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Politik: Umzug auf Befehl

Jahrzehntelang prägten die Soldaten der 10. Panzerdivision die Kreisstadt Sigmaringen. Das ist nun vorbei: Ende 2014 schließt der Bundeswehrstandort seine Tore.

Die Bundeswehr hat nach dem Ende des Kalten Krieges im Zuge verschiedener Reformen immer mehr Standorte geschlossen.

Verteidigungsminister Rudolf

Scharping (SPD) brachte im Jahr 2000 die erste Bundeswehrreform auf den Weg, die neben der Verkleinerung der Armee die Schließung von 59 der bis dato rund 600 Standorte zur Folge hatte. 2003 initiierte Verteidigungsminister Peter Struck (SPD) erneut Einschnitte beim

Personal und reduzierte die Bundeswehrstandorte in der Republik um 105 auf 400. Deutschlands aktueller Verteidigungsminister Thomas de Maizière (CDU) hat im Herbst 2011 die Schließung von 31 weiteren Standorten angekündigt. S.K.

Manche Tage sind für den Einzelnen so bedeutsam, dass sie sich tief ins Gedächtnis brennen. Für die Soldaten der 10. Panzerdivision in Sigmaringen (Baden-Württemberg) war der 26. Oktober 2011 so ein Tag. Damals verkündete Verteidigungsminister Thomas de Maizière (CDU) das Aus für den traditionsreichen Bundeswehrstandort an der Donau: Ende 2014 wird die Graf-Stauffenberg-Kaserne an der Binger Straße im Zuge der Bundeswehrreform geschlossen. Rund 1500 Dienstposten und 24 zivile Angestellte sind davon betroffen. Damit ist Sigmaringen bundesweit eine der größten und ältesten Garnisonen, die dichtgemacht wird. 2009 feierte der Verband mit dem schwarzen Löwen im Wappen seinen 50. Geburtstag.

Ende 2012 ist vom bevorstehenden Zapfenstreich in der Kaserne nichts zu sehen und nichts zu hören. Auf den schneebedeckten Wegen und in den Dienstgebäuden der Liegenschaft sind in diesen Tagen nur wenige Soldaten unterwegs: Die Truppe bereitet sich auf verschiedenen Übungsplätzen im Land auf den Einsatz in Afghanistan vor. Die 10. Panzerdivision wird im Frühling 2013 als Leiteinheit an den Hindukusch gehen, wo sie für die Verlegung von Personal und Material zuständig sein wird. Es ist ein Ziel, auf das die Soldaten nicht nur routinemäßig hinarbeiten, sondern das ihnen offenkundig auch Halt gibt in Zeiten der Umstrukturierung.

Oberstleutnant Oliver Bergen ist einer der wenigen, die schon jetzt mit der bevorstehenden Schließung des Standorts befasst sind. Auf seinem Schreibtisch in der Kaserne stapeln sich in mehreren Reihen Akten in bunten Pappregistern. „Friedensgeschäft“, nennt Bergen die Arbeit, die nach diversen Auslandseinsätzen in der Heimat auf den 44-Jährigen wartet. Für den Personalchef der „Zehnten“ bedeutet die Bundeswehrreform, dass er für rund 100 Soldaten so schnell wie möglich einen neuen Arbeitsplatz finden muss. Sie gehören wie der Offizier selbst zum Stab der 10. Panzerdivision; die Kommandobehörde der Einheit wird im Rahmen der Reform aufgelöst. Der größte Teil der Einheit wird ins fränkische Veitshöchheim bei Würzburg verlegt und dort mit anderen Truppenteilen zur neuen 10. Panzerdivision zusammengeführt.

Der neue Dienstsitz der Einheit

liegt in Bayern

Derzeit prüft Bergen, welche Ausbildung und Restdienstzeiten die Soldaten des Stabes haben und wo sie nach dem Zapfenstreich in Sigmaringen zum Einsatz kommen könnten. „Soldaten sind Bundesbeamte“, sagt Bergen mit Blick auf die Zukunft „seiner“ Leute. „Ihr Arbeitsplatz ist die Bundesrepublik Deutschland.“ Heißt im Klartext: Die Soldaten der Sigmaringer Panzerdivision müssen sich wenigstens auf einen Ortswechsel gefasst machen. Für die Unteroffiziere und Mannschaftsdienstgrade am Standort sei dies besonders bitter, sagt Bergen. Sie seien im Gegensatz zu Offizieren, die turnusmäßig alle zwei bis drei Jahre den Dienstposten und Einsatzort wechseln, nicht ans Umziehen gewöhnt und blieben oft jahrelang an einem Ort. „Wer sich hier ein Nest gebaut hat, muss es jetzt aufgeben oder zum neuen Arbeitsplatz pendeln“, sagt Bergen.

Für das Gros der 10. Panzerdivision liegt die neue Dienststätte künftig im rund 270 Kilometer entfernten Veitshöchheim. So will es der Plan von Verteidigungsminister de Maizière. Der Soldat hat dem prinzipiell zu folgen. „Die Bundeswehr entscheidet nach Eignung, Leistung, Befähigung und Bedarf“, erläutert Oberstleutnant Bergen das Prozedere bei der Vergabe von Dienstposten. „Sie können nicht einfach sagen, ich gehe da nicht hin.“ Wer aus persönlichen Gründen – beispielsweise wegen schulpflichtigen Kindern, Berufstätigkeit des Lebenspartners, Wohneigentum oder pflegebedürftigen Angehörigen – Einwände gegen eine Versetzung habe, könne aber einen sogenannten Härtefallantrag bei seinem Vorgesetzten stellen.

Bergen ist sich sicher, dass in den kommenden Wochen und Monaten noch einige solcher Anträge auf seinem Schreibtisch landen werden – und eine arbeitsrechtliche Klagewelle auf die Bundeswehr zurollt. Ende September ließ er per Fragebogen eruieren, welche künftige Verwendung und welchen Standort sich die Soldaten des Stabes wünschen. Von 150 zogen 30 die Kaserne in Veitshöchheim als Dienstsitz in Erwägung – die Mehrheit der Befragten wollte am liebsten in der Sigmaringer Gegend bleiben. Viele schätzen die rund 16 500 Einwohner zählende Kreisstadt und den Raum vor allem für ihre ländliche Ruhe und die zahlreichen Freizeitmöglichkeiten im Grünen. Dass sie nicht mehr weg wollen, ist aus Sicht von Oberstleutnant Bergen ein Problem. Zwar gibt es beispielsweise in den relativ nahe gelegenen Städten Ulm, Calw oder Füssen Bundeswehrstandorte, die als potenzielle Arbeitsplätze infrage kommen. Allerdings hat wohl nicht jeder dieser Standorte für die Unterzubringenden auch eine Verwendung.

Soldaten, die über 50 Jahre alt sind, können womöglich von einer Sonderregel profitieren. Das sogenannte Personalanpassungsgesetz erlaubt einigen Soldaten unter bestimmten Voraussetzungen, vorzeitig in den Ruhestand zu gehen. 3100 Soldaten dürfen demnach bis 2017 ihren Dienst quittieren, wenn kein geeigneter Dienstposten für sie vorhanden ist. Am Standort Sigmaringen könnte diese Regelung für besonders viele Beschäftigte infrage kommen: Dort gibt es überdurchschnittlich viele Soldaten, die schon lange im Dienst sind. „Wir werden aber sicher nicht alle gehen lassen können, die dies wünschen“, sagt Brigadegeneral Johann Langenegger, stellvertretender Kommandeur der 10. Panzerdivision. „Das lassen unter anderem unsere internationalen Verpflichtungen nicht zu. Wir müssen in internationalen Stäben angemessen vertreten sein.“

„Weiße Flecken“

auf der Landkarte

Wäre es nach Stabsfeldwebel Friedrich Wilhelm Körner gegangen, wäre er mit Kind und Kegel für den Rest seines Lebens in Sigmaringen geblieben. „Eigentlich wollte ich jetzt sesshaft werden“, sagt Körner. Nun aber muss er gehen. „Man lebt halt damit“, beschreibt der 44-Jährige seine Haltung zur Standortschließung. „Manchmal muss man eben umdenken. Mal sehen, was kommt.“ Der Stabsfeldwebel hofft, dass ihn die Bundeswehr nach der Schließung der Graf-Stauffenberg-Kaserne nach Oldenburg, in den Norden der Republik abkommandiert – wo die Familie Verwandtschaft hat. Die 14-jährige Tochter ist über diesen Plan gar nicht glücklich: „Da muss ich ja schon wieder die Schule wechseln“, habe das Kind gestöhnt.

„Eine Standortschließung ist schon ein Einschnitt, besonders auch für die Familie“, sagt General Langenegger. Für ihn ist die Bundeswehrreform auf der einen Seite alternativlos, birgt mit ihren Kasernenschließungen neben „persönlicher Betroffenheit und Enttäuschungen“ aber auch eine große Gefahr: dass die Soldaten zuerst aus dem Blickfeld und schließlich ganz aus dem Bewusstsein der Bevölkerung verschwinden. Durch die Reform werde es auf der Landkarte künftig viele „weiße Flecken“ geben – Landkreise ohne Bundeswehr. „Wir müssen zusehen, dass wir in diesen Bereichen weiterhin präsent sind“, fordert der General. „Und aufpassen, dass wir nicht unsere Verwurzelung in der Gesellschaft verlieren.“

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