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Beim "Unabhängigkeitsmarsch" in Warschau wurden erneut viele Bengalos gezündet.

© Kacper Pempel/REUTERS

Unabhängigkeitsfeierlichkeiten in Polen: Im roten Nebel von Warschau

Hunderttausende Polen feiern in Warschau den 100. Jahrestag der Unabhängigkeit, Rauchgranaten und Neofaschisten störten das Bild.

Eine Kolonne von rot-weiß beflaggten Radpanzern der polnischen Armee bildete die Vorhut des diesjährigen Unabhängigkeitsmarsches in Warschau. „Für dich, Polen!“ lautete das Motto des feierlichen Umzugs zum 100. Jahrestag der wiedererlangten Unabhängigkeit nach 123 Jahren deutscher, russischer und österreich-ungarischer Besatzung. Diesmal hatte die Regierung die Verantwortung für die Unabhängigkeitsfeier nicht mehr rechtsradikalen Kräften überlassen. Vor allem die Armee sicherte den weitgehend friedlichen Umzug der laut Polizeiangaben rund 200.000 Bürger durch die Warschauer Innenstadt bis zum Nationalstadion auf der östlichen Weichselseite.

Inmitten von Soldaten und Pfadfinderinnen war auch der kleingewachsene Jaroslaw Kaczynski auszumachen. Polens starker Mann hatte sich scheinbar als gewöhnlicher Bürger unter die Teilnehmer gemischt. Um ihn herum wehten polnische Flaggen. Andere waren in der offiziellen Übertragung des gleichgeschalteten Staatsfernsehens TVP keine sichtbar, weder das EU-Banner noch die grünen Falanga-Banner der polnischen Neofaschisten, die im Vorjahr für erhebliches internationales Aufsehen gesorgt hatten.

„Warschau ist wunderschön, viele polnische Flaggen und bisher keine ,Faschisten’ unter den Polen und Polinnen mit ihren Kindern“, twitterte Polizeisprecher Mariusz Ciarka. „Keine Provokationen – wir bitten um ehrenhaftes Feiern“, forderte er. Die Wirklichkeit sah anders aus. Vor allem Rauchgranaten störten das friedliche Bild. An der Palme kurz vor der Weichselbrücke waren auch die grünen Falanga-Flaggen auszumachen. Zusammen mit den Anhängern des neofaschistischen „Nationalradikalen Lagers“ (ONR) marschierte eine Delegation der rechtsradikalen italienischen „Forza Nuova“. Auch ein paar ungarische Flaggen sind zu sehen. Unter Polizeischutz standen dort auch Gegendemonstranten der regierungskritischen Demokratiebewegung „Bürger der Republik Polen“. Auf Transparenten forderten sie die Einhaltung der polnischen Verfassung, die sie vor allem durch die umstrittene Justizreform gefährdet sehen.

Bis zuletzt war unklar, ob der Marsch überhaupt zustande kommt

In den vergangenen Jahren hatte die neofaschistische Organisation Nationalradikales Lager zusammen mit der rechtsradikalen „Allpolnischen Jugend“ den sogenannten „Unabhängigkeitsmarsch“ organisiert. Dies wurde von der PiS wohlwollend unterstützt, während sich die Regierungsvertreter jeweils nach Krakau zu einer eigenen Feier am Grab des polnischen Nationalhelden Jozef Pilsudski absetzten. Viele dachten derweil, sie nähmen in Warschau an einer offiziellen Feier teil.

Doch zum 100. Jubiläum der Unabhängigkeit wollte die PiS eine eigene Massenfeier in der Hauptstadt organisieren. Bis zuletzt war unklar, ob diese zustande kommt. Als besser organisiert erwies sich die ONR, die bereits vor Monaten zu ihrem traditionellen „Unabhängigkeitsmarsch“ mobilisierte. Erst ein Verbot des ONR-Marsches durch die liberale Stadtpräsidentin Warschaus zwang die PiS-Regierung zum Kraftakt. Seit Mitte der Woche versuchte sie, sich mit den Rechtsradikalen auf einen gemeinsamen Marsch zu einigen. Am Samstag kam dies in letzter Minute zustande. Vereinbart waren keine Flaggen außer die polnische, der Verzicht auf rassistische Transparente und Rauchgranaten. Vor allem Letzteres erwies sich als nicht durchsetzbar. Wie in den Jahren zuvor versank Warschau am Sonntag im künstlichen roten Nebel.

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