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Svenja Schulze (49) ist seit dem 14. März 2018 Bundesministerin für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit.

© Thilo Rückeis

Umweltministerin Schulze: "Deutschland muss im Klimaschutz wieder eine Vorreiterrolle übernehmen"

Bundesumweltministerin Svenja Schulze spricht im Interview über ihr neues Amt, einen sozialverträglichen Ausstieg aus der Kohle und eine Welt ohne Glyphosat.

Frau Ministerin, Sie selbst sind Mitglied der Industriegewerkschaft IG BCE, die regelmäßig vor einem schnellen Kohleausstieg warnt. Gleichzeitig gehören Sie dem Naturschutzbund (Nabu) an und dringen als Umweltministerin auf mehr Handeln beim Klimaschutz. Wie passt das zusammen?

Das passt wunderbar zusammen. Ich diskutiere einerseits mit meiner Gewerkschaft darüber, was wir bei der Energiewende alles hinbekommen müssen. Andererseits werbe ich beim Nabu dafür, dass auch die sozialen Komponenten des Kohleausstiegs gesehen werden müssen. Aus der grünen Frage ist längst eine rote geworden. In Umweltthemen werden wir immer auch die sozialen Auswirkungen mit bedenken. Auf der internationalen Ebene gibt es dafür den Namen „Just Transition“. Es gilt, Gerechtigkeit und Wandel zusammenzubringen.

Können Sie es nachvollziehen, wenn die Kohlekumpel in Nordrhein-Westfalen sagen: Die SPD ist für uns unwählbar, weil sie zu grün geworden ist?

Ich möchte eine sozialdemokratische Umweltpolitik machen. Das ist mein Anspruch. Das heißt auch, dass ich die sozialen Belange des Umwelt- und Klimaschutzes deutlich formulieren werde. Gerade die SPD setzt sich für die Beschäftigten ein und wird immer alles daran setzen, ihnen Perspektiven aufzuzeigen. Das ist unser Thema und bleibt es auch.

Sie sind erst seit knapp einem Monat im Amt und haben schon einige Fronten aufgemacht: Kohle-Kommission, Nahverkehr, Luftreinhaltung, Glyphosat. Wollen Sie, dass das Umweltministerium nicht mehr so stark zurücktritt hinter die anderen Ministerien?

Ich habe es nicht so erlebt, dass das Umweltministerium bisher ein zurückhaltendes Ministerium war. Umwelt und Klima haben natürliche Reibungspunkte mit anderen Ministerien, das zieht sich quer durch. Ich scheue mich davor aber auch nicht, weil wir im Umweltministerium die richtigen Argumente haben und überzeugen können. Außerdem habe ich einen Koalitionsvertrag im Rücken.

Ihrer Amtsvorgängern Barbara Hendricks haben aber drei Ministerien regelmäßig die Arbeit schwergemacht: Wirtschaft, Verkehr und Landwirtschaft.

Nur die drei? (lacht) Es sind wohl mehr als drei Ministerien, die einer Umweltministerin mitunter das Leben schwermachen wollen.

Mit all diesen müssen Sie sich anlegen, wenn Sie es mit dem Klimaschutz ernst meinen. Warum sollte das bei Ihnen besser laufen?

Weil ich auf dem aufbauen kann, was Barbara Hendricks erreicht hat. Sie hat das Pariser Klimaschutzabkommen mit erarbeitet. Die letzte Bundesregierung hat zudem den Klimaschutzplan 2050 beschlossen. Darin ist klar festgelegt, wie viel Tonnen Kohlendioxid jeder einzelne Sektor an Einsparung zu erbringen hat. Das heißt: Klimaschutz ist eine Gemeinschaftsaufgabe der gesamten Bundesregierung. Klimaschutz ist kein Blümchenthema mehr, sondern festgelegt durch verbindliche europäische und internationale Ziele. Wir haben uns im Koalitionsvertrag außerdem klar dazu bekannt, die Klimaziele 2030 einzuhalten. Alle Ministerien wissen also, dass sie liefern müssen. Aber ich verstehe auch, dass sie teilweise vor enormen Herausforderungen stehen.

Beim Ausstieg aus Glyphosat scheinen sich Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner und Sie ja immerhin schon geeinigt zu haben. Bis wann steigt Deutschland aus?

Ich will, dass wir in dieser Legislaturperiode aussteigen. Das wird schrittweise passieren. Es ist auch nicht trivial, denn es fehlt an manchen Stellen noch an guten Alternativen. Die Deutsche Bahn etwa hat Schwierigkeiten, die Gleiskörper ohne Glyphosat von Unkraut frei zu halten. Da haben wir noch nicht viel anderes. Gut ist, dass es aus den Städten bereits positive Signale gibt. Einige Städte haben schon erklärt, dass sie Bürgersteige oder Plätze ohne Glyphosat von Unkraut freihalten wollen, zum Beispiel durch Abflammen. Es gibt auch Städte, die stadteigenes Ackerland verpachten und dort keinen Glyphosateinsatz mehr dulden wollen. Man kann ja auch etwa den Boden früher umbrechen, damit die unerwünschten Kräuter gar nicht erst rauskommen oder zur bewährten Praxis der Fruchtfolge zurückkehren.

Sie haben im Bundestag "eine rundum verbesserte Pflanzenschutzmittelpolitik" angekündigt. Was planen Sie da?

Es ist ja nicht damit getan, dass wir nur aus Glyphosat und den Neonikotinoiden aussteigen. Wir werden einen neuen Umgang mit Pflanzenschutzmitteln insgesamt brauchen, wenn wir in Deutschland wieder mehr Insekten haben wollen. Ohne Insekten haben wir Probleme mit der Bestäubung, mit dem Wasserschutz, mit den Böden, wir haben dann auch irgendwann keine Vögel mehr. Deshalb wollen wir ein Insektenschutzprogramm auflegen, dessen Eckpunkte wir zurzeit erarbeiten und bald vorlegen werden.

Kanzlerin Angela Merkel hat nach dem Streit um die Führung bei der Kohle-Kommission ein Machtwort gesprochen, nun werden vier Ministerien beteiligt – neben Ihrem und dem Wirtschaftsministerium auch Inneres und Arbeit. Wie viel an dieser Besetzung ist Parteiproporz?

Es gibt jetzt eine gemeinsame Steuerung der Strukturentwicklungskommission und das ist richtig so. Die Kommission war im Klimaschutzplan 2050 ja noch beschrieben als eine reine Strukturwandel- Kommission mit einem Fokus auf Wirtschaft. In den Koalitionsverhandlungen haben wir das geändert und der Kommission auch Aufträge beim Klimaschutz gegeben. Die Kommission soll jetzt etwa benennen, wie wir die Lücke zum Klimaziel 2020 weitestgehend schließen können. Dass nun auch Hubertus Heil als Arbeitsminister dabei ist, finde ich ganz wunderbar, denn es geht ja um eine ganze Menge Arbeitsplätze. In der Lausitz arbeiten 8000 Menschen in der Braunkohlewirtschaft, im Rheinland sind es 9000. Im Bereich erneuerbare Energien gibt es übrigens allein in Sachsen bereits 15.000. Das zeigt, dass auch Neues entstehen kann. Davon brauchen wir mehr. Die Kohlekumpel gut unterzubringen und auch eine gute Zukunft für ihre Kinder und Enkel zu schaffen, ist mir ein Anliegen. Ich komme aus Nordrhein-Westfalen und weiß, wie hart der Strukturwandel ist. Es ist nicht allein damit getan, ein Enddatum für die Kohle zu nennen. Da würden wir die Menschen vor Ort alleine lassen, Frustration schüren. So etwas sehen wir gerade in manchen Regionen der USA, das wäre keine gute Entwicklung.

Verkehr, Gebäude und Landwirtschaft gelten als die Problemkinder beim Klimaschutz. In diesen Bereichen wird Deutschland sein Klimaziel bis 2020 nicht erreichen. Wissen Sie schon, bei welchen Ländern Sie für 2019 und 2020 Emissionsrechte zukaufen wollen, damit die EU-Vorgaben erfüllt werden können?

Wir wollen die Lücke so klein wie möglich halten. Als starkes und innovatives Land muss es unser Anspruch sein, nicht auf Dauer von anderen Ländern Emissionsrechte zu kaufen. Die Herausforderung wird ja in den nächsten Jahren nicht kleiner, sondern größer. Dann werden Klimaschutz-Defizite bei Verkehr, Gebäude und Landwirtschaft schnell richtig teuer. Deutschland war mal Klimaschutzvorreiter, und da wollen wir auch wieder hin. Um das zu erreichen, werden wir nun einen Maßnahmenplan erarbeiten, das sieht der Klimaschutzplan 2050 vor. Wir sammeln aus allen Sektoren Maßnahmen ein, die wir dann dem Parlament vorlegen werden.

Experten kritisieren die Maßnahmen vom Dieselgipfel als unzureichend. Können Sie damit Fahrverbote vermeiden?

Bei den Städten, in denen wir wirklich massive Überschreitungen der Grenzwerte haben, München, Stuttgart und einige andere, fürchte ich, dass wir allein mit Software-Updates nicht hinkommen. Auch die vielen Maßnahmen aus dem Sofortprogramm Saubere Luft, also etwa die Elektrifizierung von Bussen, sind zwar gut und werden vielen Städten helfen, bringen aber in der Summe zu wenig, um das Problem in den besonders belasteten Städten zu lösen. Deshalb werbe ich ja so intensiv für technische Nachrüstung. Aus meiner Sicht ist sie das einzig realistische Mittel, Fahrverbote zu verhindern.

Müssen die von den Autoherstellern bezahlt werden?

Ja, sie sind ja auch die Verursacher. Wir brauchen diese Nachrüstungen vor allem für die besonders belasteten Ballungsräume, in denen wir die Grenzwerte anders nicht einhalten können. Das werden letztlich nicht 50 Städte sein, sondern um die 20.

Muss sich an der Zusammenarbeit zwischen Autoindustrie, Verkehrsministerium und Kraftfahrtbundesamt etwas ändern?

Es hat sich ja schon manches zum Besseren verändert. Die Autoindustrie muss jetzt bei der Zulassung nachweisen, dass neue Fahrzeugtypen nicht nur im Labor sauber sind, sondern auch auf der Straße. Tricksereien wie früher sind dann nicht mehr möglich. Verkehrsminister Andreas Scheuer und ich tauschen uns ja auch schon intensiv aus. Wir wollen beide eine starke Automobilindustrie in Deutschland mit vielen guten Arbeitsplätzen. Allerdings wird sie nur stark bleiben, wenn sie auch Vorreiter für die Mobilität der Zukunft ist. Der große Markt der Zukunft ist China. Das Land will die Luft in den Städten besser machen. Da werden bald keine Autos mehr gekauft, die dreckig sind.

Auch im Verkehrsbereich würde man die Emissionen reduzieren können, wenn ein CO2-Preis eingeführt würde. Wie stehen derzeit die Chancen, dass Deutschland einen Preis auf Kohlendioxid bekommt?

Die Idee finde ich sehr einleuchtend. Es ist ja so, dass die Emissionen im Stromsektor ab-, im Verkehr aber zunehmen. Im Klimaschutzplan haben wir für dieses Instrument einen offenen Prüfauftrag verankert. Meiner Meinung nach muss man Modelle der CO2-Bepreisung entwickeln, die auch sozial innovativ sind und Entlastungen an anderer Stelle vorsehen, um gerade Menschen mit geringem Einkommen nicht zusätzlich zu belasten. Schweden und andere Länder haben das vorgemacht. Es gibt allerdings in der Koalition unterschiedliche Meinungen bei dem Thema, vor allem im Süden dieses Landes. Die wollen an das Thema derzeit nicht ran. Aber das kann sich ja noch ändern.

Sie haben gesagt, Deutschland müsse wieder eine Führungsrolle im internationalen Klimaschutz übernehmen. In Bonn findet im Mai die Zwischenkonferenz dazu statt. Was wird Deutschland mitbringen?

In Bonn werden unsere Experten die Beschlüsse für die Weltklimakonferenz im Dezember in Kattowitz vorbereiten. Da geht es um das Kleingedruckte, damit das Pariser Klimaschutzabkommen auch gut umgesetzt werden kann. Außerdem wollen wir eine globale Bestandsaufnahme vorbereiten, die im Dezember stattfinden wird: Wo stehen wir? Wo wollen wir hin? Wie kommen wir dahin? Da wird sicher deutlich werden, dass die bisherigen nationalen Klimaziele in der Summe noch nicht reichen, um die Erderwärmung auf deutlich unter zwei Grad zu begrenzen. Da landen wir eher bei über drei Grad, was dramatische Folgen hätte. Die Weltgemeinschaft wird also in den nächsten Jahren nachlegen müssen. Das gilt auch für Europa.

Bei der Klimakonferenz in Kattowitz Endes des Jahres könnten Sie überzeugen, wenn Sie einen Plan zur Erreichung des 2020-Ziels und zumindest den Entwurf für ein Klimaschutzgesetz für 2030 mitbringen würden. Machen Sie das?

Das Klimaschutzgesetz kommt im nächsten Jahr. Mein Ziel ist, dass wir aufbauend auf der Arbeit der Strukturentwicklungskommission zwei Botschaften mit zur Weltklimakonferenz nehmen können: Erstens eine klare Ausstiegsperspektive aus der Kohleverstromung. Und zweitens einen guten Plan, wie wir neue Perspektiven für die Menschen in den Kohleregionen schaffen können. Denn international stehen viele Länder vor ähnlichen Herausforderungen.

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