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In Gefahr. Die Schmelze in der Arktis bedroht schon jetzt die Bären.

© picture alliance / dpa

UN-Klimabericht: Erwärmung ist beispiellos in der Geschichte

Noch nie hat sich die Erde so erwärmt wie seit den 50er Jahren. Dies geht aus dem UN-Weltklimabericht hervor. Politik und Wissenschaft raten, die verbleibenden Vorräte an Gas, Öl, Kohle in der Erde zu lassen.

Thomas Stocker und Dahe Qin sind müde. Aber es hilft nichts, die beiden Professoren sind die Hauptautoren des ersten von drei Teilen des Fünften Weltklimaberichts und müssen der Weltpresse erklären, was die Klimawissenschaft über die globale Erwärmung weiß. Seit Montag haben die 110 Regierungsdelegationen und die Wissenschaftler, die den Bericht des Weltklimarats (IPCC) erarbeiteten, über einer gut 30-seitigen Zusammenfassung gebrütet und sie Wort für Wort verabschiedet. Er ist folglich nicht nur eine wissenschaftliche Aussage, sondern auch eine der Politik. Die Langfassung ist ein mehr als 1000 Seiten starkes Werk und beschreibt die physikalischen Grundlagen des Klimawandels.

Die Hauptaussagen des Reports: Die Erwärmung seit den 1950er Jahren ist beispiellos in der Geschichte. Die höhere globale Lufttemperatur ist mit höchster Wahrscheinlichkeit vom Anstieg des Kohlendioxidgehalts in der Atmosphäre verursacht. Den größten Teil der zusätzlichen Energie, nach IPCC-Einschätzung mehr als 90 Prozent, haben die Ozeane aufgenommen. Seit gut 40 Jahren wird dieser Effekt ziemlich präzise gemessen.

Eine weitere Beobachtung trug Thomas Stocker, Kollege am Freitag in Stockholm vor: Die vergangenen drei Jahrzehnte waren jeweils wärmer als alle vorhergegangenen seit Beginn der Temperaturmessung um 1850. „Die globale Erwärmung macht keine Pause“, sagte er. Dennoch wurde Stocker genau danach vor allem von Vertretern angelsächsischer Medien bei der weltweit übertragenen Pressekonferenz am Freitag am häufigsten gefragt.

Meeresspiegel steigt, auch ohne Kohlendioxid-Ausstoß

Seit zehn bis 15 Jahren nämlich ist die Lufttemperatur zwar gestiegen, aber langsamer als es angesichts der stetig steigenden CO2-Emissionen zu erwarten gewesen wäre. Klimaskeptiker wie in Deutschland beispielsweise der ehemalige RWE-Manager Fritz Vahrenholt haben dieses Phänomen kurzerhand zur „Erwärmungspause“ erklärt – ein Argument, das vor allem von der Industrie, die von der Verbrennung von Öl, Gas oder Kohle lebt, begierig aufgegriffen wurde.

Der Direktor des Hamburger Climate Service Centers (CSC), Professor Guy Brasseur, hat das Phänomen vor wenigen Tagen damit erklärt, dass bereits seit Jahren mehrere La-Niña-Phänomene im Pazifik aufeinander gefolgt seien und zudem eine Kältephase dazu gekommen sei. La Niña ist ein im Pazifik entstehendes, aber nahezu weltweit wirksame Klimaerscheinung, die dann entsteht, wenn die Pazifiktemperatur geringfügig niedriger ist als in Durchschnittsjahren. Ist sie höher, entsteht das bekanntere Phänomen El Niño. Thomas Stocker wies darauf hin, dass es noch nicht allzu viel aussagekräftige Literatur zur behaupteten „Erwärmungspause“ gebe. Aber sie passe zu den Variationen, die trotz des gut belegten globalen Trends zur Erwärmung immer wieder möglich seien.

Der IPCC hat in seinem fünften Report die Ozeane genauer in den Blick genommen. Das Wissenschaftlergremium ist sich sicher, dass der Meeresspiegel auch über 2100 hinaus weiter ansteigen wird – und zwar auch dann, wenn der Kohlendioxid-Ausstoß von nun an bei Null läge. Auch die Versauerung der Meere ist nicht mehr zurückzuholen. Korallen, Krebse oder Seeschnecken, die Kalk brauchen, müssen sich in sehr kurzer Zeit an die veränderten Bedingungen anpassen oder sie werden es nicht überleben.

Dass das Risiko mit jedem Grad Erwärmung steigt, zeigt ein Blick auf Grönland

Im Vergleich zum Sachstandsbericht 2007 gibt es inzwischen präzisere Vorstellungen davon, wie CO2in der gesamten Biosphäre wirkt. 15 bis 40 Prozent des CO2 bleibt mehr als 1000 Jahre im Klimasystem wirksam. Der von Nairobi aus zugeschaltete Chef des UN-Umweltprogramms Unep, Achim Steiner, sagte: „Wir mögen noch immer nicht alles wissen. Aber wir wissen genug, um in unserem gemeinsamen Interesse zu handeln.“

Der amerikanische Außenminister John Kerry sagte: „Die Kosten des Nicht-Handelns wachsen auf ein Niveau jenseits dessen, was jemand mit einem Gewissen und gesundem Menschenverstand auch nur zu denken wagt.“ Stephan Singer, der für die Umweltstiftung WWF die Verhandlungen in Stockholm beobachtet hat, sagte dem Tagesspiegel, die Verhandlungen seien „sehr konstruktiv“ gewesen. Die Regierungen hätten sich von den Wissenschaftlern davon überzeugen lassen, in den Bericht Aussagen darüber aufzunehmen, wie wie viel CO2 noch ausgestoßen werden kann, um innerhalb der beschlossenen Erwärmung unter zwei Grad im Vergleich zu 1850 zu bleiben. „Das heißt im Umkehrschluss, dass zwei Drittel der heute schon nachgewiesenen und ausgebeuteten Reserven an Erdöl, Gas und Kohle in der Erde bleiben müssen.“ Das hat in diesem Jahr übrigens auch die industriefreundliche Internationale Energie Agentur (IEA) gefordert.

Dass das Risiko mit jedem Grad Erwärmung steigt, zeigt ein Blick auf Grönland. Das Potsdam Institut für Klimafolgenforschung hat die grönländischen Eismassen schon vor Jahren als einen Kipppunkt im Klima identifiziert. Der IPCC geht nun davon aus, dass bei einer Erwärmung zwischen einem und vier Grad der Punkt erreicht werden könnte, an dem die Eisschmelze nicht mehr aufzuhalten wäre. Allein das grönländische Eis könnte den Meeresspiegel über einen ein paar Hundert Jahre anhaltenden Schmelzprozess um sieben Meter ansteigen lassen.

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