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Christian Lindner, FDP-Vorsitzender, hält auf dem Bundesparteitag der FDP am 12. Mai seine Rede.

© Wolfgang Kumm/dpa

Umgang mit Migration: Wie Lindner dazu beiträgt, Alltagsrassismus zu legitimieren

Politiker sehen die Angst vor Fremden zunehmend als "menschlich". Was das mit der Gesellschaft macht. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Anna Sauerbrey

Christian Lindner hat am Wochenende seine Forderung nach einer geregelten Zuwanderungspolitik mit einer Anekdote illustriert, die ihm Ärger eingebracht hat. Man könne sich beim Bäcker, „wenn einer mit gebrochenem Deutsch ein Brötchen bestellt“ nicht sicher sein, ob das ein hochqualifizierter und legaler oder ein illegaler Migrant sei, so Lindner. Damit die Menschen nicht „diesen einen schief anschauen und Angst vor ihm haben“, müsse der Rechtsstaat verlässlicher werden.

Das Kategorisieren von Menschen aufgrund ihrer Gruppenzugehörigkeit wird zunehmend legitimiert

Gegen den Vorwurf, die Äußerung sei rassistisch, verwahrt sich Lindner. Man muss die FDP deshalb auch nicht mit der AfD gleichsetzen. Und dennoch: Der Alltagsrassismus, das Kategorisieren von Menschen aufgrund äußerlicher Merkmale, wird derzeit vielfach legitimiert – und auch Lindners Anekdote trägt dazu bei. Erst kürzlich erzählte der Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer bei einer Veranstaltung, er sei auf dem Weg dorthin beinahe von einem schwarzen Radfahrer über den Haufen gefahren worden; er sei sicher, das müsse ein Asylbewerber gewesen sein. Er habe diesen Schluss aufgrund „statistischer Häufigkeiten“ gezogen, so Palmer. „Das ist kein Rassismus, sondern Logik“, schrieb er.

Tatsächlich zeigt die Kriminalstatistik, dass Zuwanderer bei bestimmten Delikten häufiger straffällig werden. Das Vollzugsdefizit bei Abschiebungen, auf das Lindner anspielt, ist ein reales Problem. Doch was passiert, wenn es plötzlich als „menschlich“ gilt, deshalb jeden anders aussehenden Menschen gedanklich auf seinen Aufenthaltsstatus abzutasten?

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Die Angst vor dem Fremden wird damit zunehmend als unverrückbares anthropologisches Faktum akzeptiert – und zum schlagenden politischen Argument. Dass die Fremdenangst in der Migrationspolitik berücksichtigt werden muss, ist mittlerweile politischer Mainstream. Migrationsethiker wie David Miller, der Autor des Buches „Fremde in unserer Mitte“, halten das für gerechtfertigt und den Kosmopoliten entgegen, dass (die Angst vor) Veränderungen einer Gesellschaft ein legitimer Grund sei, Migration abzulehnen oder restriktiver zu steuern und nicht prinzipiell weniger wert als humanitäre Argumente.

Für demokratische Politiker ist die Abwägung tatsächlich schwierig. Ihre Aufgabe ist es, die Bürger zu repräsentieren – und damit auch ihre Ängste. Und es ist, gerade aus liberaler Perspektive, problematisch, den Leuten in den Kopf hineinregieren zu wollen.

Politiker - auch Christian Lindner - sollten auch weiterhin "Rassismus" und nicht "Sorge" sagen

Dennoch sollten Politiker weiterhin „Rassismus“ und nicht „Sorge“ dazu sagen, wenn einzelne Menschen aufgrund ihrer Gruppenzugehörigkeit kategorisiert werden. Es mag sein, dass das Denken und Handeln aufgrund echter oder gefühlter (Gefahren-)Statistiken ein tiefsitzender Mechanismus ist, der einst evolutionär nützlich war. Moderne Gesellschaften allerdings verharren nicht in dieser Ur-Xenophobie. Sie schützen Minderheiten, nehmen ihre Perspektive ein und sehen jeden Menschen als Individuum. Sie wenden sich gegen pauschale Urteile aufgrund von Wahrscheinlichkeiten, die sich aus Gruppenzugehörigkeiten ergeben.

Der schwarze US-Comedian W. Kamau Bell hat über den Alltagsrassismus einmal gesagt: „Wir denken alle in Schablonen. Die Frage ist, ob man willens und in der Lage ist, die eigenen Gedanken zu kontrollieren.“ Politiker sollten für die Reflexion und Kontrolle der Reflexe kämpfen, statt die Reflexe zu verstärken, indem sie die Gefühlsstatistik zum Maß der Dinge erklären.

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