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UN-Generalversammlung: Für Merkel geht es um mehr als die Millenniumsziele

In New York kommen die Vereinten Nationen in dieser Woche zur Generalversammlung zusammen. Die 192 Mitgliedsstaaten beraten, wie weit sie im Kampf gegen die Armut gekommen sind - und wählen neue Mitglieder für den Sicherheitsrat.

Die Kanzlerin ist in diesem Jahr von der ersten Minute an mit dabei. Am Montag beginnt die Generalversammlung der Vereinten Nationen. Die Bundesrepublik bewirbt sich zum fünften Mal um einen nichtständigen Sitz im Sicherheitsrat. Die UN haben 192 Mitglieder. In der Generalversammlung zählt jede Stimme. Angela Merkel wirbt um Rückhalt, Deutschland hat ernst zu nehmende Konkurrenz. Am Dienstag spricht sie beim Gipfel zur Überprüfung der Millenniumsziele von 2000, dem ersten inhaltlichen Schwerpunkt. Und das Leo-Baeck-Institut verleiht ihr die Leo-Baeck-Medaille in Anerkennung um ihren Einsatz für das deutsch-jüdische Verhältnis.

Wie aussichtsreich ist das Werben um einen nichtständigen Sicherheitsratssitz?

Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen ist das weit einflussreichere Gremium als die Generalversammlung. Im Rat werden die bindenden Entscheidungen über Krieg und Frieden getroffen. Er hat 15 Mitglieder. Fünf Länder haben einen ständigen Sitz: China, Frankreich, Großbritannien, Russland und die USA. Die zehn nichtständigen Mitglieder werden für zwei Jahre gewählt. Jedes Jahr bestimmt die Generalversammlung fünf neue Mitglieder. Im Folgejahr werden die anderen fünf ausgetauscht, nachdem ihre zwei Jahre abgelaufen sind.

Mit den – bisher gescheiterten – Bemühungen um eine Reform des Sicherheitsrats, inklusive eines ständigen Sitzes für Deutschland, hat diese Abstimmung nichts zu tun. Die Bundesrepublik hatte bereits vier Mal einen nichtständigen Sitz, zwei Mal als westdeutscher Teilstaat (1977/78 und 1987/88) und zwei Mal seit der Einheit (1995/96 und 2003/04). Die DDR gehörte ein Mal dem Sicherheitsrat an (1980/81). Deutschlands Mitgliedschaft 2003/04 verlief stürmisch. Sie fiel in die Debatte um den Irakkrieg, Saddam Husseins angebliche Massenvernichtungswaffen und die Frage, ob die UN eine militärische Intervention autorisieren. Der Streit führte zum Zerwürfnis zwischen Kanzler Schröder und US-Präsident Bush und belastete den Anlauf zur Reform des Sicherheitsrats.

Diesmal bewerben sich drei westliche Länder um zwei nichtständige Sitze, neben Deutschland auch Kanada und Portugal. Nur einer der drei Staaten wird Erfolg haben. Inoffiziell werden die Sitze nach ökonomischen und geografischen Ländergruppen vergeben, auch wenn die UN-Charta das nicht vorsieht. Die Entscheidung fällt in einer geheimen Abstimmung am 14. Oktober. Auf dem Terminplan der Kanzlerin stehen am Montag ein Mittagessen mit Staats- und Regierungschefs der afrikanischen Gruppe sowie Treffen mit Bhutans Premier und den Vertretern der Aosis – 43 kleinen Inselstaaten, die ihre Existenz durch die Erderwärmung bedroht sehen. Abends gibt sie einen Empfang für die Staats- und Regierungschefs aller UN- Mitglieder. Im Laufe der Woche wird Außenminister Guido Westerwelle (FDP) das Werben in New York fortsetzen.

Was sind die Millenniumsziele?

Vor zehn Jahren hatten die UN erstmals acht Entwicklungsziele verbindlich vereinbart. Zentrale Aufgabe ist, Hunger und extreme Armut auf der Welt bis 2015 zu halbieren. Als extrem arm gilt ein Mensch, der weniger als einen US-Dollar pro Tag zum Leben hat. Basisjahr der Halbierung ist das Jahr 1990. Außerdem wurde festgehalten, dass die Kindersterblichkeit verringert, Bildung verbessert sowie die Ausbreitung von Aids, die Diskriminierung von Frauen und die Umweltzerstörung gestoppt werden sollten. Deutschland erklärte sich bereit, die Mittel für Entwicklungszusammenarbeit und humanitäre Hilfe bis 2015 auf 0,7 Prozent des Bruttoinlandsprodukts zu steigern. Derzeit liegt die Quote bei 0,4 Prozent.

Sind die Millenniumsziele bereits erreicht?

Die UN und ihre Spezialagenturen verbreiten Erfolgsmeldungen. Die Zahl der Hungernden sank zwischen 2009 und 2001 um rund 100 Millionen Menschen auf 925 Millionen. Dann legte das Kinderhilfswerk Unicef nach: Es hieß, 2009 seien 8,1 Millionen Kinder unter fünf Jahren gestorben, 1990 hätten noch 12,4 Millionen Kinder nicht das fünfte Lebensjahr erreicht. Dennoch: Viele Uno-Funktionäre gestehen, dass alle acht Ziele nicht mehr zu erreichen seien. Mit einem deutlichen Fragezeichen versieht die Uno etwa das Erreichen des zweiten Ziels: Jedes Kind soll bis 2015 eine Grundschulbildung erhalten. Auch das dritte Ziel, die Gleichstellung der Frau deutlich voranzubringen, dürfte sich bis 2015 nicht realisieren lassen. Ebenso das Ziel Nummer vier, die Kindersterblichkeit um zwei Drittel zu senken.

Für das drohende Scheitern des Projekts macht die Uno die Knauserigkeit der Reichen mitverantwortlich. Die Entwicklungshilfe fließe zu spärlich. Obwohl 2009 Hilfsgelder in einer Rekordhöhe von 120 Milliarden US-Dollar mobilisiert worden seien, fehlten jährlich rund 20 Milliarden US-Dollar.

Weiter mahnen die Experten bessere Handelsbedingungen für die armen Staaten an. Die reichen Staaten müssten die Zölle für die wichtigsten Produkte der Armen drastisch senken. Zudem sollen die Reichen großzügiger moderne Technologie bereitstellen – etwa für erneuerbare Energien. „Doch viele Entwicklungsländer müssen auch selbst was tun“, mahnt ein Uno-Mitarbeiter. Korruption, mangelnde Transparenz und autoritäre Regierungen, die in die eigenen Taschen wirtschafteten, würden die wirtschaftliche und soziale Entwicklung lähmen. UN-Generalsekretär Ban Ki-Moon hat derweil weltweite Sonderabgaben ins Gespräch gebracht, um Mittel im Kampf gegen Hunger und Elend zu erhalten. Vorschläge wie eine Zusatzabgabe auf Flugtickets oder Finanzgeschäfte sollten „ernsthaft“ diskutiert werden.

J. Herbermann[New York], C. von Marschall[Washington]

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