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Politik: Umstrittene Werbung: Schocken erlaubt

Noch nie hatte Werbung solche Diskussionen ausgelöst: Eine schwarzglänzende Ente auf einem Ölteppich, Kinder beim Hausbau in der Dritten Welt, ein nacktes Hinterteil mit dem Stempel "HIV-positiv", die blutdurchtränkte Uniform eines erschossenen bosnischen Soldaten.Die Motive des italienischen Textilherstellers Benetton bei seiner Anzeigenkampagne Anfang der neunziger Jahre bestanden nur aus einem spektakulären Foto und dem diskret platzierten Schriftzug "United Colours of Benetton".

Noch nie hatte Werbung solche Diskussionen ausgelöst: Eine schwarzglänzende Ente auf einem Ölteppich, Kinder beim Hausbau in der Dritten Welt, ein nacktes Hinterteil mit dem Stempel "HIV-positiv", die blutdurchtränkte Uniform eines erschossenen bosnischen Soldaten.

Die Motive des italienischen Textilherstellers Benetton bei seiner Anzeigenkampagne Anfang der neunziger Jahre bestanden nur aus einem spektakulären Foto und dem diskret platzierten Schriftzug "United Colours of Benetton". "Schockwerbung", riefen Kritiker und trugen den Streit bis vor den Bundesgerichtshof (BGH). Der entschied 1995, die Veröffentlichung der Bilder sei "sittenwidrig". Jetzt hat das Bundesverfassungsgericht die Urteile auf Verfassungsbeschwerden des Verlages Gruner & Jahr, in dessen "Stern" die Anzeigen erschienen waren, aufgehoben (1 BvR 1762/95; 1 BvR 1787/95). Sein Urteil muss den Richtern am BGH heftig in den Ohren klingen. Ihr Spruch von 1995 würde "der Bedeutung und Tragweite des Grundrechts auf Meinungsfreiheit nicht gerecht". Deutlicher geht es nicht.

Entzündet hatte sich der Streit an der unterschiedlichen Auslegung von Paragraph eins des "Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb" (UWG). Ein unabhängiger Wettbewerbsverein nutzte die Vorschrift als Hebel, gegen die Kampagne zu Felde zu ziehen. Denn danach ist im "geschäftlichen Verkehr" all das als "wettbewerbswidrig" zu unterlassen, was "gegen die guten Sitten verstößt". Gerichte, die darüber befinden, müssen jedoch auch die Verfassung zu Rate ziehen, auch Artikel fünf, die Meinungsfreiheit. Das taten sie, waren aber der Ansicht, dass diese Art der Meinung keinen Schutz verdient. Warum? Der BGH brachte es auf den Punkt: weil die provozierenden Motive "zur Auseinandersetzung über das aufgezeigte Elend nichts Wesentliches beitragen". Stattdessen schaffe die Werbung eine "mit dem werbenden Unternehmen solidarisierende Gefühlslage", die "zu kommerziellen Zwecken eingesetzt" werde.

Viele Juristen - außerhalb der Gerichte - fassten sich seinerzeit an den Kopf. "Über Annahme oder Ablehnung von einzelnen Werbefotos wird in einer mündigen Gesellschaft der Verbraucher entscheiden", schrieb etwa der Hamburger Verfassungsrechtler Ingo von Münch. In der Tat: Wenn Karlsruhe in den vergangenen Jahrzehnten ein Grundrecht mit Zähnen und Klauen verteidigt hat, dann die Meinungsfreiheit. Angesichts dieser Tradition hatte das Urteil der Nachbarn vom BGH nach rechtlichen Gesichtspunkten kaum Aussicht, zu bestehen. Die nächsten Benetton-Motive, mit zum Tode Verurteilten aus den USA, setzte das Unternehmen übrigens von sich aus ab. Niemand wollte die Bilder sehen.

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