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Feldherr. Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy während eines Besuchs auf dem französischen Flugzeugträger „Charles de Gaulle“.

© dpa

Umtriebiger Präsident: Wer ist Kriegsherr Nicolas Sarkozy?

Im Libyen-Konflikt preschte er vor – und irritierte manche Partner, während andere Beifall klatschten. Aber auch an vier weiteren Krisenorten ist sein Land im militärischen Einsatz.

An welchen Plätzen in der Welt ist Frankreich derzeit im militärischen Einsatz?

Mit der Intervention des französischen UN-Kontingents „Licorne“ in den Bürgerkrieg in der Elfenbeinküste hat sich weltweit die Zahl der Plätze, an denen französische Streitkräfte aktiv in Konflikte eingreifen, auf fünf erhöht: Afghanistan, wo Frankreich seit Beginn 2001 am Feldzug gegen Al Qaida und Taliban beteiligt ist; die Küste vor Somalia, wo die französischen Schiffe von der Marinebasis Dschibuti aus Piraten verfolgen; die Sahel-Zone, wo in Mali, Burkina Faso und Niger stationierte französische Spezialeinheiten einheimische Kräfte bei der Jagd auf die islamistische Terrorgruppe Aqmi unterstützen; Libyen, wo Frankreich seit dem 19. März an der Seite der Rebellen zum Schutz der Zivilbevölkerung vor den Truppen des Diktators Gaddafi einschreitet, und jetzt die Elfenbeinküste.

Die Beteiligung am Krieg in Afghanistan hatte Präsident Nicolas Sarkozy bei seinem Amtsantritt 2007 geerbt. Vor seiner Wahl hatte er eine schrittweise Verringerung des französischen Einsatzes am Hindukusch in Aussicht gestellt. Tatsächlich wurden die französischen Truppen dort seitdem verstärkt, zuletzt im Juli 2010. Mit 4000 Soldaten stellt Frankreich das viertgrößte Kontingent der Nato-Operation „Enduring Freedom“.

Wie begründet Präsident Sarkozy die Ausweitung der militärischen Interventionen in anderen Ländern?

Es ist eine Vielzahl von Gründen, die den Ausschlag dafür geben, dass Sarkozy neuerdings in der Rolle eines Kriegsherrn in Erscheinung tritt. Sowohl in Libyen als auch in Elfenbeinküste spielt der Schutz der Zivilbevölkerung vor Massakern eine große Rolle. Nach dem Genozid in Ruanda 1994 sah sich Frankreich dem Vorwurf ausgesetzt, das Morden durch Untätigkeit begünstigt zu haben. Auch die Erinnerung an das Massaker von Srebrenica im Jugoslawienkrieg war für Sarkozy in den beiden jüngsten Konflikten ein wichtiges Motiv. Libyen war für ihn wegen der Pannen und Peinlichkeiten der französischen Diplomatie gegenüber den Revolutionen in Tunesien und Ägypten zudem eine Gelegenheit, Versäumtes nachzuholen. So ergriff er die Initiative für die Resolution 1973, mit der der UN-Sicherheitsrat die internationale Gemeinschaft zur Intervention gegen Gaddafi autorisierte. Und noch während die „Pariser Konferenz zum Schutz des libyschen Volkes“ tagte, schickte Sarkozy französische Kampfflugzeuge in den libyschen Luftraum. „Ich bin nicht kriegslüstern, ich mache das nicht aus Spaß“, rechtfertigte er sich. Wo tausende Menschenleben „buchstäblich in letzter Minute“ zu retten sind, sieht er „die Verantwortung Frankreichs vor der Geschichte“ gefordert.

Im Fall Elfenbeinküste wies seine Rhetorik weniger Pathos auf – weil die Voraussetzungen andere sind?

In dem Konflikt, in dem sich der frühere Präsident Laurent Gbagbo und sein Nachfolger Alassane Ouattara seit der umstrittenen Wahl vom November 2010 gegenüberstehen, hatte sich Frankreich zunächst für neutral erklärt. Zwar hatte Sarkozy nach der UN-Proklamation Ouattaras als legalem Wahlsieger den Verlierer Gbagbo ultimativ aufgefordert, seinen Platz zu räumen. Doch ein aktives Eingreifen in den Konflikt zwischen den beiden Kontrahenten schloss er aus. „Kein französischer Soldat darf mehr auf einen Afrikaner schießen“, hatte Sarkozy schon 2008 in einer Rede in Kapstadt gesagt. Damit wollte er die Abkehr von der von Kumpanei mit fragwürdigen Potentaten geprägten Afrika-Politik seiner Vorgänger bekräftigen. Alle Verträge, in denen die früheren Kolonien der einstigen Kolonialmacht Frankreich Zugang zu ihren Naturschätzen zusicherten und diese im Gegenzug den jeweiligen Regimes militärische Unterstützung zusagten, sollten veröffentlicht werden. Nicht mehr der Gendarm, sondern der Partner Afrikas wolle Frankreich sein, lautete die Botschaft, die Sarkozy mit der Einladung an afrikanische Staatschefs zur traditionellen Militärparade am 14. Juli 2010 an die Welt richtete.

In der Elfenbeinküste mischte Sarkozy hinter den Kulissen dann doch mit. Wie die satirische Wochenzeitung „Le canard enchaîné“ berichtete, nahm Sarkozy immer stärker Partei für Ouattara. Der ehemalige Direktor des Internationalen Währungsfonds IWF und frühere Minister des ersten Staatschefs der Elfenbeinküste, Félix Houphouet-Boigny, gilt als persönlicher Freund des französischen Präsidenten. Als Bürgermeister des Pariser Vororts Neuilly hatte Sarkozy ihn 1990 mit Dominique Novion getraut, einer Französin, die Houphouet-Boignys umfangreiches Immobilienvermögen verwaltete. Ouattara sei von französischen Spezialkräften materielle und taktische Unterstützung zuteil geworden, zwischen seinem Hauptquartier und dem Elysée-Palast habe es eine ständige Koordination gegeben, was seinen Truppen schließlich den Marsch auf die Hauptstadt Abidjan ermöglichte. Dort kam es dann zu blutigen Zusammenstößen, die das offene Eingreifen Frankreichs auslösten.

Den für die Öffentlichkeit überraschenden Schritt begründete Sarkozy mit dem Schutz der etwa 12 000 französischen Staatsangehörigen in Elfenbeinküste und einem Appell von UN-Generalsekretär Ban Ki Moon. Der hatte Frankreich „dringend“ aufgefordert, die „notwendigen militärischen Operationen“ einzuleiten, um gemäß der Resolution 1975 des UN-Sicherheitsrats „den Einsatz schwerer Waffen gegen die Zivilbevölkerung zu verhindern“. Wozu die 10 000 Soldaten der UN-Mission Onuci nicht fähig waren, erledigte Frankreichs inzwischen von 900 auf 1650 Soldaten aufgestockte UN-Truppe „Licorne“ im Handumdrehen. Sie trennte Kampfparteien, schonte aber Gbagbo in seinem Bunker. Die „Neutralität“ blieb damit gewahrt.

Spielen für Frankreich im Konflikt in der Elfenbeinküste auch wirtschaftliche Interessen eine Rolle?

Seit die Elfenbeinküste 1960 die Unabhängigkeit erlangte, sind die politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Bindungen an Frankreich immer eng geblieben. Das Erziehungswesen ist vom französischen Vorbild beeinflusst. 90 Prozent der Bevölkerung sprechen oder verstehen zumindest die Sprache der ehemaligen Kolonialherren. In dem an Rohstoffen reichen Land, das lange Zeit als Modell erfolgreicher Entwicklung galt, sind über 600 französische Unternehmen engagiert. Große Gruppen aus Frankreich haben Schlüsselstellungen, so der Erdölkonzern Total, das Telefonunternehmen Orange, die Hotelkette Accor oder Banken wie die Société Générale. Der Mischkonzern des Sarkozy-Freundes Vincent Bolloré betreibt den Hafen von Abidjan, ein anderer Sarkozy-Freund, der Baulöwe Martin Bouygues, die Wasser- und Elektrizitätsversorgung. Dass sie ihre Lizenzen verlieren, wenn Gbagbo kapituliert und Ouattara an die Macht kommt, ist denkbar, aber auch nicht sehr wahrscheinlich. Zwar müsste Ouattara damit rechnen, dass er von Gbagbos Anhängern als Knecht Frankreichs diskreditiert wird. Doch es war Gbagbo, der den französischen Bossen die lukrativen Geschäfte einst zugeschanzt hatte.

Welchen Nutzen kann Sarkozy auf der internationalen Bühne von seinem militärischen Engagement erwarten?

Mit seiner Umtriebigkeit sorgt Sarkozy zweifellos immer wieder für Irritationen in anderen Ländern. Von seinem Alleingang in der Libyen-Frage wurden nicht nur Partner Frankreichs, wie etwa Deutschland, überrascht. Selbst sein eigener Außenminister fiel aus allen Wolken, als er über das Vorpreschen seines Präsidenten bei der Anerkennung des Nationalen Übergangsrats der libyschen Aufständischen erfuhr. Sarkozy gefällt sich in der Rolle des Krisenmanagers: Im Georgien-Krieg schlüpfte er als EU-Ratspräsident in die Rolle eines Vermittler des Waffenstillstands, zu dem die Russen sich allerdings schon längst entschlossen hatten. Zu profilieren versuchte er sich auch in der weltweiten Finanzkrise, in der er sich vom bedächtigen Vorgehen von Bundeskanzlerin Merkel mit dem Ausspruch absetzte: „Frankreich handelt, Deutschland denkt nach“. Für sein entschlossenes Auftreten in der Libyen-Krise oder dem Konflikt in Elfenbeinküste wurde ihm international viel Beifall zuteil. Wieweit ihm dies als diesjährigem Vorsitzenden der Gruppen der acht beziehungsweise zwanzig führenden Wirtschaftsnationen der Welt (G8 und G20) nützt, bleibt abzuwarten.

Welchen Rückhalt hat er bei den Franzosen, kann er als Kriegsherr sein Image zur Wahl 2012 aufbessern?

Der Präsident Frankreichs ist nach der Verfassung „Chef der Streitkräfte“. Militärische Interventionen kann er anordnen, ohne Regierung und Parlament zu befragen. Dennoch gab es zum Libyen-Einsatz eine Debatte in der Nationalversammlung, in der sich aber alle Fraktionen zum Engagement Frankreichs bekannten.

Auch in der Öffentlichkeit erhielt Sarkozy breite Zustimmung. Ähnlich dürften Umfragen zum Vorgehen in der Elfenbeinküste ausfallen. Ob er sich davon bessere Chancen für eine Wiederwahl versprechen kann, ist indes fraglich. Wähler entscheiden nach sogenannten Brot- und Butter-Themen, und gegenüber Siegern können sie sehr undankbar sein, wie die Geschichte zeigt. Churchill wurde 1945 von den Briten abgewählt, und Francois Mitterrand, der mit Frankreichs Engagement im ersten Golfkrieg 1991 ein Popularitätshoch erlebte, verlor danach jede Wahl.

Zur Person:

GEBOREN

Nicolas Sarkozy wurde am 28. Januar 1955 in Paris geboren.

BERUF

Seine politische Laufbahn begann 1977 als Gemeinderat von Neuilly-sur-Seine, einem Vorort von Paris. Dort war er von 1983 bis 2002 auch Bürgermeister. Parallel war er von 1993 bis 1995 französischer Finanzminister. Weitere Ministerposten folgten. Vor allem als Innenminister sorgte er mit einer harten Law-and-Order-Politik für Aufsehen. 2007 setzte er sich in der zweiten Runde der Präsidentschaftswahl gegen die Sozialistin Ségolène Royal durch.

FAMILIE

Nicolas Sarkozy ist zum dritten Mal verheiratet und hat drei Söhne. Vor allem die Trennung 2007 von seiner zweiten Frau Cecilia hat für viel Aufsehen gesorgt – ebenso wie die anschließende Hochzeit mit der italienisch-französischen Sängerin Carla Bruni.

Als sich Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy an die Spitze der Staaten stellte, die das brutale Vorgehen des libyschen Staatschefs Muammar al Gaddafi gegen die Aufständischen unterbinden wollten, wirkte dieses Vorpreschen für viele überraschend. Und als sich der Machtkampf in der Elfenbeinküste zwischen Wahlverlierer Gbagbo und Wahlgewinner Ouattara zuspitzte, war es wiederum Frankreich, das – an der Seite der UN – mit Waffengewalt eingriff. Das wirft die Frage auf, welche Interessen Frankreich und sein Präsident mit dem breiten militärischen Engagement verbinden.

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