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Umstrittenes Interview: Horst Köhler: Der Misstöner

Horst Köhlers Lapsus fällt in eine Phase, in der der Bundespräsident wenig Präsenz zeigt.

Berlin - Die Opposition attackiert, aus der CDU werden Bedenken geäußert, die FDP mäßigt, die Kanzlerin lässt erklären, dass sie schweigt. Bundespräsident Horst Köhler hat dieser Tage heftige Kritik auf sich gezogen, zu Recht. Man kann seine Bemerkung, ein Land wie Deutschland müsse seine wirtschaftlichen Interessen im Zweifel auch durch militärische Einsätze wahren, für missverständlich halten oder darauf hinweisen, dass sie durch andere offizielle Positionen (Weißbuch der Bundeswehr) gedeckt sind. Doch bei Fragen dieser Brisanz gilt nun einmal: Wenn das Bundespräsidialamt sich zu nachgetragenen Korrekturen gezwungen sieht, dann hat der erste Mann im Staat etwas falsch gemacht.

Links der Mitte hat Köhler mit seinem Deutschlandradio-Interview nach einem Afghanistanbesuch den empfindlichsten Punkt getroffen. „Kein Blut für Öl“ war Anfang der 90er Jahre das Motto der Gegner des damaligen US-Militäreinsatzes im Irak, dem die deutsche Bevölkerung skeptisch und ablehnend gegenüberstand. Der bloße Verdacht, militärisches Engagement könne wirtschaftlichen Interessen folgen, ist in der Anhängerschaft von SPD oder Grünen gleichbedeutend mit einer Delegitimation solcher Einsätze. „Kanonenbootspolitik“ wittert Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin hinter Köhlers Äußerung, die wir ebenso wenig brauchten wie „eine lose rhetorische Deckskanone an der Spitze des Staates“. Trittin zieht den Vergleich zu Köhlers Amtsvorgänger Heinrich Lübke und damit zu dessen peinlichen Redepannen.

Ein gezielt gekonnter Hieb. Denn eine andere als die schwache Macht, die Dinge mit dem richtigen Wort zu packen, hat er nicht, der Bundespräsident. Horst Köhler, der späte Seiteneinsteiger in die Spitzenpolitik, ist kein begnadeter Rhetor, das wissen die deutschen Bürger und Spitzenpolitiker längst. Den richtigen Ton hat er dennoch oft in einer Weise gefunden, die den Bürgern ins Ohr und Politikern auf die Nerven geht. In diesem Fall aber hat der Bundespräsident empfindliche Gefühle der Bevölkerung verletzt. Die Mehrheit der Deutschen zweifelt längst am Afghanistaneinsatz. Die Klarstellung aus Köhlers Amt, dass der Einsatz in Afghanistan nicht gemeint war, macht die Sache kaum besser. Denn die Frage liegt zu nahe, was denn nach den Einsätzen gegen die Piraten am Horn von Afrika noch kommen könnte.

Der präsidiale Lapsus fiele wahrscheinlich weniger ins Gewicht, wenn da nicht schon eine Lücke wäre. Seit Schwarz-Gelb regiert, ist der Bundespräsident öffentlich wenig präsent. Köhler, im Mai 2009 erneut gegen SPD-Kandidatin Gesine Schwan gewählt, hat in dieser zweiten Amtszeit bisher keinen Anschluss an die Wirkung gefunden, die er in der ersten zweifellos hatte. Sein Gewicht hat er aus seiner Bürgerpopularität geschöpft, dem Eindruck, dass im Zeitalter der Politikverdrossenheit immerhin eine Institution im Staat noch versteht, was die Bürger denken.

Köhler ist einer, der unprätentiös und empathisch zuhört. Seine Beliebtheit beruht auf anderen Eigenschaften als das große Ansehen Richard von Weizsäckers oder die große Integrationskraft eines Johannes Rau. Von Weizsäcker hat – bei ehrlicher Betrachtung übrigens als einziger Bundespräsident – mit einer Rede das Bewusstsein der Deutschen geprägt. Johannes Rau war ausgewiesen als langjähriger Landesvater, mit ihm kam ein Versöhner ins Amt.

Mit Köhler, dem politischen Spitzenbeamten, der Einheitsvertrag und Euroeinführung begleitet hatte, stellten Angela Merkel und Guido Westerwelle einen Kandidaten auf die Bühne, der 2004 als Vorbote ihrer künftigen schwarz-gelben Reformkoalition wirken sollte. Die Kandidatenfindung zählte zu den Verfahren, die Politik als „schmutziges Geschäft“ zeigen. Geschädigt wurde dabei der in der Union ebenfalls als Kandidat in Rede stehende Wolfgang Schäuble. Den Stempel der ökonomischen, schwarz-gelben Kälte brachte aber auch Köhler in sein Amt mit. 2005 gab er seine Zustimmung zur vorgezogenen Neuwahl mit einer Erklärung, die im Lager von Rot und Grün als Wahlaufruf für Schwarz-Gelb verstanden wurde.

Überraschend wurde Köhler 2005 zum Bundespräsidenten, der einer großen Koalition gegenüberstand. Nicht anders als bei seinen Vorgängern entstand zwischen Staatsoberhaupt und Bundesregierung ein Spannungsverhältnis. Dass Köhler, wie er bei Amtsantritt gesagt hatte, nicht nur „offen“, sondern auch „notfalls unbequem“ sein konnte, erlebte Regierungschefin Merkel bald. Die Zurückhaltung, die jede Bundesregierung vom Bundespräsidenten erwartet, ließ Köhler nicht nur vermissen, als er einige Gesetz nicht gegenzeichnete. Er ließ sich überhaupt vom Vorwurf der tagespolitischen Einmischung nicht beeindrucken. Der ehemalige IWF-Chef mit der großen Afrika-Liebe erwies sich als einer, der den reichen Nationen das globale Gerechtigkeitsdefizit vorhielt, den Club of Rome ins Schloss Bellevue einlud, den Wachstumsbegriff thematisierte und angesichts des Klimawandels vor dem Wort Verzicht nicht zurückschreckte. „Monster“ nannte Köhler früh die Finanzmärkte. Seine Mahnungen an die Politik, sie zu zähmen, wurden zu einem Kennzeichen seiner ersten Amtszeit. Seine nächste „Berliner Rede“ im Juni wird Horst Köhler dem Thema Europa widmen.

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