Rekorddürren in Spanien und im südlichen Afrika, Rekord-Hurrikane in der Karibik und dem Süden der USA, und einen Rekord-Monsun in Indien, bei dem hunderte Menschen starben. Gleichzeitig schmelzen die Gletscher in den Alpen und im Himalaja – in Rekordgeschwindigkeit. Und das Eis der Arktis schwindet Jahr für Jahr um rund zehn Prozent, mit der Folge, dass die Inuit bei der Jagd immer öfter im unsicheren Eis einbrechen. Die Eisbären finden immer weniger Eisschollen, auf denen sie jagen können, und plündern stattdessen die Mülleimer der menschlichen Siedlungen am Polarkreis. Für die Inuit war das Grund genug, die Untätigkeit der USA beim Klimaschutz als Verstoß gegen die Menschenrechte zu bewerten. Eine entsprechende Klage haben sie in Montreal nun eingelegt.

Kritiker werden einwenden, dieses lausige Gipfelergebnis stehe nicht einmal in einem angemessenen Verhältnis zum Kohlendioxidausstoß, den die 10 000 Delegierten auf ihrem Weg nach Montreal verursacht haben. Angesichts der Bedrohung durch den Klimawandel sei die Einigung darauf, sich in den kommenden drei Jahren auf anspruchsvollere Ziele zur Reduktion von Treibhausgasen zu einigen, nur ein Witz. Doch sie verkennen, wie wichtig das Signal von Montreal für die Industrie ist. Auch wenn die Ziele noch nicht feststehen, ist klar, dass in Zukunft klimafreundliche Techniken belohnt, klimaschädliches Verhalten bestraft werden wird. Ohne dieses Signal wäre der Emissionshandel, bei dem die Firmen seit Januar in der Europäischen Union mit Rechten auf den Ausstoß von Kohlendioxid handeln können, gleich wieder zusammengebrochen. Doch so kann, wer seinen Kohlendioxidausstoß reduziert, nicht benötigte Zertifikate gut verkaufen.

Was die Kritiker der internationalen Klimadiplomatie ignorieren, ist, dass es bei einem dermaßen komplexen Thema genauso schwierig ist, eine Einigung zu finden, wie bei der Reform des Rentensystems. Doch da nimmt jeder hin, dass das Thema schwierig ist. Aber bei der Weltklimakonferenz sitzen mehr als 180 Staaten am Tisch. Da stehen Länder, die um ihr Überleben fürchten müssen wie die pazifischen Inselstaaten, den USA oder Saudi-Arabien gegenüber, die wenig Interesse am Klimaschutz haben. Saudi-Arabien fordert sogar, die Welt müsse den Verlust für nicht verkauftes Öl kompensieren, wenn das Kyoto-Protokoll greift. Und die USA weigern sich, über Klimaschutz auch nur zu sprechen.

Dass der amerikanische Widerstand doch noch gebrochen wurde, ist vor allem der Tatsache zu verdanken, dass am Ende kein Land mehr an der Seite Washingtons stehen wollte. Außerdem ändert sich die öffentliche Meinung in den USA. Nicht nur, dass Bill Clinton entgegen allen Benimmregeln für Ex-Präsidenten seinem Nachfolger in Montreal ins Gewissen redete: Neun US-Staaten wollen jetzt einen Emissionshandel nach europäischem Vorbild aufbauen, und mehr als 100 Städte haben sich auf Klimaschutzziele nach dem Vorbild von Kyoto verpflichtet. Spätestens nach dem Abgang von George W. Bush im Jahr 2009 könnten auch die USA beim Klimaschutz wieder Teil der Weltgemeinschaft werden. Auch das ist der Erfolg von Montreal.

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