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© Mike Wolff

Umweltminister Norbert Röttgen: ''Der Staat ist kein Händler''

Bundesumweltminister Röttgen beharrt auf einem Atomausstieg in einem überschaubaren Zeitraum. Im schwarz-gelben Lager gerät der CDU-Politiker damit immer mehr unter Druck. Mit dem Tagesspiegel sprach er über den Anfang und das Ende der Brücke Atomenergie.

FDP-Chef Guido Westerwelle hat sich beschwert, dass Sie mit Ihrem Atomenergiekurs den Boden des Koalitionsvertrags verlassen hätten. Haben Sie?



Also, ich habe mit Guido Westerwelle gesprochen …

… und sieht er das jetzt anders?

Ich werde nicht aus einem Telefonat berichten. Ich kann nur für mich sagen: Meine Position ist immer die des Koalitionsvertrags gewesen. Dort ist unser Ziel festgehalten, die Energieversorgung auf die erneuerbaren Energien umzustellen – sogar recht pathetisch formuliert als ein Übergang in „das Zeitalter der erneuerbaren Energien“. Wir haben die Kernenergie als „Brückentechnologie“ definiert und festgehalten, dass die Brücke endet, wenn die erneuerbaren Energien verlässlich die Kernenergie ersetzen.

Das lesen Sie so!

Nein, das steht da. Ich werde den Koalitionsvertrag sehr genau einhalten. Pacta sunt servanda. Unabhängig davon halte ich diesen Weg für eines der bedeutendsten Vorhaben dieser Koalition. Es passt auch genau zu uns. Denn wir verbinden damit den Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen und Nachhaltigkeit mit einem Wachstumsprojekt. Wir sollten das als gesamte Koalition offensiv vertreten.

Manche sagen, der Röttgen meint die Verlängerung der Laufzeiten nicht ernst.

Ich glaube, die Diskussion geht im Kern darum, ob wir wirklich meinen, was wir aufgeschrieben haben. Den Punkt müssen wir in der Tat klären. Wollen wir diese grundlegende Erneuerung – oder haben wir das bloß mal so gesagt? Und es ist eine grundlegende Erneuerung, die aussichtsreich, technologiebasiert und mittelständisch ausgerichtet ist. Das wird eine andere Energieversorgung sein als heute.

Die Botschaft der Union lautete aber: Reaktoren sollen laufen, so lange sie sicher sind.

Das ist so nicht richtig. Im Wahlprogramm stand wie jetzt im Koalitionsvertrag, dass die Kernenergie eine Brückentechnologie sein soll. Eine Brücke lässt sich nur bauen, wenn man weiß, welches Ufer sie erreichen soll. Sonst hat das ganze Bild doch keinen Sinn!

Brücken können kurz oder lang sein …

Wenn man ein Ziel vor Augen hat, will man es schnell erreichen. Um so mehr, wenn es um das wichtigste Wachstumsprojekt im Koalitionsvertrag geht.

Ist die Kritik also ein Missverständnis?

Das müssten Sie eigentlich die Kritiker fragen. Aber ich glaube: Ja, es liegen Missverständnisse vor. Einige nehmen nicht wahr, was auf dem Papier des Koalitionsvertrages steht. Es wird zweitens übersehen, dass wir heute die Weichen stellen müssen für die nächsten Jahrzehnte. Und drittens wird die Dimension und die positive Bedeutung unterschätzt. Wir haben schon knapp 300 000 Beschäftigte in der Branche der erneuerbaren Energien. Wir haben dort Wachstum trotz Rezession. Wir sind Weltmarktführer, und der weltweite Bedarf wird steigen. Allein 2,5 Milliarden Chinesen und Inder sehnen sich nach unserem Lebensstandard. Der ist mit alter Technologie nicht erreichbar.

Sie haben es mit der eigenen Partei und vier Energiekonzernen zu tun, die das Zeitalter der erneuerbaren Energien längst nicht sehen. Spielen die mit?

Sie unterschätzen beide, meine Partei und die Energieversorger. Meine Partei und ihre Mitglieder freuen sich, einen wertkonservativen Ansatz des Erhaltens und Bewahrens der Natur mit einem wirtschaftspolitischen Wachstumsprojekt verbinden zu können. Und die Energieversorger sehen die Märkte der Zukunft.

Die sehen aber auch, dass jedes alte AKW pro Tag eine Million Euro Gewinn macht.

Das ist sicher ein betriebswirtschaftlicher Reiz. Nur wird allein aus Betriebswirtschaft kein Energiekonzept.

Reden wir darüber. Sie haben das Ziel beschrieben, wie sieht die Brücke selbst aus?

Die Frage ist, ob die gesetzliche Grundlage, also das geltende Atomgesetz, die richtige Basis für unser Ziel ist. Im rot-grünen Atomkonsens sind die Atom- strommengen politisch festgelegt worden. Wir müssen ein realistisches Konzept dafür erarbeiten, dass erneuerbare Energien als sichere und preiswürdige Energieträger die Kernkraft und Kohlekraftwerke ablösen können. Selbst bei konservativer Einschätzung werden wir bis 2030 bei mindestens 40 Prozent erneuerbarer Energien liegen. Aber das allein genügt ja nicht. Dafür brauchen wir andere, intelligente Stromnetze, und wir müssen mit deren Aufbau jetzt beginnen.

Was bedeutet das?

Erneuerbare Energien funktionieren nicht nach dem alten Konzept von Grundlast, Mittellast und Spitzenlast. Der Wind weht nicht immer, die Sonne scheint nicht immer. Deshalb braucht es regulierbare Kraftwerke, eine intelligente Steuerung der Nachfrage und eben Netze, die das ermöglichen.

Dann darf der Auftrag an den Netzregulierer nicht mehr heißen: Hauptsache billig?

Investitionen in Netze wird es nur geben, wenn es auch eine Rendite gibt.

Die Energieversorger haben derzeit kurzfristigere Sorgen. AKWs wie Neckarwestheim 1 und Biblis A droht die Abschaltung.

Wir stehen in der Verantwortung, ein energiepolitisches Konzept vorzulegen. Die Frage der Laufzeiten wird im Rahmen dieses Konzeptes zu entscheiden sein, nicht schon vorher. Bis dahin muss der Betrieb einzelner Kernkraftwerke auf der Basis des geltenden Rechts entschieden werden. Übrigens eines, das die Unterschrift der großen Energieunternehmen trägt.

Die CDU ist mit der Aussage von Generalsekretär Ronald Pofalla in den Wahlkampf gezogen, Atomenergie sei „Ökoenergie“. Jetzt sagen viele Abgeordnete: Wofür habe ich mich verhauen lassen, wenn der Röttgen das jetzt abräumt?

Die meisten sind darüber durchaus erleichtert. Weil das nicht abgeräumt wird durch Ignorieren der Probleme, sondern ein zukunftsweisendes Konzept.

Was tun Sie eigentlich, wenn die Atomkraftwerke Krümmel und Brunsbüttel wieder ans Netz gehen?

Sicherheit ist kein Gegenstand von Verhandlungen. Die Energieversorgungsunternehmen könnten aber vielleicht ja untereinander zu dem Schluss kommen, dass es eine sinnvollere Aufteilung von Kernkraftwerken in Deutschland geben könnte. Nur: Das ist deren Sache.

In der Regel dürfen bei solchen Tauschgeschäften Reststrommengen nicht von jüngeren auf ältere Anlagen übertragen werden. Lassen Sie darüber mit sich reden?

Ich vertrete ein traditionelles, konservatives Verständnis vom Staat. Der Staat ist kein Händler. Darin muss sich diese Regierung von Rot-Grün unterscheiden.

Es droht sonst der Eindruck, dass man sich Laufzeiten kaufen kann?

So ist es. Aber Kuhhandel ist nicht unsere Aufgabe. Die Politik muss Gewähr dafür bieten, dass die Bürger sicher und preiswürdig Strom bekommen. Unternehmerische Konzepte zu entwickeln, ist Sache der Unternehmen.

Ein Entsorgungskonzept ist Ihre Sache. Wie geht es weiter im Endlager Gorleben?

Ich halte es für verantwortungslos, dass die Erkundung aus politischer Opportunität zehn Jahre unterbrochen war. Man kann die Kernenergie ablehnen, aber man kann sich nicht den Folgen ihrer Nutzung entziehen. Wir werden die Erkundung zügig fortsetzen. Dabei ist die maximale Sicherheit der Maßstab.

Und wenn sich Gorleben nicht als maximal sicher erweist? Russland hat angeboten, deutschen Atommüll zu lagern.

Wir müssen die Verantwortung für unsere Entscheidungen selbst tragen. Alles andere wäre Wohlstandsegoismus. Wir können nicht die Risiken unseres Lebensstils exportieren.

Ist es eigentlich Zufall, dass Sie Ihre Positionen so kurz vor der NRW-Wahl entwerfen?

Ja.

Und das sollen wir glauben?

Ich kann meine Überzeugungsbildung doch nicht einem Moratorium unterwerfen, bloß weil eine Landtagswahl ist.

Aber muss die CDU nicht wirklich mal grüner werden?

Wenn ich das so formulieren würde, käme ich ja in den Verdacht, dass ich das parteipolitisch meinte.

Wie würden Sie’s lieber formulieren?

Die CDU hat die Chance, zwei programmatische Linien zu verbinden: das Wertkonservative und eine technologiebasierte Wachstumspolitik. Das nennt man international durchaus Green Economy.

Es gibt einen in Ihrer Partei, der die Zukunft der Atomenergie dezidiert anders sieht, Fraktionschef Volker Kauder.

In dem Verständnis, das ich gerade geschildert habe, glaube ich das nicht.

Wie würden Sie heute Ihr Verhältnis zu ihrem einstigen Chef beschreiben?

Wir sind sicher unterschiedliche Typen und gehören unterschiedlichen Generationen an – haben uns darin aber auch immer gut ergänzt. Wir haben vier Jahre lang verlässlich und gut zusammengearbeitet und werden das auch weiterhin tun.

Das Interview führten Robert Birnbaum und Dagmar Dehmer. Das Foto machte Mike Wolff.

Zur Person: 

DER JURIST

Der 44-jährige Norbert Röttgen hat in Bonn Jura studiert. 2001, da saß er schon im Bundestag, legte er seine Promotion vor. Am Donnerstagabend in der Humboldt-Universität lobte ihn der der Jura-Professor Michael Kloepfer ausgiebig für seine „Zähigkeit“. Röttgen meinte dazu: „Das hat praktisch noch kein Mensch gewürdigt.“

DER AUFSTEIGER

In der CDU machte Röttgen schnell Karriere. Er trat mit 17 Jahren in die Junge Union ein. Seit 1994 sitzt er im Bundestag. 2002 wurde er rechtspolitischer Sprecher der Unions-Bundestagsfraktion, und 2005 schließlich Parlamentarischer Geschäftsführer der Unionsfraktion.

DER UMWELTMINISTER Wie sein Vorgänger musste sich Röttgen in Rekordgeschwindigkeit in die Umweltpolitik einarbeiten. Beim gescheiterten Klimagipfel in Kopenhagen machte er erste Erfahrungen mit internationalen Konflikten, aber selbst keine schlechte Figur.

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