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Freudensprung: Konferenzpräsident Michal Kurtyka nach der Einigung in Kattowitz.

© Kacper Pempel/REUTERS

Update

Kompromiss in Kattowitz: UN-Gipfel beschließt weltweites Regelwerk zum Klimaschutz

Ein Hammerschlag besiegelt den Kompromiss: Fast 200 Staaten billigen in Kattowitz Regeln zur Umsetzung des Pariser Abkommens. Doch einiges bleibt unverbindlich.

Drei Jahre nach der geschichtsträchtigen Einigung auf das Pariser Klimaabkommen haben fast 200 Staaten gemeinsame Regeln für die praktische Umsetzung beschlossen. Der Chef der UN-Klimakonferenz in Polen, Michal Kurtyka, besiegelte den Kompromiss des Plenums am Samstag in Kattowitz mit einem Hammerschlag. Ziel des Abkommens ist, die Erderwärmung auf deutlich unter zwei Grad zu begrenzen. Dafür muss der Ausstoß von Treibhausgasen etwa aus der Verbrennung von Kohle und Öl in den kommenden Jahren drastisch reduziert werden. Kurtyka sagte: „Das ist ein historischer Moment.“

Unter anderem vereinbarte der Gipfel Transparenzregeln und Standards zur CO2-Erfassung, damit die Klimaschutz-Anstrengungen der Staaten miteinander vergleichbar sind. Arme Länder erhalten allerdings Zeit, um die technischen Voraussetzungen dafür zu schaffen.

Umweltverbände zeigten sich in der Nacht zum Sonntag unzufrieden und mahnten zu mehr Klimaschutz und Solidarität mit armen Ländern. Greenpeace-Chefin Jennifer Morgan wies darauf hin, dass etwa ganzen Nationen das Versinken im Meer und damit die „Auslöschung“ drohe. „Ein Jahr voller Klima-Katastrophen und eindringliche Warnungen der besten Wissenschaftler weltweit hätten zu viel mehr führen sollen.“

Die Klimakonferenz in Kattowitz hatte sich völlig im Kleingedruckten verheddert. Seit dem großen, hoffnungsgebenden Klimagipfel von Paris waren die Durchführungsbestimmungen bereits drei Jahre lang verhandelt worden – dennoch blieben strittige Punkte bis zur letzten Minute ungeklärt.

Die Verhandlungen stockten zuletzt wegen der Regeln zum Handel mit Verschmutzungsrechten für den Ausstoß von Kohlendioxid. Das klingt nach einem Nebenschauplatz. Doch der Sektor dürfte künftig stark wachsen, denn er gilt als gutes Mittel, um den Klimawandel mit marktwirtschaftlichen Instrumenten zu begrenzen. Strenge Regeln dafür sind also entscheidend.

Einer der Streitpunkte: Dürfen Gutschriften aus einem bereits bestehenden Handelssystem, mit dem die Industrieländer eigene Emissionen durch Klimaschutzprojekte in Entwicklungsländern mindern, in das Paris-Abkommen überführt werden? Klimaschützer halten das für keine gute Idee. „Das System wird stark kritisiert, weil ein Großteil der Maßnahmen gar nicht zusätzlich genutzt wurden, sondern ohnehin stattgefunden hätten“, sagt Gilles Dufrasne, Experte für Emissionshandel bei der Umweltorganisation Carbon Market Watch. Die Gutschriften trotzdem in das Emissionshandelssystem unter dem Paris-Abkommen zu überführen, hätte demnach eine Verwässerung bedeutet.

Emissionshandel auf 2019 verschoben

Noch ein Blick in das Klein-Klein der Verhandlungen. Brasilien hatte bis zuletzt die absurde Regelung gefordert, dass eingesparte Emissionen zweimal gezählt werden dürfen: Einmal, um die eigenen freiwilligen Minderungsziele zu erfüllen, die jedes Land dem Klimaabkommen zufolge benennen musste. Zweitens sollten diese Minderungen auch noch als Verschmutzungsrechte an andere Länder verkauft werden dürfen.

Der Hintergrund: Riesige Flächen in Brasilien, die man aufforsten könnte, wären damit doppelt wertvoll. „Das ist pures finanzielles Eigeninteresse“, kommentiert der Vertreter einer Umweltorganisation. Gegen die Forderung von Brasilien wehrten sich die meisten anderen Länder bis zuletzt, denn das hätte zu viele Schlupflöcher geschaffen. Eine Lösung gab es nicht: Das Thema Emissionshandel wurde auf 2019 verschoben.

Entwicklungsländer fordern Entschädigung

Ein weiterer Knackpunkt waren die nicht mehr wiedergutzumachenden Schäden und Verluste durch den Klimawandel. Unter der Überschrift „Loss and Damage“ begleitet dieses Problem die Verhandlungen seit Jahren. Entwicklungsländer fordern eine Art von Entschädigung für die Folgen des Klimawandels, den sie nur zu einem geringen Teil verursacht haben. Die Industrieländer befürchten dagegen, für jeden Wirbelsturm und jede Überschwemmung in Haftung genommen zu werden.

Im Entwurf für das Regelbuch zum Paris-Abkommen wurden wesentliche Passagen zu „Loss and Damage“ zunächst in eine Fußnote gepackt. Das wollten sich die Entwicklungsländer nicht bieten lassen und legten ihr Veto ein. Das Thema kehrte schließlich mit schwachen Formulierungen in den Haupttext zurück, entscheidende Finanzierungsfragen aber blieben offen. Dennoch sei dies "ein wichtiger Schritt in Richtung Klimagerechtigkeit", erklärte die Klimaexpertin von Brot für die Welt, Sabine Minninger.

Gute Ergebnisse gab es beim Thema Transparenz. Alle Länder der Erde werden künftig nach den gleichen Regeln über ihre Emissionen berichten. Bisher hatte jeder Staat andere Basisjahre, Messmethoden oder Zählweisen. Für alle werden nun die etablierten Standards des Weltklimarats IPCC gelten.

Das Abschlussdokument von Kattowitz enthält auch eine Anerkennung des jüngsten IPCC-Sonderberichtes, in dem verstärkter Einsatz zur Erreichung des 1,5-Grad-Zieles angemahnt wird. Dieser Punkt war in den Verhandlungen besonders umstritten gewesen. Die USA, Saudi-Arabien, Kuwait und Russland hatten sich dagegen positioniert, dass der Gipfel den Report „begrüßt“, sondern darauf bestanden, dass er nur „zur Kenntnis genommen“ wird. Als Kompromissformel findet sich nun im Beschluss, dass die „rechtzeitige Fertigstellung des Berichtes begrüßt“ wird.

Die Ambitionen steigen, die Zusagen nicht

Zustimmung gab es auch dafür, wie die große Inventur der Fortschritte seit Paris im Jahr 2023 aussehen soll. Das wohl wichtigste Ergebnis gibt es in Sachen Finanzierung. Hier sollen nicht nur die Hilfen der Industrieländer an die Entwicklungsländer betrachtet werden, sondern die globalen Finanzströme insgesamt. Sie wegzuleiten von Investitionen in fossile Energien hin zu mehr Erneuerbaren gilt als bestes Mittel für mehr Klimaschutz.

Dem Buchstaben von Paris treu bliebt die Konferenz von Kattowitz bei der Erhöhung der Ambitionen für mehr Klimaschutz. Bestätigte oder bessere Ziele für die Senkung von Emissionen sollen gemäß dem Abkommen 2020 auf den Tisch kommen. Der Geist von Paris und neuere Erkenntnisse der Forschung hätten eigentlich mehr verlangt, nämlich höhere Zusagen schon heute. Mehr als ein Beschluss, die Ambitionen 2020 tatsächlich zu erhöhen und nicht nur die gleichen noch einmal abzugeben, war aber in Kattowitz nicht machbar.

Entsprechend kritisierte der Geschäftsführer von Greenpeace Deutschland, Martin Kaiser, die Unterhändler in Kattowitz hätten "dabei versagt, die drängendste Frage zu beantwortet: Wann fangen Regierungen endlich an, ihren Ausstoß an Treibhausgasen spürbar zu senken?" Der "einzige Lichtschimmer" dieser Klimakonferenz sei das Regelbuch, das "dem Pariser Abkommen einen Motor" einsetze.

Sabine Minninger von Brot für die Welt nannte es bedauerlich, dass keine Einigung auf finanzielle Unterstützung von besonders armen und verletzlichen Staaten bei der Bewältigung von Klimaschäden zustande kam. Michael Schäfer vom WWF stellte fest: „Die Regierungen der Welt brauchen viel mehr Druck von ihren Bürgerinnen und Bürgern, endlich mit dem Klimaschutz Ernst zu machen.“

Vitumbiko Chinoko von der Nichtregierungsorganisation Care mahnte: „Verletzliche Staaten können nicht die Last der Welt auf ihren Schultern tragen.“ Das Präsidiumsmitglied des Deutschen Naturschutzrings, Hermann Ott, warf einer kleinen Gruppe von Staaten, „notorisch die USA, Russland und Saudi-Arabien“, vor, die Verhandlungen in Polen aus Eigeninteresse gebremst zu haben, um ihre heimische Öl- und Gasindustrie zu schützen.

Deutsche Wirtschaft begrüßt "solide und faire Klimaschutz-Regeln"

Der Vorsitzende des Bunds für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND), Hubert Weiger, mahnte: "Um eine stetig schlimmer werdende Klimakrise zu verhindern, müssten die Länder ihre Klimaschutzziele entsprechend der 1,5-Grad-Grenze verbessern."

Ähnlich äußerte sich auch UN-Generalsekretär Antonio Guterres. Er hatte sich mehrmals persönlich in die Verhandlungen in Kattowitz eingeschaltet und kündigte an, für ehrgeizigere Klimaziele zu kämpfen. In einer im Plenum verlesenen Botschaft erklärte er, seine fünf Prioritäten seien "Ambition, Ambition, Ambition, Ambition, Ambition."

Die Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) begrüßte dagegen die Einigung der Staatengemeinschaft auf "solide und faire Klimaschutz-Regeln" als gute Nachricht für die deutsche Wirtschaft. "Wichtig für die Unternehmen ist, dass alle Staaten ähnlichen Verpflichtungen unterliegen und der Klimaschutz dadurch weltweit vorangetrieben wird", erklärte DIHK-Präsident Eric Schweitzer am Sonntag.

Einseitige europäische oder deutsche Ambitionen hätten nur einen sehr begrenzten Klimaschutzeffekt, verzerrten aber den Wettbewerb zulasten der deutschen Unternehmen, fügte Schweitzer hinzu. (mit dpa, AFP, epd)

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