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Politik: Und das ist Recht so

Von Jost Müller-Neuhof Wenn Homosexuelle immer so viel Mut hätten wie in ihrem Kampf gegen Diskriminierung, dann hätten wahrscheinlich mehr als 9000 geheiratet. Herangetraut an die neue Lebenspartnerschaft hat sich bisher also nur ein Bruchteil.

Von Jost Müller-Neuhof

Wenn Homosexuelle immer so viel Mut hätten wie in ihrem Kampf gegen Diskriminierung, dann hätten wahrscheinlich mehr als 9000 geheiratet. Herangetraut an die neue Lebenspartnerschaft hat sich bisher also nur ein Bruchteil. Aber jetzt haben alle Brief und Siegel, dass Gleich und Gleich sich auch künftig mit Staates Segen gesellen darf. Das ist viel Grund zum Jubeln unterm Regenbogen. Doch in seinem Symbolgehalt für die gesellschaftliche Anerkennung von Lesben und Schwulen erschöpft sich das Urteil vom Mittwoch nicht – bei weitem nicht.

Die Richter haben im Gefüge des traditionellen Verständnisses von Artikel sechs des Grundgesetzes, dem Schutz von Ehe und Familie, aufgeräumt. Die Ehe ist auch nach diesem Urteil formal, was sie vorher war: die christlich geprägte, heterosexuelle Einehe mit einer rechtlichen Hülle im Bürgerlichen Gesetzbuch. Aber ihre Privilegierung ist de facto dahin. Regelt der Gesetzgeber andere Lebensformen, ist er nicht gehindert, sie an Rechten und Pflichten mit der Ehe auf eine Stufe zu stellen – solange die Ehe selbst nicht angetastet wird. Die Ehe bleibt einzigartig, sagen die Richter, aber eben auch nur, weil es Männer und Frauen sind, die da heiraten. Leicht zugespitzt: Das Exklusive an der Ehe ist nun die Tatsache, dass es sie gibt.

Das Urteil wirkt sich unmittelbar aus auf die Ergänzungsregeln zur Lebenspartnerschaft, die noch im Vermittlungsausschuss zwischen Bundestag und Bundesrat hängen. Die Unionsparteien können sie weiter blockieren, nur nicht mehr mit dem sonst machtvollen Argument, sie seien verfassungswidrig. Das Gesetz ist ohne Steuer- und Vollzugsregeln ein Torso. Nun, wo der Weg frei ist, muss die Politik zwar nicht folgen, aber sie kann es. Und sie sollte es in diesem Fall auch, denn es wäre gerecht. Dass Homosexuelle keine Kinder bekommen, spricht nicht dagegen.

Auch wer künftig das sympathische Wort Familienpolitik im Munde führt, muss das Urteil gut lesen. Was eigentlich ist Familienpolitik? Mehr als Kindergeld und Kindergarten und die Summe der Paragraphen, in denen Mütter und Väter vorkommen – der Gesetzgeber kann sich künftig mit ausdrücklicher Billigung der Verfassungsrichter auch des Schutzes anderer Konstellationen annehmen. Er darf unverheiratete Partner rechtlich besser stellen oder andere Gemeinschaften, deren Mitglieder füreinander einstehen wollen, besser absichern. Eine Gesellschaft, die mehr Kinder will, muss alle heterosexuellen Paare begünstigen, nicht nur Ehepaare.

Familie ist, wo Kinder sind? Das ist eine juristisch saubere, politisch aber inzwischen zu enge Definition. Familie ist nun wohl eher da, wo Menschen füreinander sorgen müssen oder sorgen wollen: die allein erziehende Mutter genau wie der erwachsene Sohn, der seinen kranken Vater pflegt, oder Geschwister, die ihr Leben teilen. Eine verantwortungsvolle Familienpolitik, also eine echte Gesellschaftspolitik, wird sich verstärkt um solche Fälle zu kümmern haben. Und wenn Kinder dabei die größte Rolle spielen – es wäre umso besser.

Vor Jahrzehnten, womöglich vor Jahren noch wäre ein solches Urteil undenkbar gewesen. Die Furcht der Politik vor dem Verfassungsgericht ist gerade in Sachen Ehe und Familie nicht umsonst so groß. Dieses Feld ist nun wieder mehr dem Gesetzgeber überlassen. Seit einiger Zeit ist Zurückhaltung das edelste Zeichen der Karlsruher Rechtskultur.

Viele Juristen werden trotzdem schimpfen. Und zugegeben, das alles ist nicht ganz einfach mit der bisherigen Auslegung zu vereinbaren. Artikel sechs, der die Ehe gerade unter „besonderen“ Schutz stellt, wird man künftig schon fast so lesen müssen, als sei gerade diese Hervorhebung gestrichen. Man hatte aus diesem „besonders“ stets gefolgert, es gebe eine Art Abstandsgebot zwischen der Ehe und anderen Lebensgemeinschaften. Dem haben die Richter nun eine Absage erteilt. Das eine zu fördern bedeute nicht, das andere benachteiligen zu müssen. Das ist semantisch korrekt, aber nicht beantwortet ist damit die Frage, wie dies mit den Mitteln der Gesetzgebung zu schaffen ist. Wer den einen fördert, benachteiligt den anderen meist automatisch. Doch darüber kann sich nun das Parlament den Kopf zerbrechen. Dafür wird es gewählt.

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