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Politik: Unbeugsame Richter erteilten Politikern eine Lektion

Richter George Greer in Pinellas County/Florida steht nun unter Polizeischutz, nachdem er Todesdrohungen erhalten hat. Greer ist jener Bezirksrichter in Florida, der im gerichtlichen Tauziehen um Tod oder Leben der Komapatientin Terri Schiavo die zentrale Rolle gespielt hat.

Washington (25.03.2005, 17:36 Uhr) - Auf Webseiten im Internet häufen sich die Aufrufe, ihn aus dem Amt zu jagen. Greer ist gläubiger Christ, aber mit seiner Baptisten-Kirche will er nichts mehr zu tun haben. Er hat sich von ihr distanziert, nachdem ihm der Gemeindepfarrer in einem Brief nahe gelegt hat, nicht mehr in die Kirche zu kommen, «denn das ist wohl am besten für uns alle».

Greer war es, der am Freitag vergangener Woche den Nahrungsstopp für die Kranke verfügte, und zwei Mal in dem langjährigen Rechtsstreit widersetzte er sich dem Versuch von Gouverneur Jeb Bush, durch politische Schachzüge Gerichtsbeschlüsse außer Kraft zu setzen oder neue zu erzwingen. Während Greer damit für die verzweifelten Eltern der Kranken und für die an ihrer Seite kämpfenden religiösen Rechten zum verhassten Erzfeind geworden ist, sehen andere in ihm jenseits der enormen menschlichen Tragödie dieses Falls einen Helden und eine Symbolfigur für die Unabhängigkeit des amerikanischen Justizsystems.

Tatsächlich hat nicht nur der Gouverneur, sondern sogar mehr noch der republikanisch beherrschte US-Kongress die Gültigkeit des Prinzips der Gewaltenteilung im Streit um die Komapatientin auf die Probe gestellt. Unabhängigen Rechtsexperten in den USA stockte schier der Atem, als Abgeordnetenhaus und Senat vor einer Woche ihr Sondergesetz zur Rettung von Terri Schiavo verabschiedeten, sich damit handstreichartig über die vordem unumstrittene Zuständigkeit der Gerichte Floridas hinwegsetzten und die Einschaltung der Bundesgerichte ermöglichten, «weil ihnen die Ergebnisse in Florida nicht passten», wie Jurist Dan Abrams es formuliert.

Aber Gericht nach Gericht ließ den Kongress abblitzen. Eine «bittere Lektion» für ihn, so schrieb die «New York Times». Unabhängig davon, auf welcher Seite man stehe, habe der Fall Schiavo gezeigt, dass die Gewaltenteilung im Land immer noch funktioniere, sich die Justiz nicht politischem Druck beuge, «sondern es als ihre Aufgabe betrachtet, dem Gesetz zu folgen».

Eines ist indessen jetzt schon sicher: Die religiöse Rechte, die George W. Bush im vergangenen November zum Wahlsieg verhalf, wird aus der Tragödie um die Komapatientin ihre eigenen Lehren ziehen. Sie wird den Druck auf den Präsidenten und dessen Republikaner erhöhen, um sicherzustellen, dass sich ihre Vorstellungen von Moral und Ethik künftig verstärkt auch in der Rechtsprechung widerspiegeln. Die drastische Drohung von Aktivist Randall Terry, ein Tod von Terri Schiavo würde sich rächen und es müssten manche mit dem Verlust ihres Posten rechnen, war auch ein deutliches Signal an Bush, dass nun endgültig seine Zeit gekommen ist, sich für die Wahlhilfe zu revanchieren.

Der US-Präsident hat noch fast vier Jahre Zeit, um frei werdende Posten an Bundesgerichten zu besetzen. Vor allem geht es um die künftigen Mehrheitsverhältnisse im Obersten Gerichtshof der USA, dessen Einfluss auf die Politik immens ist. In kaum einem anderen Land spielen Richter, insbesondere die höchsten, eine derart aktive und starke Rolle wie in den klagefreudigen USA. Dort muss sich das Oberste Gericht so häufig mit politischen Streitpunkten befassen, dass es praktisch eine Gesetzgebungsfunktion ausübt. Zurzeit sind die Mehrheitsverhältnisse denkbar knapp: Vier der Richter sind als konservativ einzustufen, vier als eher liberal. Eine gemäßigte Richterin in der Mitte ist oft das Zünglein an der Waage.

In seiner ersten Amtsperiode hatte Bush keine Gelegenheit zu Neubesetzungen im ehrwürdigen Justiztempel in Washington. Nun machen es Alter und Krankheit einiger Richter fast sicher, dass der Präsident die Chance erhält, dem Gericht seinen Stempel aufzudrücken - auf lange Sicht, denn die Richter erhalten ihr Amt auf Lebenszeit. Schon vor der dramatischen Zuspitzung im Fall Schiavo hat die religiöse Rechte vor allem in der Hoffnung auf eine Einschränkung des Abtreibungsrechts eine groß angelegte Kampagne gestartet, um ihre «Wunschrichter» durchzusetzen. «Das ist nur der Anfang», verheißt nun Randall Terry. (Von Gabriele Chwallek, dpa) ()

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