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Die Autorität des britischen Premiers Cameron ist gefährdet. Foto: Mike Segar/rtr

© REUTERS

Politik: Unberechenbar skeptisch

Bei den britischen Konservativen herrscht Dauerstreit über Europa Das bringt Premier Cameron in Bedrängnis – und verunsichert die EU-Partner.

Der Streit bei den britischen Konservativen um die Europapolitik hat in dieser Woche wieder gezeigt, dass Premierminister David Cameron nur eines haben kann: Frieden mit dem Koalitionspartner oder Frieden mit seiner Partei. Als ewiger Vermittler sah er wieder schwach und gehetzt aus. Camerons Autorität hat schwer gelitten. Man verglich die Situation bei den Tories mit einer europapolitischen Krise des früheren Premiers John Major. Seine Regierung wurde Anfang der 90er Jahre von Euro-Skeptikern fast gesprengt.

Aber damals ging es um einen fundamentalen Streit zwischen Befürwortern und Gegnern Europas. Heute gibt es bei den Tories nur noch Nuancen des Euro-Skeptizismus. Bei dem Rüffel, den die Hinterbänkler der Konservativen ihrem Parteichef nun in dieser Woche gegeben haben, ging es nicht so sehr um Europa, sondern mehr um den Unmut über einen ungeliebten Parteichef und eine noch weniger geliebte Koalition. Inhaltlich hatten sich die Hinterbänkler beschwert, weil in der Regierungserklärung nicht von Europa die Rede gewesen war.

Nun steuern die Euro-Skeptiker auf eine neue Konfrontation zu. Ein Gesetz über das versprochene Europa-Referendum soll den Streit aus der Partei in die Regierungskoalition tragen – so lautet das Kalkül der konservativen Skeptiker. Die Rechnung ist vorerst aufgegangen, denn ausgerechnet der Euro-Gegner James Wharton darf nun ein Hinterbänkler-Gesetz einbringen. „Gott ist Euro-Skeptiker“, twitterte ein Konservativer. Wharton wird das Gesetz einbringen, das Euro-Skeptiker schon lange fordern, das Cameron aber wegen des Widerstands seiner Koalitionspartner nicht als offiziellen Teil des Regierungsprogramms einbringen durfte. Genau dieser Punkt hatte Cameron letztlich die Rüge der Hinterbänkler eingebracht.

In einem kühnen Schritt machte der Premier den Weg frei für einen Gesetzentwurf, der ein Europa-Referendum bis spätestens 31. Dezember 2017 vorschreibt. Dabei soll die Frage gestellt werden: „Soll das Vereinigte Königreich Mitglied der Europäischen Union bleiben?“. Aus dem Amtssitz des Premierministers hieß es, dass das Hinterbänkler-Gesetz „die volle Unterstützung der Konservativen Partei hat“. Es wird also Fraktionszwang herrschen. Mit einem kühnen Schritt hat sich Cameron wieder an die Spitze der Anti-Europa-Meute gesetzt. Vizepremier Nick Clegg kündigte sogleich an, er werde das Gesetz blockieren. Damit stellt sich die Frage, ob Cameron den Bruch der Koalition riskieren würde, wenn es zum Äußersten kommt. Die Zeitung „Times“ berichtete am Freitag, dass Tories und Liberaldemokraten bereits auf einen Bruch der Koalition vor der nächsten Wahl zusteuern.

Damit wird die eigentliche Schlachtordnung wieder sichtbar: Die Tories stehen mit ihrer zielstrebigen Arbeit an einem EU-Referendum gegen Liberaldemokraten und die Labour-Partei, die das verhindern wollen. Die Konservativen möchten wiederum im Wahlkampf 2015 die Anti-Europapartei Ukip ausmanövrieren.

Camerons Europapolitik ist wie dreidimensionales Schach. Als er im Januar das Referendum ankündigte und in einer historischen Rede die britische EU-Mitgliedschaft zur Disposition stellte, sprach er als Parteimanager und als Staatsmann. Als Parteimanager wollte er den Konflikt zwischen Austrittsbefürwortern und denen, die Großbritanniens EU-Mitgliedschaft neu definieren wollen, auf die lange Bank schieben. Aber als Staatsmann weiß er, dass die Euro-Krise die EU fundamental verändert und den Graben zu Großbritannien, das der Euro-Zone nicht angehört, noch breiter macht. Niemand weiß, wie lange eine britische EU-Mitgliedschaft noch im Interesse der Briten ist. Ihr Verbleib ist von Reformen abhängig. Dafür will Cameron den Boden bereiten.

In europäischen Hauptstädten rätselt man, was Cameron eigentlich will und welche Kompetenzen er wieder nach Großbritannien zurückholen will. Er wisse es selbst nicht, behaupten Spötter. Was immer es sei, die EU-Partner würden nichts zugestehen, was der Rede wert sei, behaupten andere – wie der Ex-Schatzkanzler Lawson, der glaubt, die britische EU-Mitgliedschaft habe gar keinen wirtschaftlichen Nutzen mehr. Sicher ist, dass jeder „Forderungskatalog“, den Cameron formulieren würde, den Zorn der Euro-Skeptiker auf sich ziehen würde, weil er nicht weit genug geht.

Und doch ist in diesem unsicheren Kurs Camerons eine konsequente Strategie versteckt, die dazu langsam Boden gewinnt. Die Labour-Partei und die Liberaldemokraten stehen nun unter Druck, ihre Europapolitik zu klären. Clegg gab als Chef der Liberaldemokraten im Unterhaus bereits zu, dass er sich mit dem Referendum abgefunden hat.

Auch in Europa wird Cameron nicht mehr als schwacher Spinner abgetan. Der „Guardian“ berichtete nach einem Briefing mit „führenden Politikern“ in Berlin, Deutschland werde alles tun, um die Briten an Bord zu halten. Man sei bereit, den EU-Vertrag von Lissabon zu öffnen, um das Chaos der Finanzkrise zu reparieren und Cameron einen Hebel für Verhandlungen zu geben. Großbritanniens Mitgliedschaft in der EU sei für Berlins Bemühungen, Protektionismus abzuwehren und den wirtschaftlichen Niedergang Europas umzukehren, unabdingbar.

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