zum Hauptinhalt
Michail Chodorowski

© Reuters

Umstrittenes Urteil: Chodorkowski-Prozess: Was haften bleibt

Nun steht es fest: Der Putin-Kritiker Michail Chodorkowski bleibt im Gefängnis. Was sagt das Urteil über den Zustand des russischen Rechtsstaates aus?

Nach außen wirken sie ungerührt. Ganz in Schwarz gekleidet blättert Michail Chodorkowski in irgendwelchen Papieren, sein ehemaliger Geschäftspartner Platon Lebedew liest Zeitung, als Richter Viktor Danilkin am Montag mit der Verlesung des Urteils beginnt. Zwar steht das genaue Strafmaß noch aus. Doch bereits die ersten Sätze der Urteilsverkündung machen klar, dass das Gericht die Argumentation der Anklage, die Ende Oktober für beide jeweils insgesamt 14 Jahre Haft forderte, fast kritiklos übernommen hat. Vorgeworfen werden Chodorkowski, dem Ex-Chef des inzwischen zerschlagenen Ölkonzerns Jukos, und seinem Juniorpartner Lebedew vor allem Diebstahl von Rohöl und Geldwäsche. Tatbestände, die Richter Viktor Danilkin für bewiesen hält und weswegen er mit hoher Wahrscheinlichkeit auch dem Strafantrag folgen wird. Fallen gelassen wurden lediglich die Vorwürfe wegen Diebstahl von Aktien bei der Übernahme von Tomskneft- WNK, eines Öl- und Gasförderers in Sibirien. Allerdings geschah das nicht, weil sich die Verteidigung mit ihren Argumenten durchsetzen konnte oder es an Beweisen mangelt. Der Tatbestand ist inzwischen lediglich verjährt.

Wie reagiert die Verteidigung?

Der Prozess sei „eine juristische Farce“, erklärte Chodorkowskis führender Anwalt Wadim Kluwgant am Montag. Kurz zuvor hatte er noch gesagt: Wenn das Gericht frei und nur nach dem Gewissen entscheide, sei nur ein Freispruch möglich. Eine Verurteilung würde dagegen belegen, dass sich die Justiz der Politik unterordne. Und dass korrupte Beamte straffrei blieben, die Chodorkowski noch immer als Bedrohung ansehen und seine vorgesehene Entlassung im Jahr 2011 verhindern wollten. Namen nannte der erfahrene Jurist dabei zwar keine. Kenner der Materie wissen jedoch, wer gemeint ist: vor allem der für Energie zuständige Vizepremier Igor Setschin, oberster Controller beim staatlichen Ölkonzern Rosneft und mit Regierungschef Wladimir Putin seit gemeinsamen KGB-Zeiten befreundet. Setschin ist weltweit ein Synonym für Russlands Sonderweg zur Marktwirtschaft, seit das Rosneft-Management sich – über Strohmänner und zu Dumpingpreisen – die Filetstücke von Jukos bei einer Scheinauktion unter den Nagel gerissen hat. Sollte das Urteil gegen Chodorkowski tatsächlich rechtskräftig werden, warnte der Anwalt, würde dies den Triumph korrupter Beamter bedeuten, die den russischen Gesetzesvollzug und die Justizorgane kontrollierten. Es wäre auch ein Rückschlag für ein ganzes Land, das sich doch eigentlich modernisieren will. Und damit auch eine schwere Niederlage für Präsident Dmitri Medwedew.

Was bedeutet das Urteil für Medwedew?

Richter Danilkin hatte die ursprünglich für Mitte Dezember geplante Urteilsverkündung um fast zwei Wochen vertagt. Von russischen Beobachtern, die in der Causa Chodorkowski eine Retourkutsche für dessen finanzielle Unterstützung von Oppositionsparteien und anderen Gegnern Putins vermuten, wurde dies als Zeichen für die noch nicht abgeschlossene politische Willensbildung im Kreml gedeutet. Gemeint waren damit Differenzen zwischen Putin und dem eher Richtung Westen orientierten Medwedew. 2012 wird ein neuer Präsident gewählt, und noch ist nicht entschieden, ob der ehemalige oder der derzeitige Präsident kandidiert. Da Amtsinhaber Medwedew dazu die Unterstützung durch Liberale und Anhänger seiner Modernisierungspartnerschaft mit dem Westen bräuchte, hatten viele gehofft, er werde sich im Fall Chodorkowski durchsetzen. Zumal er zu römischem Recht promovierte, das sich nicht nach Interessenlage der Prozessparteien, sondern nur nach der Beweislage richtet.

Putin hatte sich klar positioniert: Ein Dieb gehöre ins Gefängnis. Chodorkowskis Schuld sei bewiesen. Diese Äußerungen müssten als Druck verstanden werden, vor dem der Richter in die Knie gegangen sei, sagte Chodorkowskis ältester Sohn Pawel in einem Interview mit dem Radiosender „Echo Moskwy“.

Medwedew hatte daraufhin am Freitag in einem Gespräch mit den Chefs der überregionalen Fernsehsender alle Amtsträger ausdrücklich davor gewarnt, ihre Meinung zu diesem Fall oder anderen vor der Urteilsverkündung zu äußern. Und er rang sich, als einer der Fragesteller die „selektive Wahrnehmung von Verbrechen“ durch russische Gerichte kritisierte, zu Sätzen durch, die Beobachter als neuen Angriff auf Putin werteten. Wenn es Beweise gebe, dass Verbrechen, wie sie Chodorkowski zur Last gelegt werden, auch von anderen begangen wurden, dann stelle sich die Frage, wo diese Belege seien. „Wenn es sie gibt, möchte ich, dass sie hervorgeholt werden.“

Offensichtlich hat sich Putin durchgesetzt. Doch Medwedew muss sich bewusst sein, dass westliche Politiker und Investoren, um die der Kreml als Partner für die Modernisierung Russlands wirbt, den Umgang mit Chodorkowski sehr genau beobachten. Zumal auch andere Oligarchen, die sich aus Sicht der russischen Machthaber politisch auf der falschen Seite engagierten, enteignet wurden. Ohne westliches Knowhow aber kann Medwedew Russlands Modernisierung vergessen. Und weil das Projekt seine wichtigste Trumpfkarte im innerrussischen Machtkampf ist, auch die eigene Kandidatur bei den Wahlen 2012.

Was sagt das Urteil über den Zustand des russischen Rechtsstaates aus?

Westliche Regierungschefs nerven die Kremlherrscher permanent mit dem Fall Chodorkowski. Sie müssen sich aber von Putin und Medwedew mit gleicher Regelmäßigkeit vorhalten lassen, damit gegen ihre eigene Forderung nach der Unabhängigkeit russischer Gerichte zu verstoßen. Außerdem ist Chodorkowski alles andere als ein Engel. Andererseits gilt auch, dass loyale Geldaristokraten, die wie er in den wilden Neunzigern die Gunst der Stunde nutzten, um mit ähnlich bedenklichen Praktiken ähnliche Vermögen zusammenzuraffen, derzeit nichts zu befürchten haben. Chodorkowskis Fehler war es, sich trotz Warnungen der Machtelite für die Opposition engagiert zu haben.

Wie geht es nun weiter?

Die entscheidenden Worte – das Strafmaß – fallen erst nach Verlesung der 250 Seiten langen, schriftlichen Urteilsbegründung. Wie viel ein Richter davon mündlich vorträgt, ist allein seine Sache. Aus taktischen Gründen könnte es schon Ende der Woche so weit sein, denn danach beginnen die Weihnachts- und Neujahrsferien in Russland. Das Kalkül könnte sein, dass der Aufschrei im Westen zwischen den Jahren geringer ausfällt. Und die Russen wären wegen des zehntägigen kollektiven Urlaubs auch schon nicht mehr ganz bei der Sache.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false